Heißgeliebte Väterchen der Nation

Die Pläne zur Steuerreform der Regierungskoalition und mögliche Folgen

Was die Regierungskoalition PSD/ALDE mit ihrer Steuerreform vorhat, klingt mir wie der Wunsch ihrer Leader, die heißgeliebten Väterchen der Nation zu werden. Eine vernünftige Erklärung für ihr stures Vorgehen in der Umsetzung eines ihrer hehrsten Wahlversprechen gibt es nicht. Hingegen muss man kein Steuer- oder Wirtschaftsfachmann sein, um sich dessen bewusst zu sein, dass sie Versprechen umsetzen wollen, die als Fallen für eine geistig unbedarfte Wählermasse gedacht waren. Die angebissen hat. Massive Steuersenkungen bei gleichzeitig nicht durch Produktionssteigerungen gedeckter Lohnerhöhung funktioniert nirgends.

Prominente Steuer- und Wirtschaftsfachleute meinen, wenn diese Steuerreform der PSD/ALDE trotz ihren Widersprüchen gelingen sollte, dann muss in Rumänien gegenwärtig ein potenzieller Nobelpreisträger für Wirtschaft am Werk sein (er wäre überhaupt der erste Nobelpreisträger, den Rumänien aus eigenen Kräften schuf).
Ansonsten: als Folge dieser Steuer-„Reform“ nach vorgeblich amerikanisch-französischem Muster wird das Defizit Rumäniens im Augenblick, wenn die Generation der 1967er in Rente geht, um die 20 Prozent liegen. Bei Gesamteinkommen aus der Lohnsteuer von unverändert 25 Prozent des BIP. Die Ratingagenturen haben als erste reagiert: Moody´s hat Rumänien bereits von investment grade auf junk herabgestuft. Die Folge: Staatsanleihen (die jetzt drei BIP-Prozent, also 24 Milliarden Lei decken müssen, aber in Zukunft rasant zu steigern sind, um den Staat am Leben zu erhalten) werden alternativlos. Und teurer. Jede Staatsanleihe bedeutet Verlust an Souveränität – ein Blick auf Griechenland genügt... Der beste Rat, unter Umständen, wo der Staat als Lösung, neben Anleihen, nur die Geldpresse (also Inflation) hat: Ganz rasch alle gesparten Lei in Euro oder Dollars verwandeln!

Von 29 Milliarden Lei Einkommenssteuer im Budget sind gegenwärtig 25 Milliarden Lohnsteuer. Rund sechs Millionen Lohnempfänger zahlen diese. Sie wird ihnen vom Lohn abgezogen („an der Quelle“). Rund 500.000 Bürger üben freie Berufe aus und müssen Steuererklärungen abliefern. Nach der Steuerreform müssen alle sechs Millionen Lohnempfänger Rumäniens direkt ihre Steuern abliefern, aufgrund von rund 7,5 Millionen Steuererklärungen – für welche die Steuerbehörde ANAF keine Logistik hat und wofür der Staat 35.000 staatlich bezahlte Steuerberater zur Verfügung stellen muss – sagt der Gesetzentwurf. Gegenwärtig umfasst die Kammer der Steuerberater 5000 Mitglieder, von denen geschätzt 3000 aktiv sind. Woher binnen eines Jahres 30.000 Steuerberater kommen – das sagt uns PSD/ALDE nicht. Außerdem ist der Steuerberaterstatus nebelhaft: Sie sollen einen freien Beruf ausüben, aber staatlich bezahlt werden – ein Nonsens. Andrerseits: Wenn bislang ANAF bloß die Rechtspersonen wegen unvollständigen oder Steuer-Falscherklärungen strafrechtlich jagte, so werden aufgrund der eigenverantwortlich verfassten Steuererklärungen rund 7,5 Millionen Bürger zu ANAF-Gejagten, denn kaum jemand kann sicher sein, es der pingeligen Behörde recht zu tun, auf nichts zu vergessen. Nicht zuletzt: Die Aufgabe der Steuerberater ist solcher Art, dass wir ihnen vollsten Einblick in unsere steuerpflichtige Wirtschaft gewähren müssen. Man holt sich mit dem Steuerberater möglicherweise den Informant ins Haus! Der Verfasser der deutschen Hymne, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, fällt einem ein: „Der größte Lump/ im ganzen Land,/ das ist und bleibt/ der Denunziant.“

