Hermann, der Ortsgründer von Hermannstadt

...und die merkwürdigen Blätter im Hermannstädter Stadtwappen

Albert Arz von Straussenburg: die Entwicklung des Hermannstädter Wappens

Als Teil der großen deutschen Besiedlung, wodurch im Mittelalter die Grenzen des deutschen Sprachgebietes von der Elbe an die Oder und Weichsel verlegt wurden und deren letzte Ausläufer an die baltischen Siedlungen, Schlesien, Polen und Nord-Ungarn reichten, ist auch die deutsche Einwanderung nach Siebenbürgen zu verstehen, als der ungarische König Geisa II. (1141-1162), aus dem Geschlecht der Arpaden, „zum Schutz der Krone“ Siedler aus den Gegenden des Mittelrheins und der Mosel ins Land rief, gerade als im Osten die Reichsgrenze vom Mieresch an den Alt verlegt wurde.

Die Ansiedler kamen in Gruppen, offensichtlich nur nachdem ihnen besondere Lebensbedingungen angeboten worden waren. Aus späteren Urkunden wissen wir, dass sie als „hospites“ (Gäste) bezeichnet wurden, ihnen zur eigenen Verwaltung ein geschlossenes Territorium – ursprünglich das „alte Land“, bestehend aus der Hermannstädter Provinz mit den untergeordneten Gebieten Lesch-kirch und Schenk – anvertraut wurde und sie rechtmäßig dem König persönlich untergeordnet waren, während sie kirchlich nach dem Vorbild in ihrer alten Heimat Landdekanate einrichteten, die in Siebenbürgen dem Weißenburger Bistum ausdrücklich nicht untergeordnet wurden. Ihre kirchliche Unabhängigkeit bestätigte Papst Coelestin III. am 20. Dezember 1191, in Hermannstadt eine königliche – ansonsten freie – Probstei gründend.

Im Jahre 1223 tauchte in einer Urkunde erstmals der Ortsname „Villa Hermanni“ (Hermannsdorf) auf. Von der Anlage her war es ein Straßendorf, wobei sich zwischen Elisabeth- und Schmiedgasse an einer breiteren Stelle der Marktplatz befand, von welchem als wichtige Verkehrsstraße nach Norden die Bur-gergasse abzweigte. Im Westen trat ein großer See, der Kempelweiher, bis an die Saggasse heran, während im Norden, etwa im Zuge der Bachgasse, des Schiffbäumels und der Neugasse, ein Arm des Zibins floss, der die Siedlung mit dem nötigen Wasser versorgte. Oberhalb der Siedlung, auf einer Diluvialterrasse, befand sich, kaum eingefriedet, die Kirchenburg, erreichbar durch den steilen Oberlauf der Burgergasse, den Weg über den Bußwinkel sowie jenen entlang der Pempflingergasse.

Nur ein Jahr darauf, 1224, verlieh König Andreas II. von Ungarn für die Siebenbürger Sachsen einen Freibrief, durch welchen die deutschen „Gäste“ – zunächst jene in der Hermannstädter Grafschaft – zu einer politischen Gemeinschaft vereinigt wurden, der in corpore weitgehende Rechte zuerkannt wurden. Schrittweise wurde dieses Privilegium danach auf sämtliche deutsche Siedlungen in Siebenbürgen ausgeweitet, allerdings erst nach dem Mongolensturm von 1241, als auch Hermannstadt zerstört worden ist.

Von diesem Augenblick an entwickelte sich die Ortschaft in nur wenigen Jahrzehnten zur Stadt. Tatsächlich findet sich in einer Stolzenburger Urkunde vom Jahre 1366 zum ersten Mal die Bezeichnung „Hermannstadt“. Das ursprüngliche Konzept des Straßendorfes war überwunden.

