„Ich bin ja kein Rassist, aber... die Zigeuner“

Mehr Aufklärung statt Diskriminierung gefordert

Stigmatisierung beginnt meist bereits in der Schule Foto: George Dumitriu

Die Statistik aus dem IRES-Bericht 2013 „Eindrücke und Einstellung zu Diskriminierung“ zeigt: Die meisten der über 18-jährigen 1415 Befragten schreiben der Roma-Ethnie eher negative Eigenschaften zu. Nur zwei Prozent halten sie für „normale Leute wie wir“, unter denen es eben „gute und schlechte“ gibt.

„Ich bin ja nicht rassistisch, aber ... Die Zigeuner. Die stehlen, sind faul, ungebildet und stinken.“ Wie oft hört man hierzulande solche und ähnliche Aussagen? Laut Duden ist die Definition von Rassismus „eine Einstellung, Denk- und Handlungsweise gegenüber Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen.“ Das bedeutet: Doch! Eine solche Aussage ist rassistisch. Leider wird in Rumänien die Diskriminierung von Roma häufig nicht einmal mehr als solche wahrgenommen. „Zigeuner“ gilt als Schimpfwort. Mitunter hört man schon mal von einer Mutter als Drohung an ihr Kind: „Wenn du nicht brav bist, schicke ich dich zu den Zigeunern.“ Damit wird eine rassistische Einstellung bereits im Kindesalter vorgeprägt.

Das rumänische Bildungssystem ist stark danach ausgerichtet, sich faktisches Wissen anzueignen. Jedoch fördert dies nicht unbedingt den kritischen Geist. Deshalb werden diskriminierende Aussagen der Eltern von den Kindern oft ungefiltert übernommen und reproduziert, anstatt sie zu hinterfragen. Rechtfertigungen für den Rassismus findet man darin, dass Roma angeblich kriminell seien, ihre Kinder minderjährig „verheiraten“, heimlich reich sind oder zu Integrierungszwecken bevorzugt werden, doch überhaupt nicht integriert werden wollen. Die Bestätigung dieser Unintegrierbarkeit findet sich dann in einer tatsächlich durch Armut und Diskriminierung hervorgerufenen Realität.

Wenn Diskriminierung populär macht

Die Historie der Diskriminierung von Roma reicht weit zurück. 400 Jahre lang wurden sie versklavt, bis ins 19. Jahrhundert. Im Zweiten Weltkrieg waren sie Opfer des Holocaust - obwohl darüber eine Erinnerungslücke vorhanden zu sein scheint. Bis heute steht es schlecht um die Roma: Sie haben das niedrigste Bildungsniveau, die schlechteste Gesundheitsversorgung und leben teilweise abgeschottet in Slums.

So mancher Politiker treibt es auf die Spitze - mit dem Bau von Mauern um Roma-Siedlungen, um sie völlig zu isolieren. So wie Hitler es einst mit den Juden getan hat.

Ein Beispiel: Der Bürgermeister der Stadt Baia Mare, Cătălin Cherecheş, ließ 2011 eine zwei Meter hohe Mauer um drei Roma-Wohnblocks bauen. Angeblich um die Kinder vor Autos zu schützen. Es hätte zu viele Unfälle gegeben. In Deutschland werden in solchen Fällen 30er Zonen für Autofahrer ausgeschildert. Auf die Frage, warum die Mauer denn so einschüchternd sein müsse, antwortete der Bürgermeister in einem Interview, dass eine Mauer aus Holz oder Metall von den Roma geklaut werden würde. Zwar wurde Chereche{ vom rumänischen Landesrat zur Bekämpfung von Diskriminierung für diese Aktion mit einer Geldstrafe belegt und die Mauer sollte fallen, aber sie steht noch. Er ließ sie bemalen und verkaufte dies der Öffentlichkeit als Kunst.

