Herausforderung Qualitätsjournalismus

Deutsch-rumänische Medientage: Ist seriöser Journalismus in Gefahr?

Erstes Diskussionspanel mit Christian Gramsch (rechts), Direktor der Deutsche-Welle-Akademie, und Cosmin Prelipceanu (links), Chefredakteur von Digi 24. Die Moderation übernahm der Leiter der DW-Rumänienredaktion Robert Schwartz (Mitte).
Foto: die Verfasserin

„Qualitätsjournalismus – warum wir ihn brauchen und wie wir ihn sichern”, so lautete das Thema der bereits zum zweiten Mal von der deutschen Botschaft Bukarest organisierten deutsch-rumänischen Medientage zum Gedankenaustausch unter Medienvertretern am 11.-12. Juni. Erstmals wurde die vom deutschen Botschafter Werner Hans Lauk fortan als jährlich angekündigte Veranstaltung in Kooperation mit der Deutschen Welle (DW), dem Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland, und der DW-Akademie abgehalten. „Es ist nicht alltäglich, dass eine Botschaft Konferenzen zu diesem Thema organisiert“, bemerkt auch Robert Schwartz, Leiter der DW-Rumänienredaktion und Moderator der Veranstaltung, einleitend. Deshalb sei die DW sofort bereit gewesen, die Partnerschaft zu übernehmen.

Drei Themenkomplexe wurden den Teilnehmern aus Presse, Rundfunk, TV und Onlinemedien während des zweitägigen Meetings im Bukarester Hotel Intercontinental zur Diskussion gestellt:
- Die Rolle redaktionsinterner Abläufe für Qualitätsjournalismus: Inwiefern kann seriöse und ausgewogene Berichterstattung in einem von wirtschaftlichen Interessen und Konkurrenzkampf mit kostenfreiem Bürgerjournalismus geprägten Milieu bestehen? Impulsvorträge hielten Christian Gramsch, Direktor der DW-Akademie, und Cosmin Prelipceanu, Chefredakteur von Digi 24.
- Zwischen demokratischem Auftrag und marktwirtschaftlicher Logik: Wie kann die Presse ihrer Aufgabe als „vierte Macht im Staate” gerecht werden, wenn sich Qualität nicht mehr verkaufen lässt? Impulsvorträge hielten Manuel Preuten, freier Journalist und Vertreter des Online-Magazins „Krautreporter.de“, sowie Cristian Pantazi, Chefredakteur des Online-Portals „hotnews.ro“.

- Über den Beitrag des internationalen Erfahrungsaustausches zur Sicherung von Qualitätsjournalismus sprachen Christian Gramsch und Ion M. Ioniţă, Leitender Redakteur von „Adevărul“, die Münchner Journalistin Sophie Anfang, derzeit Hospitantin bei Radio Bukarest, und der rumänische Journalist Laurenţiu Diaconu-Colintineanu, der an mehreren Ausbildungsprogrammen, u. a. bei der DW in Deutschland, teilgenommen hat.
In seiner Eröffnungsrede erinnert Botschafter Lauk an die vornehmste Funktion der Medien: ihre Wächterfunktion zu Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Ein Thema, so aktuell wie nie im heutigen Rumänien. Ein hehrer Anspruch aber auch, dem rumänische Medien, zerrieben zwischen den politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mogule, nur sehr bedingt gerecht werden. Hinzu kommen die bekannten Schwierigkeiten der Printmedien durch Konkurrenz von Online-Portalen, Blogs und Social-Media. Der Wettbewerb mit dem Internet ist nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern auch eine Gefahr für guten Journalismus.