Stets gedachten die Hermannstädter ihres Ortsgründers Hermann, über den wir gar nichts wissen. Dieser Unbekannte soll – frühen Legendenbildungen nach und bisher unwidersprochen – ein Ordensgeistlicher gewesen sein, der hier vermutlich im Auftrag des ungarischen Königshauses als Lokator die Ansiedlung deutscher Einwanderer durchgeführt hat. Wie der Träger eines germanischen Personennamens in den Amts- und Vertrauensbereich eines ungarischen Königs kommt, ist da die Frage. Der im Zuge der Christianisierung auf den Namen des Passauer Schutzpatrons getaufte Reichsgründer Stefan, Stefan I., Stefan der Heilige aus der Dynastie der Arpaden, hatte sich nach dem Tode seines Vaters tatsächlich mit deutscher Unterstützung durchgesetzt und strebte den Aufbau einer christlichen ungarischen Monarchie an. Im Jahre 1000 verlieh ihm der Papst Silvester II. im Einvernehmen mit Kaiser Otto II. – beide residierten freundschaftlich zusammenarbeitend in Rom – die Königswürde. Stefan organisierte daraufhin während seiner langen Regierungszeit Ungarn nach abendländischem Vorbild. Wohl aus politischer Überlegung hatte Stefan schon im Jahre 996 Gisela, die Schwester des Bayernherzogs Heinrich (und späteren Kaisers Heinrich II.), geheiratet. In diesem Zusammenhang wird erstmals ein Hermann in Ungarn genannt. Der Chronist des Arpadenkönigs Ladislaus IV., nämlich Simon von Kéza, vermerkte am Ende seiner die Zeitspanne 1272-1290 umfassenden Chronik: „Hermanns Geschlecht stammt aus Nürnberg, seine Mitglieder sind von anerkanntem Adel. Sie kamen mit Königin Gisela her“.

Die Diplomatik zu jener frühen Zeit, als es noch keine Familiennamen gab, kennzeichnete in den Urkunden die einzelnen Personen nach ihrem Amt oder nach ihren Besitzungen, was zur Folge hat, dass man europaweit frühen verwandtschaftlichen Zusammenhängen kaum nachgehen kann. Im Unterschied dazu stehen die Ungarn einzigartig da. Von ihrem ersten Auftreten in Europa an, als ihre Nation noch aus Verbänden einzelner Geschlechter bestand, notierten ihre Chronisten – dieses gerade auch in der frühen Arpadenzeit – zu den Personen, über die sie schrieben, auch deren Geschlecht, dem sie angehörten. Der Stolz, einem Urgeschlecht anzugehören, welches schon bei der Reichsgründung dabei war, wurde als Einrichtung selbst von eingewanderten Ausländern übernommen, die sich ebenfalls der Bezeichnung „de genere...“ – also von diesem und jenem Geschlecht – bedienten. Selbst wenn die Urkunden der frühen Zeit in dieser Beziehung lückenhaft und nicht konsequent ausgestellt worden sind, so lassen sich doch einzelne Familien, der geografische Raum ihrer Wirksamkeit, die Ämterbekleidung einzelner ihrer Mitglieder verfolgen.

Der Historiker Moritz Wertner ist beispielsweise einer jener, die während ihrer genealogischen und archontologischen Forschungen wiederholt auf einzelne Mitglieder vom Geschlecht Hermann gestoßen sind. Das Geschlecht der Hermann im Eisenburger Komitat, also im Westen Ungarns, bestand im 13. Jahrhundert aus Gutsherrn – unter anderem als Besitzer eines Stammgutes namens „Herman“ –, aus begüterten Personen, die am Kauf oder der Teilung von Landbesitz beteiligt waren, aus Personen, die in Mitgiftangelegenheiten verwickelt waren oder Richterkollegien und Schiedsgerichten angehörten wie auch Gerichtsaufseher waren.

Auch im Norden Ungarns gab es Vertreter des Geschlechtes Hermann, etwa Mathias von Meszes, der zuerst Probst des Zipser Domkapitels und dann Graner Domherr war, wonach der Nachkomme eines seiner Brüder, Demeter, Ofner Domherr und danach Bischof von Großwardein war.

