Historische Enttäuschungen, moderne Perspektiven

Die deutsche Minderheit von der Gründung Großrumäniens bis zur EU-Mitgliedschaft

Es diskutierten Dr. Paul-Jürgen Porr (DFDR), der Bundesbeauftragte Dr. Bernd Fabritius, Daniel Seiberling (Leiter HSS) und Dr. Alexandru-Murad Mironov. Foto: George Dumitriu

Eine Grafik sagt mehr als 1000 Worte. Eigentlich ist es nur ein kleiner Balken auf dem Blog von Knut Krohn: „European History“  steht darüber. Links davon die Jahreszahl 1600, rechts 2000. Im ersten Jahrhundert dominiert auf der Skala die Farbe Schwarz – der Krieg. Das nächste Jahrhundert ist schwarz-weiß durchwachsen. Im übernächsten nimmt schon das Weiß überhand und im letzten gibt es nur noch zwei kleine schwarze Streifen darin. Weiß - das ist der Frieden. Wie aber garantiert man Frieden in einem bunten Völkergemisch? Was ist das bindende Element? Gibt es diese „Einheit in Verschiedenheit“, mit der man für die EU wirbt? Das „Friedensprojekt Europa“, das die Grafik so anschaulich verdeutlicht, gefährden vielerorts aufkommende Nationalismen. Gute Minderheitenpolitik in den Ländern ist daher ein wichtiges Element, um Frieden in Europa zu garantieren. Welche Rolle spielt Rumänien dabei? Wie sieht das die deutsche Minderheit?


Eine gute Minderheitenpolitik trägt dem Bedürfnis der Minderheiten nach Identität und Zugeghörigkeit Rechnung, fördert Sprache, Freiheit der Religion, Schutz des Kulturerbes, gewährt allen gleiche Rechte. Ihr Verständnis von Integration in die Mehrheitsgesellschaft bedeutet vor allem nicht, in derselben aufzugehen - sondern diese zu bereichern. Wenn Durchdringung existiert, kann die Minderheit auch Brückenbauer sein – zum Mutterland, zu anderen Minderheiten. Ein gutes Miteinander äußert sich aber auch dadurch, dass gemischte Familien entstehen. Wie soll man dazu stehen? Geht so die Minderheit nicht irgendwann verloren? Tatsächlich sind die Nachkommen gemischter Familien die besten Friedensgaranten: Wer zu einem Viertel Deutscher, Ungar, Serbe und Rumäne ist, für den sind ethnische Dünkel Unsinn. Hinzu kommt der Vorteil von Sprachenreichtum, die Fähigkeit, mehrere Kulturen zu verstehen und eine von klein auf verinnerlichte Toleranz. Auch biologisch kann eine gewisse Durchmischung sinnvoll sein: Ein zu eingeschränkter Genpool führt zu Intelligenzverlust und Verfall.

All dies sind Gedanken aus den Diskussionen, die sich im Anschluss an die Vortragsveranstaltung „100 Jahre Großrumänien – 100 Jahre Karlsburger Beschlüsse“, organisiert am 23. November von der Hanns Seidel Stiftung (HSS) im George- Enescu-Museum Bukarest, ergaben. Das stärkste Argument aber für die Bedeutung einer guten Minderheitenpolitik war: „In einem geeinten Europa sind wir irgendwann alle nur noch Minderheiten.“

Dissonanzen in der Sinfonie der Vielfalt

Das Zitat stammt vom Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul Jürgen Porr, einem der Hauptvortragenden der Veranstaltung, der die Situation der deutschen Minderheit seit den Karlsburger Beschlüssen, die Großrumäniens Minderheitenpolitik bestimmen sollten, bis zur Gegenwart beleuchtet. Weiters referierte Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten zum Thema „Karlsburger Beschlüsse und ihre Bedeutung für die deutsche Minderheit in Rumänien“. Das Spektrum rundet der rumänische Historiker Dr. Alexandru-Murad Mironov mit dem Vortrag „Die Große Vereinigung 2018 – Nation, Grenzen, Minderheiten“ ab.

Welche Rolle spielt Rumänien in diesem Sinne – gestern, heute, morgen? Immer wieder wird das Land wegen seiner beispielgebenden Minderheitenpolitik gelobt. Und die deutsche Minderheit in Rumänien gilt als veritabler Brückenbauer zwischen Vater- und Mutterland. Also alles in Butter? Völkervielfalt ist wie ein Orchester, vergleicht Kai Hennig, Gesandter der Deutschen Botschaft Bukarest. „Rumänien hat nun bald Gelegenheit, sich als Dirigent des EU-Rats zu bewähren.“ Doch für ein harmonisches Zusammenklingen in einer Sinfonie gilt es, Dissonanzen zu vermeiden. Die stören ausgerechnet jetzt den harmonischen Zusammenklang: Zeigen doch die wiederholten Angriffe auf die deutsche Minderheit, die im Wahlkampf 2014 begannen, wie schnell falsche Töne entstehen, die das ganze Lied verderben. „Wenn man die Entstehungsgeschichte des deutschen Forums verfolgt, dann ist es nur noch verstörend, wenn einige Angreifer so tun, als wäre es eine Nazi-Organisation“ entrüstet sich Dr. Fabritius. „Das ist in einem modernen Europa eine untragbare Entgleisung!“ Und warnt: „Die rumänische Regierung muss sich diese Angriffe zurechnen lassen, solange sie nicht effektiv etwas dagegen tut“. Erst im letzten Jahr wurde noch das 25. Jubiläum der deutsch-rumänischen Freundschaftsverträge gefeiert.