„Die Berichterstattung erfolgt längst nicht mehr nur in der Zeitung, im Radio oder Fernsehen, sie muss in Echtzeit auf verschiedenen Kanälen für den Leser zugänglich sein und immer häufiger wird der Mediennutzer selbst zum Produzenten von Inhalten“, beobachtet Botschafter Lauk. „Ob ich tatsächlich auch besser informiert bin, lässt sich jedoch bezweifeln”, gibt der Diplomat zu bedenken, „denn viele Einzelstimmen machen noch keinen Chor.” Social-Media geben allenfalls Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt, aber keine sachlichen Informationen. „Erst Qualitätsjournalismus schafft Orientierung im Meer der Einzelstimmen.“
Als Zeichen der Würdigung von qualitativ hochstehenden journalistischen Produkten wird die Botschaft daher ab 2016 zwei Medienpreise vergeben: Der Preis „Blick auf Deutschland” soll publizistische Arbeiten auszeichnen, die zu einem vertieften Verständnis über die Bundesrepublik Deutschland beitragen. Der Preis „Geschichte und Gegenwart der deutschen Minderheit in Rumänien” soll für Berichterstattung über die deutsche Minderheit in Rumänien und ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Brückenfunktion verliehen werden. Die Ausschreibungen werden in wenigen Wochen auf der Webseite der Deutschen Botschaft Bukarest erscheinen.

Prinzipien eines guten Journalismus

„Journalismus muss Qualität haben. Wir dürfen keine zwei Klassen – Qualitätsjournalismus und andere – zulassen“,  fordert Christian Gramsch. „Alles andere ist Geschwätz, PR, Meinung oder Propaganda.“ Der Anspruch müsse daher auch für Blogger und andere Formen des nichtkonventionellen Journalismus gelten. Doch was kennzeichnet Qualitätsjournalismus und auf welchen Prinzipien beruht er? Zivilcourage, Fairness und Kritikfähigkeit gehören auf jeden Fall dazu, identifiziert Gramsch. Für ersteres liefert er ein illustratives Beispiel: In einem life gesendeten Radiointerview wurde einem ehemaligen deutschen Kulturminister eine Wissensfrage gestellt, die dieser nicht beantworten konnte. Erbost legte der Minister auf, um anschließend beim Chefredakteur anzurufen und die Entlassung des Redakteurs zu fordern, falls sich so etwas wiederhole. Der Chef informierte seinen Mitarbeiter über das Gespräch – doch anstatt sich von der Drohung einschüchtern zu lassen, berichtete der Redakteur in der nächsten Sendung brühwarm über die versuchte Einflussnahme! Die Wirkung? Transparenz in der Öffentlichkeit über das Gebaren dieses Ministers – und fortan traute sich kein Politiker mehr, auf diesen Sender Einfluss zu nehmen.
Cosmin Prelipceanu berichtete von dem Versuch, politische Ausgeglichenheit in den Medienprodukten zu garantieren. Der Ansatz von Digi 24: Äquidistante Berichterstattung, denn um keine Kabelkunden zu verlieren, dürfe man weder „Băsisten“ noch andere vergraulen. Bei Digi 24 ist daher jede Meinungsäußerung seitens der Journalisten Tabu. Eine Haltung, die nicht von allen geteilt wird, denn eine Interpretation von Rohinformationen kann dem Konsumenten die Meinungsbildung erleichtern. „Oft wird mit der Neutralität so übertrieben, dass man denkt, Journalisten dürften gar keine Meinung haben“, äußert auch der Moderator.

Ursachen für mangelnden Qualitätsjournalismus in Rumänien

Als wesentliche Probleme für seriösen Journalismus in rumänischen Medien identifiziert Prelipceanu: die mangelnde Unabhängigkeit der Betreiber, denn fast alle Medien befinden sich in politisch motivierter Hand, aber auch die rein quantitative Orientierung an Einschaltquoten, Leser- und Hörerzahlen, mit der Druck auf Redakteure ausgeübt wird. „Wenn wir Journalisten uns treffen, sprechen wir über Einschaltquoten statt Inhalt“, kritisiert er und regt an: „Man bräuchte eine ‚Schule‘ für Journalisten – und eine für das Publikum!“ Der Konsument muss vom Vorteil von Qualitätsjournalismus überzeugt werden.