Ferner gab es noch einen Ladislaus des Geschlechtes Hermann, der von seinen ungarischen Zeitgenossen, in Abkürzung von László, „Laczk“ genannt wurde. Seine zahlreichen Nachkommen erhielten alle den Beinamen „Laczkfi“, was in Übersetzung soviel wie „Söhne des Laczk“ heißt. Sie waren über das ganze Land verstreut und hatten zumeist hohe Ämter inne. Neben Oberstallmeistern, Obergespanen der Szekler oder Statthaltern von Neapel, die sie stellten, haben zwischen 1344 und 1376 allein sechs Träger des Beinamen „Laczkfi“ sogar die hohe Würde des Woiwoden von Siebenbürgen innegehabt.

Merkwürdig sind Erkenntnisse, zu denen der Heraldiker Albert Arz von Straussenburg gekommen ist, der die Veröffentlichungen aus dem Jahre 1898 des ungarischen Historikers Wertner kannte. Er stellte fest, dass der ostböhmische Ort Hermanuv Mestec – was soviel wie Stätte des Hermann heißt – ein Blatt im Wappen führt und dass auch andere Orte, deren Name mit dem Wort „Hermann“ zusammenhängt, ein Blatt im Wappen haben, während das Uradelsgeschlecht der Rathold ein, zwei oder gelegentlich auch drei Blätter im Wappen vorweist. Dazu muss man wissen, dass die Rathold zur Zeit der Vermählung der Königstochter Siziliens, Bussilla, mit dem Arpadenkönig Koloman, also im Jahre 1097, aus Süditalien kommend, in Ungarn eingewandert sind, wo sie sich ebenfalls im Eisenburger Komitat ausbreiteten, ja sogar dort im Laufe der Zeit in den Besitz von „Herman“, dem Stammsitz des Geschlechtes Hermann, gekommen sind. Unser Hermann kann somit mit dem gleichnamigen Geschlecht im Eisenburger Komitat in Verbindung gebracht und das Blätterdreieck im Hermannstädter Wappen auf den Stadtgründer zurückgeführt werden.

Dieser Auffassung schloss sich gelegentlich der bedeutende Kronstädter Heraldiker Josef von Sebestyén an. Ob es sich dabei um Seerosenblätter, Birkenblätter oder Blätter irgendeiner anderen Pflanze handelt, ist wissenschaftlich bedeutungslos und auch nicht beweisbar. Der Legende nach soll sich unser Hermann einen Herrenhof errichtet und um diesen die Ortsansiedlung vorgenommen haben. Dabei gehen die Meinungen über den Standort des Herrenhauses auseinander, wobei es Beweise über seine einstige Existenz nicht gibt. Lange Zeit glaubte man, die Siedlung sei genau im Jahre 1160 gegründet worden, wofür es aber keinen Beleg gibt. Dabei widerspricht diese Meinung nicht der wissenschaftlich begründeten Auffassung, der langwierige Prozess der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen sei zur Zeit des Arpadenkönigs Geisa II., also in den Jahren von 1141 bis 1162 besonders intensiv betrieben worden. Hermann erlebte hier die Gründung der Probstei, kannte sicherlich den Kleriker Magister Gocelinus, dem nachgesagt wird, er sei der Gründer von Zisterzienserklöstern in Ungarn gewesen – vielleicht in den Jahren von 1180 bis 1190 auch in Kerz – und sei als Dank dafür mit dem nahen Michelsberg belehnt worden. Ob unser Hermann auch noch den Abschluss der ungarischen Landnahme durch die Ansiedlung des Deutschen Ritterordens im Jahre 1211 seitens des Arpadenkönigs Andreas II. im Burzenland erlebt hat, entzieht sich unserer Kenntnis.