Gegenüber der EU-Kommission behauptet Finanzminister Viorel Ştefan (PSD), Rumänien werde auch nach seiner Finanzreform bei einem Defizit unter drei Prozent (24 Milliarden Lei) bleiben. Die Modellrechnung bleibt er schuldig.
Finanzexperten wissen, dass die Direktbesteuerung der 7,5 Millionen Haushalte Rumäniens den Staat ein Einkommensminus von 13 Milliarden kostet, neben hohen Administrationskosten (35.000 staatlich bestallte Finanzberater und etwa 6000 - 10.000 neue ANAF-Mitarbeiter, für die Steuererklärungen und deren Überprüfung). Zudem: 2018 gibt es keine Einnahmen aus dieser Quelle, weil die Steuererklärungen von 2018 erst 2019 zu bezahlen sind, nachdem 7,5 Millionen Steuerbescheide in die Häuser flattern. Der Staat verzichtet also 2018 auf rund 3,6 Prozent seiner BIP-Einnahmen in Form der Lohnsteuer. Andersrum: Schon 2018 wird das Haushaltsdefizit bei mehr als sechs Prozent (3+3,5 Prozent) liegen. Wenn der „Wirtschafts-Nobelpreisträger der PSD/ALDE“ keine Geheimlösung in der Hinterhand hat. Zum Glück sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Sozial- und Krankenversicherungen weiter „an der Quelle“ einbehalten werden – 57 Milliarden Lei jährlich. Zum Unglück: Die privaten Steuererklärungen der Lohnempfänger entlasten die Arbeitgeber nur unerheblich. Die Steuerreform erfordert auch einen Mentalitätsschwenk: Wer noch aus dem Kommunismus dran gewöhnt war, von der Hand in den Mund, von einem Lohntag zum nächsten zu leben, muss bald monatlich etwas beiseite legen – woher sonst die im nächsten Jahr fälligen Einkommenssteuerzahlungen? Präventives Sparen ist angesagt. ANAF hetzt sonst Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichtsvollzieher auf die Steuersäumigen – Pfändungen, Beschlagnahmungen und Strafprozesse blühen. Hat Rumänien dafür genug Personal, wo heut allein schon die Richter um das Anderthalb- bis Zweieinhalbfache ihrer Normen überlastet sind?

2017 rechnet der Staat mit Haushaltseinnahmen aus der Lohnsteuer von rund 29 Milliarden Lei. Durch die Besteuerung der Haushalte fällt ab 2019 rund die Hälfte weg. Investitionen in Gesundheitswesen, Straßenbau, Rentenzahlungen werden erschwert. Für die Gesamtbesteuerung muss auch die neue Steuernummer her, da die bisherige Personenkennziffer hinfällig wird, weil pro Haushalt ein „Kopf“, ein „Oberhaupt“ verantwortet. Zudem steht ein Berg von Papieren an, die einzureichen und in Bewegung zu setzen sind (auch auf elektronischem Weg. Was macht aber der Landbewohner, der gar keinen Strom hat?). Die Steuerbehörde ANAF wird wohl blockiert – und die Steuerzahler mit.
Zu alldem kommen die Ausnahmen: IT-Tätige, Ärzte, Advokaten, weitere Kategorien – die Privilegierten unter den Gleichen müssen keine oder stark verringerte Steuern zahlen. Die soziale Kluft im Volk wird vertieft. Das Gesetz schreibt soziale Unterschiede unter Bürgern fest, zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten. Die Unterprivilegierten bezahlen alles, was den Privilegierten erlassen wird. Das ist Honig auf den Zungen unserer Parlamentarier, die sich schon wieder eine Lohnerhöhung für ihre schweren Dienste von ein paar Stunden pro Woche verpasst haben.
Der Gesetzentwurf schwächt die Besteuerungsgrundlagen und das soziale Gleichgewicht im Staat. Letztendlich scheint die Steuerreform das alte römische Prinzip divide et impera anzupeilen. Unruhe zu stiften in einer Gesellschaft, die wahlreif geklopft wird, um als PSD neuerlich als Retter der Nation und allgeliebte Väterchen derselben aufzutreten.