„Hier muss jemand ständig arbeiten“

Kurzer Einblick in das Carina Lugauer Antiquariat in München

Im Münchner Carina Lugauer Antiquariat können Bücherfreunde gewiss etwas für sich entdecken.
Foto: die Verfasserin

Ein vierköpfiges Team ist für das Carina Lugauer Antiquariat tätig.
Foto: www.antiquariat-lugauer.de

DDR-Literatur, Horror, SF und Fantasy zusammen mit Märchen und Sagen, Biographien, Cartoons, Heimatromane und Literatur in fremden Sprachen – im Münchner Lugauer-Antiquariat ist etwas für jeden dabei.
Foto: Zoltán Pázmány

München, Augsburgerstraße, Mitte Juli. Nach einem starken Wolkenbruch am Morgen belebt sich die Innenstadt gerade wieder. An der Kreuzung zur Thalkircher Straße rennt ein grauhaariger Mann mit Brille. Kurz vor zehn, vor dem Lugauer Antiquariat, beginnt der Mitarbeiter des Geschäfts seinen Tag mit dem Glockenschlag. Er öffnet eine der beiden hellbraun bemalten Türen und macht sich an die Arbeit. Die zwei  neben der Tür stehenden Metalltische mit Sonderangeboten des Antiquariats kommen nicht von  alleine nach draußen.

Im Inneren des Ladens riecht es nach Geschichten und altem Papier, nach Buchstaben und Tinte. Es duftet nach alten, vergangenen Zeiten. Zwischen den vier Wänden des Antiquariats befinden sich unzählige Bücher. Sie liegen nicht nur auf den Regalen, sondern überall, auch in Kartons. Trotzdem findet der Mann  seinen Weg. Er ist noch nicht ganz fertig mit der Aufstellung der Bücher, schon taucht der erste Kunde auf: „Grüß Gott, Werner! Wie geht´s?“, sagt ein glatzköpfiger Mann und holt sein schwarzes „Sackerl“ aus Stoff hervor. „Hallo, ganz gut! Danke!“ erwidert der 65-jährige Werner Ahlers, der seit 1990 im Lugauer Antiquariat arbeitet, mit einem freundlichen Lächeln. Es ist offensichtlich: Es macht ihm immer wieder Spaß, bekannte Gesichter zu sehen. Sein erster Kunde nimmt sich ein Buch und geht an die Kasse. „Hör´ mal, hast du vielleicht irgendwelche Comics im Laden?“, fragt der Mann und gleich bekommt er als Antwort: „Sicher, in der Ecke in der Vitrine, links. Wenn du Hilfe brauchst, komme ich gleich.“ Während der Kunde ein Comicbuch für sein Enkelkind bezahlt, betritt ein neuer Kunde den Laden.

Eine junge Dame bewegt sich langsam im Antiquariat und bleibt vor dem ersten Regal stehen. Der gelbe, aus Holz angefertigte Tisch, an dem die Dame hält, trägt das Schild „Lieblingsbücher“. „Hallo, haben Sie schon ein Buch gefunden? Die dort, die haben einen Lieblingszettel drinnen. Das bedeutet, dass die früheren Besitzer der Bücher diese als Lieblingsbücher bezeichneten. Sie können ganz einfach auf dem Zettel lesen, warum sie das jeweilige Buch so lieb hatten und können sich vielleicht einfacher entscheiden“, sagt Werner Ahlers der jungen Dame, denn im Lugauer Antiquariat werden nicht nur Bücher sehr sorgsam behandelt, sondern auch Kunden. Zum Beispiel Bernard Schlinks „Der Vorleser“ wird von einer gewissen Rebeca Engel als „moderner Roman“ und „Wiedergeber der leidenschaftlichen Natur des Menschen“ charakterisiert. „Von über 600 Büchern mit Lieblingszetteln sind mehr als die Hälfte verkauft“, äußert sich dazu Werner Ahlers. Seit mehr als 60 Jahren orientiert sich der Laden der Familie Kuhn-Lugauer nach Werten wie Qualität, Vielfalt und Tradition. 1949  begann Hildegard Kuhn, die Gründerin und langjährige Besitzerin des Antiquariats, mehrere Holzkisten mit Vorkriegsliteratur für 80 Mark aufzukaufen, damals eine große Anschaffung. „Carina Lugauer, die Nichte meiner Schwägerin, kümmert sich seit 1998 um den administrativen Teil des Geschäft und ich um den Laden. Wir passen beide ganz gut zusammen“, erzählt Werner Ahlers.