Aus den Teilnehmerdiskussionen geht hervor: Qualitätsjournalismus scheitert in Rumänien an den Vorgaben der Medienbetreiber, die bei Zuwiderhandlung mit Entlassung drohen. Qualität hat keinen Stellenwert. Auch seien viele Journalistenposten mit nach politischen Gesichtspunkten ausgewähltem Personal besetzt. Es mangelt an Solidarität unter den Journalisten, um sich geschlossen gegen diese Praktiken aufzulehnen. Eine Besonderheit in Rumänien ist auch, dass Meinungsbildung vorwiegend über das Fernsehen geschieht. Eine Qualitätskontrolle der Sendeinhalte durch den Funk- und Fernsehrat (CNA) wird als praktisch inexistent moniert. Umstritten auch die jüngst beschlossene Eilverordnung, die Fernsehsendern eine Finanzspritze von 15 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt gewährt: Weder sei hierzu Eile geboten, noch sei die Vergabe der Gelder transparent. Es handele sich um eine Verzerrung des Marktes zu Ungunsten der ohnehin gefährdeten Printmedien – und zu Lasten von Qualitätsjournalismus.

Für beide Länder wird eine – vom Publikum gewollte – „Boulevardisierung“ der Medien beobachtet. Doch trotz aller Kritik am Konsumenten warnt Gramsch: „Kein Medium kann sich langfristig erfolgreich gegen sein Publikum stellen!“ Die Herausforderung besteht darin, dem Publikum zu vermitteln, was es eventuell verliert. Auch ist der Wert eines komplexen Mediensystems vor allem der Jugend weitgehend unbewusst , weil sich die Medien mit der Zeit stark verändert haben, gibt Gramsch zu bedenken. Dies müsse man durch Kampagnen deutlich machen und das Publikum neu aktivieren. Auch in Deutschland ist eine starke Medienverdrossenheit festzustellen. In Bezug auf die Situation in Rumänien räumte Gramsch ein, es sei schwierig, ermutigende Worte zu finden. Eine Veränderung müsse jedoch „von unten nach oben“ erfolgen, essenziell hierfür sei ein Bündnis mit dem Publikum. „18 Millionen Rumänen müssen in die Diskussion hineingezogen werden“, rät er und schlägt den Journalisten vor, sich mit Intellektuellen, Lehrern, Künstlern und Literaten zu verbünden.

Online-Medien und damit verbundene Finanzierungsprobleme

Mit der Veränderung des Konsumentenverhaltens hin zum Online-Medium ist auch eine Abwanderung der Anzeigenkunden zu beobachten, unterstreicht der freiberufliche Journalist Manuel Preuten die Krise der gedruckten Zeitungen. Traditionelle Finanzierungsmodelle funktionieren nicht mehr, überzeugende Lösungen sind nirgendwo in Sicht. Verlage in Deutschland reagieren mit Personaleinsparungen , Schließungen und Fusion von Redaktionen. Es gibt bereits „Geisterzeitungen“, deren Versatzstücke aus verschiedenen, mitunter völlig werteinkompatiblen Redaktionen stammen. Online-Geschäfte fangen die Verluste der Printmedien nicht auf, weil sich die im Internet entstandene Gratiskultur nur schwer zurückdrehen lässt. Preuten stellt einzelne Bezahlungsmodelle vor und räumt ihre Unzulänglichkeit ein: Im Freemium-Modell (z. B. „Bild“-Zeitung) wird das Basisprodukt gratis angeboten und nur für exklusive Berichte eine Gebühr verlangt. Im Paywall-Modell (z. B. „Kölner Stadtanzeiger“) sind acht Artikel pro Monat gratis, wird das Kontingent überschritten, fallen Kosten in der Höhe eines Abos an. „Krautreporter.de“ konnte sich durch Crowdfunding eine Million Euro für den Betrieb einer 13-Leute-Redaktion für ein Jahr sichern, doch Kontinuität ist nicht gewährleistet.