Hoffnungsträger 1919: die Große Vereinigung

Die gemeinsame Geschichte der deutschen Minderheit und Rumänien begann vor 100 Jahren mit der Großen Vereinigung, deren Jubiläum heuer gefeiert wird. Als Erste hatten sich die Deutschen aus der Bukowina für den Anschluss an Rumänien ausgesprochen. Auf der Basis der Karlsburger Beschlüsse, die den Minderheiten der zu Großrumänien hinzukommenden Gebiete verlockende Rechte zusagten – Unterricht, Verwaltung und Rechtssprechung in der Muttersprache, Religionsfreiheit, Versammlungs- und Pressefreiheit, Staatsbürgerschaft und Wahlrechte – hatten sich im Januar 1919 die Siebenbürger Sachsen, dann die Bessarabiendeutschen und die Banater Schwaben dafür entschieden. Bei der Entscheidung der Großmächte in Versailles bei den Friedehsverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg sei dies das Zünglein an der Waage gewesen, betont Dr. Porr. Als „nahezu visionär“ bezeichnet Dr. Fabritus, was in den Karlsburger Beschlüssen stand. Doch die Ernüchterung folgte auf den Fuß...

Um die Hoffnung zu verstehen, die die Große Vereinigung vor allem für die Siebenbürger Sachsen mit sich brachte, betrachten wir ihre Vorgeschichte: Von König Geza II. im 12. Jh. zur Verteidigung der Ostgrenzen des ungarischen Königreichs gerufen, band sie ein Treueversprechen an Ungarn. Im Gegenzug erhielten sie allerlei verbriefte Sonderrechte. „Doch als Wien 1867 seine schützende Hand zurückzog und Siebenbürgen Budapest untertänig wurde, begann ein Magyarisierungsprozess in Schule, Kirche, öffentlichem Leben – auch in der Südslowakei und der Voivodina“ erläutert Dr. Porr. „Die Rechte der Deutschen, der Serben, Slowaken wurden immer mehr beschädigt.“

Im Ersten Weltkrieg kämpften die Siebenbürger Sachsen noch mit Ungarn an der Seite der Zentralmächte - gegen Rumänien und die Entente. Rumänien fand sich unter den Siegermächten wieder. Als es um die Frage ging, was mit Siebenbürgen geschehen solle, plädierten die dort lebenden Rumänen für den Anschluss an Rumänien. Die Sachsen rangen noch eine Weile um die richtige Wahl. Ende Oktober 1918 hatten sie die Treuevereinbarung mit den Ungarn noch erneuert. „Doch die Doppelmonarchie versank im Chaos und die revolutionäre neue Regierung in Budapest verhieß nichts Gutes“, erklärt der Vortragende. Am 8. Januar 1919 tagten die 138 Vertreter der Siebenbürger Sachsen in Mediasch und erklärten sich geschlossen bereit für eine Vereinigung mit Rumänien. „Man kann also behaupten, dass die Siebenbürger Sachsen zu den Gründern von Großrumänien gehören“, folgert Porr.

Die große Ernüchterung

Doch die Versprechen der Karlsruher Beschlüsse wurden großteils nicht eingehalten, fährt Fabritius fort. Grund war die Zentralisierung des Landes, das nun von Bukarest aus verwaltet wurde und die rumänischen Politiker in Siebenbürgen, mit denen vorher verhandelt wurde, hatten dort auch nicht viel zu sagen.

Die Bodenreform von 1921 und die damit verbundene Enteignungswelle hatte vor allem für die Deutschen gravierende Folgen, so Fabritius. Sie wurden enteignet, noch bevor dies der Mehrheit geschah, präzisiert Porr. Auch die zugesagte Schul- und Kirchenautonomie fand in der Verfassung von 1923 keinen Niederschlag. Zunehmende nationalstaatliche Haltung und restriktive Minderheitenpolitik ließ die Unzufriedenheit unter den Deutschen wachsen.
Es war dies wohl auch einer der Gründe für die folgende Radikalisierung im nationalsozialistischen Regime, meint Fabritius. Unter Bevormundung des Deutschen Reichs, allerdings auf Beschluss der Bukarester Machthaber, wurden die deutschen Gemeinschaften fortan als „Deutsche Volksgruppe“ organisiert. 63.000 Mitglieder der deutschen Minderheit in Rumänien wurden durch ein zwischenstaatliches Abkommen deutschen Militärverbänden unterstellt. Die Deutschen aus der Bukowina und Bessarabien wurden nach Deutschland zwangsumgesiedelt.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgte dann die kollektive Bestrafung der ethnischen Deutschen. „Unabhängig von ihrem Anteil an oder ihrer Distanz zu den Greueltaten der Nazis“, betont Porr.
Ihre Zahl sank drastisch. Ursachen waren Krieg, Umsiedlungen, Deportation in die UdSSR, Abwanderung. In den 70er Jahren wurde diese auch aus Deutschland unterstützt: Für jeden Ausreisenden wurde je nach Ausbildung ein „Kopfgeld“ bezahlt. Nach der Revolution 1989 setzte dann der Massenexodus der Deutschen ein.