„Sie sind zum ersten Mal hier, nicht wahr? Dann darf ich Sie durch den Laden führen“, spricht Ahlers die neue Kundin an. Die beiden stehen jetzt auf der rechten Seite der Vitrine und schauen sich ein hellgelbes, aus Karton gefertigtes Plakat an. „So, hier haben sie einen Überblick des Ladens“, sagt der Verkäufer und streckt seine Hand in Richtung des Schilds „Unsere Welt der Bücher“ aus. „Hier, am Eingang links, liegen die Westernromane und Heftromane, also Werke, die zur Trivialliteratur gehören. Weiterhin gibt es Bücher, die in eine Kategorie zwischen Krimi und Thriller einzugliedern sind, dann erstrecken sich bis in die Ecke des Ladens die klassischen Krimis. Dazwischen liegt eine Sonderkategorie: Romane aus fremden Ländern, also Romane, deren Handlung sich irgendwo im Fernen Osten oder in Afrika abspielt. An der Wand vorne liegen gebundene Romane und historische Romane, welche nach ganz bestimmten Kriterien eingeteilt sind. Wir haben Frühmittelalter-, Mitte Mittelalter und Spätmittelalterromane. Ganz rechts liegen DDR-Literatur, Horror, SF und Fantasy zusammen mit Märchen und Sagen. Zuletzt, in der Mitte, befinden sich Biographien, Cartoons, Heimatromane und Literatur in fremden Sprachen. Gleich…“, doch Werner Ahlers wird von einer alten Dame unterbrochen.

„Hallo, Werner! Das ist für dich. Ich komm´ später wieder.“ Ahlers begrüßt sie und nimmt der Frau die Tüte ab. Die alte Dame ist eine der treuesten Kundinnen des Antiquariats. Die Rentnerin wohnt in der Nähe und kommt mehrmals pro Woche zu Besuch. „Sie bringt mir Bücher und kauft auch welche von mir“, sagt  Werner Ahlers. Im Lugauer Antiquariat werden Bücher nicht nur verkauft, sondern auch gekauft. „Wissen Sie, ich bekomme täglich E-Mails mit Bücherangeboten, denn jeder glaubt, er habe einen Schatz in seiner Bibliothek, sagt Werner Ahlers sichtbar amüsiert. „Also, jetzt über die östliche Seite des Ladens: Ganz in der Mitte liegen Koch-, Tier-Gesundheits- und Pflanzenbücher. Auf der anderen Seite liegen Sport-, Kinder und Jugendbücher. Im Spiegel angeordnet sitzen Kunst-, Psychologie und Religionsbücher. Schließlich, auf den Regalen an der Wand, liegen Bücher über Reisen, Bücher über Bayern, auf Geschichte bezogene Bücher, Wirtschaftsbücher, Comics und ganz in der Ecke haben wir eine besondere Kategorie. Neben den Sprachwissenschaftsbüchern, die wir von einer Slawistin gekauft haben, liegen die Werke von Nobelpreisträgern und Belletristik. Auf dem Karton, der in Form eines Rohrs gebogen ist und von oben herabhängt, steht die ganze Geschichte der Nobelpreisträger in der Literatur. Und wenn Sie ein wenig mehr Geld in der Tasche haben, am Rande in der Vitrine, liegt neue Literatur.“ Die Vorstellung des Ladens ist jetzt zu Ende. Werner Ahlers bittet um Entschuldigung, gibt der Dame ein Visitenkärtchen mit der Webseite, auf der ungefähr 10.000 Bücher katalogisiert sind, und kehrt in den Laden zurück, denn schon ist wieder jemand im Antiquariat. „Ich komme gleich zurück. Hier muss jemand ständig arbeiten“, meint der Mann lächelnd.


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Oana Eremie studiert im ersten Jahrgang Latein und Germanistik an der West-Universität in Temeswar. Zu Jahresbeginn absolvierte sie ein Praktikum in der Temeswarer Lokalredaktion der ADZ und wurde im Sommer zum Ostkurs des Instituts zur Förderung des Publizistischen Nachwuchses (ifp) nach München eingeladen, wo sie über mehrere Wochen eine journalistische Ausbildung absolvierte. Den vorliegenden Text verfasste Oana Eremie im Rahmen des Ostkurses für angehende Journalisten.