In Deutschland gibt es in den Printmedien daher den Trend, fest angestelltes Personal zu entlassen und zunehmend Berichte von den „freien“ Journalisten zu kaufen. Mehr als die Hälfte der Journalisten arbeiten bereits als Freelancer. Diese seien jedoch häufig nicht wirklich frei, sondern ehemalige Angestellte, die für den gleichen Verlag denselben Job verrichten, unter Verlust gewisser Sozialleistungen. Die Praxis grenzt an Scheinselbstständigkeit – nach deutschem Recht immerhin eine Straftat, warnt Preuten. Einige Probleme sind hausgemacht, räumt der Vortragende ein: zu lange habe man an alten Modellen festgehalten. Paradoxerweise wird nun am Produkt gespart, anstatt es besser zu machen. Nicht die Qualität von Journalismus geht also verloren, sondern die Plattform dafür. Cristian Pantazi von „Hotnews.ro“ weist auf die mangelnde Transparenz in der Finanzierung rumänischer Medien hin. Weil vor allem lokale Medien Schwierigkeiten haben, ausreichend Anzeigenkunden zu finden, sei Finanzierung aus „grauen Kanälen“ häufig. In Osteuropa habe es zudem „Tradition“, dass Politiker über eigene Medienunternehmen verfügen. Hinzu kommt mangelnde Konkurrenz auf dem Markt: „In ganz Rumänien gibt es fünf Nachrichtenkanäle, und die sind nicht alle unabhängig“, kritisiert Pantazi.

Als alternative Finanzquellen werden erwähnt: EU-Fonds, jedoch für kleine Redaktionen schwer zugänglich, oder Kooperationsprojekte mit NGOs für Recherche. „Hotnews.ro“ praktiziert letzteres für die Erstellung eines eigenen „Korruptionsmonitors“ sowie für die Monitorisierung von Infrastrukturprojekten. Die Leser interessiert durchaus, wie öffentliche Gelder ausgegeben werden und auf welchem Stand die Projekte sind, erklärt Pantazi.

Kann internationaler Austausch Qualitätsjournalismus fördern?

Zu einer nachhaltigen Medienförderung im Ausland trägt die DW-Akademie mit zahlreichen Arbeits- und Ausbildungsstipendien für Journalisten in über 50 Ländern bei. Ziel ist, die Entwicklung journalistischer Kompetenz und freier, transparenter Mediensysteme zu unterstützen. Auf Basis einer Länderanalyse zum Status quo erfolgen Trainingsprogramme für Journalisten und Regierungen werden beraten. Laurenţiu Diaconu-Colintineanu hat von Auslandstipendien profitiert und unterstreicht deren Wert, räumt jedoch starke Frustmomente ein, wenn es darum geht, das Gelernte in der heimischen Redaktion anzuwenden. „Ich habe enorm viel erfahren, kann aber nichts davon umsetzen“, lautet sein Feedback bei den Follow-ups. Die Anbieter der Programme müssten mehr Druck auf die entsendenden Institutionen ausüben. Die Diskussion zeigt, dass die Erfahrung kein Einzelfall ist:

„Auslandsausbildungen sind ein enormer Schatz für den Einzelnen“, bekennt eine Teilnehmerin, „denn man kommt an Orte, an die einen die Redaktion nie schicken würde.“ Ein Schatz, den Redaktionen jedoch kaum zu würdigen wissen, weil als Erfolgskriterium oft nicht Produktqualität sondern politischer Gehorsam gilt. So werden Reisen, Studienaufenthalte und selbst simple Außentermine von vielen Vorgesetzten abgeblockt. Der Redakteur sei unentbehrlich, Informationen könne man von Agenturen beziehen und über das Telefon verifizieren. Selbst fremdfinanzierte Reisen scheitern daran, dass die Redaktionen kein Tagegeld zahlen wollen. Anwesenheit geht vor Qualität. So kommt es nicht nur vor, dass Redaktionen Ausbildungsangebote für ihre Mitarbeiter mit dem Argument der Unentbehrlichkeit ablehnen, sondern auch so mancher Journalist, aus Angst, seinen Arbeitsplatz nach Rückkehr nicht mehr vorzufinden. Das rumänische Zentrum für Unabhängigen Journalismus (CJI), das Auslandspraktika vermittelt, klagte über Schwierigkeiten, Kandidaten zu finden.

Deutlich für die Situation in Rumänien ist ein Kulturpessimismus, aber auch ein Schrei nach Solidarität und die Hoffnung auf Unterstützung aus dem Ausland, resümiert Robert Schwartz. Eine Veränderung könne jedoch nur im Land und „von unten nach oben“ beginnen. Die Gründung einer Journalistenvertretung, Solidarisierung mit dem Konsumenten und die Aktivierung intellektueller Kreise könnten hilfreiche Elemente sein.