Sicher ist nur, dass die Hermannstädter an ihren Ortsgründer – wer immer er gewesen sein mag – noch lange ehrenvoll dachten. Ja sie setzten ihm sogar ein Denkmal. Erstmals erhalten wir Kenntnis über ein Hermann-Denkmal aus der Stadtbeschreibung „Cibinium“ des Chronisten Georg Soterius. Dieser bezog sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts ohne nähere Angaben darauf, dass das Volk das Standbild, welches vor dem Heltauer Tor in Hermannstadt zu sehen ist, Hermann, den Gründer von Hermannstadt, nennt. Weiteres erfahren wir aus einer Ausgabe vom Jahre 1784 der „Siebenbürgischen Zeitung“. Das steinerne Standbild befand sich damals auf der rechten Seite beim Ausgang des Heltauertorturmes. Es zeigte einen Ordensgeistlichen in rotbemaltem Pluviale. Auf dem Sockel der Bildsäule befand sich in gotischen Minuskeln die Jahresangabe 1470. Wer der Bildhauer war und wann er diese Plastik geschaffen hat, ist unbekannt. Es dürfte sich um eine Rundplastik gehandelt haben, die bisher kunstgeschichtlich nicht untersucht worden ist.

Die Plastik wurde vermutlich nach 1400 angefertigt, wobei ihr stilistischer Aufbau nicht bekannt ist, um nähere Zuweisungen vornehmen zu können. Ob die Statue vorerst andere Standorte in der Altstadt hatte, lässt sich ebenfalls nicht mehr feststellen. Eine mittlerweile verschollene Ziegel, die ebenfalls vom Heltauer Tor stammen soll und bruchstückhaft eine Inschrift aufwies, derzufolge dort etwas in Beziehung zu einem heiligen Grafen beziehungsweise Gräfen errichtet worden sei, ließ nicht nur den Gelehrten Mauritius von Kimakowicz schlussfolgern, Hermann habe hier in vorreformatorischer Zeit nicht nur den Status eines Schutzpatrons, sondern vielleicht auch den des Schutzheiligen gehabt. Das hieße, dass hier zwei Überlieferungen miteinander verschmolzen sind: die Überlieferungen über Hermann mit jenen über den zeitgleichen Hermann des Klosters Steinfeld bei Kall im Rheinland, einen Mystiker, der seinerseits mit der Behauptung, er sei mit der Gottesmutter vermählt, weithin Aufsehen erregte.

Verehrt wurde er als Heiliger auch in Siebenbürgen, und zwar jeweils an seinem Todestag, dem 7. April. Im Jahre 1839, als das Heltauer Tor abgetragen wurde, ist die Plastik von unbekannten Steinmetzen an ihrer Rückseite so umgearbeitet worden, dass sie in einer Nische aufgestellt werden konnte. Ihr neuer Standort befand sich im zweiten Stock des evangelischen Knabengymnasiums, also in der Brukenthalschule, und zwar bis zum Jahre 1908, als sie ins Brukenthalmuseum kam.

Die jüngste Beschreibung des Standbildes hat Ioan Albu, ein Historiker der Lucian-Blaga-Universität, im Jahre 2002 veröffentlicht. Danach handelt es sich nun um ein Torso aus Sandstein, mit Resten ursprünglicher Bemalung, dem der Kopf mit Barett und die Unterarme fehlen. Die Gestalt ist mit Albe, faltenreichem, ursprünglich tatsächlich rot bemaltem Pluviale sowie mit Kasel und Stola dargestellt. Die Statue trug einstmals einen langen Bart, dessen auf der Brust spiralförmig eingerollte Spitzen noch vorhanden sind.

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Ausschnitt aus Manfred Wittstock: Vom Straßendorf zur Haupt- und Hermannstadt, erschienen in „Hermannstadt. Fakten – Bilder – Worte“, S. 116 – 133, Herausgegeben von der Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt durch Dagmar Zink Dusil. Dieser Ausschnitt geht auf den Vortrag von Manfred Wittstock über Hermann zurück, gehalten am 24. Mai 2008 in Hermannstadt im Rahmen der 8. Begegnung auf dem Huetplatz und gelegentlich in der „Hermannstädter Zeitung“ erschienen.