Das Deutsche Forum: Blick über den Tellerrand

Was hat uns die Große Vereinigung gebracht? Wenn man so will, dann hat sie indirekt die Gründung des Deutschen Forums eingeleitet. Denn in Großrumänien mussten sich die einzelnen deutschen Volksgruppen erstmals zusammentun. Ab jetzt gibt es überhaupt den Begriff deutsche Minderheit. Der Grund: Man hatte eine einzige, gemeinsame Stimme im Parlament. „Vorher war man einfach Banater Schwabe oder Siebenbürger Sachse gewesen“, erklärt Porr.
Das deutsche Bewusstsein begann sich in Rumänien zu entwickeln. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg nahm es pathologische Ausmaße an, fährt der Vortragende fort. „Bald wurde auch unter den hiesigen Deutschen mit Heil Hitler gegrüßt. Freilich gab es auch bei uns Anti-Faschisten, vor allem im Banater Bergland. Doch die Mehrheit war neutral oder pro-Hitler.“

Die Pflege deutscher Sprache und Kultur war auch im Kommunismus mit Einschränkung möglich, sodass die Gemeinschaft nicht auseinanderbrach. „Auch unsere Schulen durften wir behalten – ein Privileg im Vergleich zum übrigen Ostblock“, bemerkt Porr. So war es eigentlich selbstverständlich, dass man sich nach dem Umsturz 1989 sofort wieder organisierte: Das Deutsche Forum wurde gegründet.
Trotzdem ging die Auswanderungswelle weiter: „Im ersten Halbjahr 1990 saß jeder Zweite auf gepackten Koffern – man fragte sich oft, für wen man sich hier noch engagiert“, seufzt Porr. Von 250.000 Mitgliedern war die deutsche Minderheit innerhalb von zwei Jahren auf 120.000 geschrumpft. „Heute sind es noch 37.000“, ergänzt Fabritius. Die gute Nachricht: Obwohl heute massenhaft Rumänen das Land verlassen, sind darunter kaum noch Mitglieder der deutschen Minderheit. „Man kann sie an einer Hand abzählen“, meint Fabritius, der von Amts wegen die genauen Zahlen kennt.

Trotzdem sind die Beiträge, die die deutsche Minderheit in und für Rumänien leistet, beträchtlich. Von Deutschland wie auch Rumänien wird die deutsche Minderheit als Brückenbauer geschätzt. Das DFDR engagierte sich von Anfang an aktiv bei der Niederlassung deutscher Unternehmen in Rumänien, erinnert Porr. Und fährt fort: Die Stiftungen des Forums unterstützen Firmengründungen, fast 50 Prozent der Geförderten sind Rumänen. Das traditionelle Schulsystem der Deutschen in Rumänien besuchen heute zu 90 Prozent Rumänen. Es gibt Roma-Projekte des DFDR, oder Freiwilligenaktionen wie die Instandsetzung eines jüdischen Friedhofs. All diese großen und kleinen Beiträge demonstrieren Engagement, weit über den eigenen Tellerrand hinaus. „Jetzt, nach 100 Jahren, wünscht sich die deutsche Minderheit ein starkes und geeintes Vaterland, einen Rechtsstaat nach EU-Werten“, plädiert Porr. „Genau das, was die derzeitige Regierung verneint“, fügt er nachdenklich an.

 

Schlussbetrachtung: Während sich Nationalismus und politischer Opportunismus noch einmal auf bäumen, hier und dort in Europa, wie die Lebenskräfte des Moribunden kurz vor seinem Tod, wächst Europa leise an der Wurzel zusammen. Junge Leute, die im Ausland studieren, Ein- und Auswanderer, Arbeitsmigranten. Und als Folge gemischte Familien, und solche, die sich über mehrere Länder hinweg erstrecken. Wer kann dieses, sich immer stärker verwebende Netz jetzt noch auseinander reißen?

„Gerade Minderheitenpolitik ist wichtig, um aufkommende Nationalismen und Egoismen in der EU als Gefährdung des Friedensprojektes zu bezeichnen.“  Dr. Bernd Fabritius, Bundesbeauftragter für Aussiedler und Minderheitenfragen.

 

„Mischehen sind gut für den Frieden. Man muss nur das Problem der Assimilierung lösen, damit die Minderheit nicht verschwindet .“  Dr. Bernd Fabritius