Dies ist nicht der erste Fall von Ghettoisierung in rumänischen Gemeinden. Während im vergangenen Jahr in Hamburg ca. 8000 Menschen auf die Straße gingen, um unter dem Motto „Die Stadt gehört allen!“ unter anderem gegen Rassismus und für ein Bleiberecht für Flüchtlinge zu demonstrieren, haben rumänische Kunststudenten die Mauer sogar noch „verschönert“, anstatt dieses menschenverachtende Werk niederzureißen. Laut der Tageszeitung „taz“ soll es sogar Leserbriefe an rumänische Zeitungen gegeben haben, in denen die Aktion begrüßt und als nachahmungswürdiges Beispiel bezeichnet wurde. Auch von „Ausrottung des Zigeunergesindels“ war darin die Rede.

2012 dann die nächste fragwürdige Aktion: Cherecheş lässt Roma zwangsumsiedeln, da die Häuser, in denen sie leben, kurz vor dem Verfall stehen - auf ein ehemaliges Chemiefabrikgelände, das nicht von Giftmüllrückständen befreit worden war. Mehrere Dutzend Roma erlitten schwere Vergiftungen. Besagter Bürgermeister wurde mit mehr als 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Seine diskriminierenden Aktionen scheinen ihm sogar noch Sympathien eingebracht zu haben.

Alarmierende  statistische Daten

Das Problem mit dem Roma-Hass ist, dass zu wenig hinterfragt wird.  Die Auswirkungen der sozialen Verhältnisse werden als „Eigenschaften“ der Roma verstanden. Wo liegen die Ursachen?

Die Arbeitslosigkeit unter Roma ist höher als im Durchschnitt.  Sie sind damit am stärksten von Armut betroffen. Stehlen liegt weder in ihren Genen noch in ihrer Kultur. So mancher stiehlt aus Verzweiflung, weil er nicht weiß, wie er sein Kind sonst füttern soll. Auch Betteln will kaum jemand freiwillig. Doch Roma sind nun mal diejenigen, die schwerer einen Arbeitsplatz bekommen.

Wenn Roma-Kinder die Schule nicht besuchen, liegt es oft an ihren sozialen Verhältnissen und an der Diskriminierung, die sie dort als Folge erleiden. Der Gedankengang „Wenn ich zur Schule gehe und einen guten Abschluss habe, dann bekomme ich Arbeit“ bestätigt sich nicht in ihrer Erfahrungswelt. Lebt man auf der Straße, denkt man in erster Linie daran, wie man sich etwas zu Essen verschafft. Der Gang zur Schule wird zur Tortur, wenn Roma-Kinder der Ausgrenzung zum Opfer fallen, gemobbt oder in Sonderschulen gesteckt werden, weil sie angeblich grundsätzlich dumm sind.
Wenn ein Kind, das in einem Slum aufgewachsen ist und dessen Eltern vermutlich selbst nie lesen und schreiben gelernt haben, nicht weiß, wie man einen Stift hält, dann liegt es nicht daran, dass es dumm ist, sondern einfach daran, dass es das noch nie gemacht hat. Genauso „dumm“ würde sich ein gebildeter Brite anstellen, würde man ihn in der Wüste nach Wasser suchen lassen.

Die Probleme, mit denen die rumänische Gesellschaft im Zusammenhang mit der Integration der Roma zu kämpfen hat, sind keine Phänomene der Roma-Kultur - sondern Bestandteil jeder Kultur, die von Armut betroffen ist. Doch wenn ein Obdachloser in Deutschland bettelt, stiehlt oder trinkt, behauptet man auch nicht pauschal, dass Deutsche stehlen, betteln oder stinken.

EU-Kritik: Mangel an politischem Willen

Dass wirtschaftliche und politische Bedingungen ausschlaggebend sind, wird vor allem deutlich, wenn man einen Blick auf kommunistische Zeiten wirft. Unter Ceauşescu gab es noch doppelt so viele Arbeitsplätze wie heute. Zu dieser Zeit waren die Roma deutlich besser integriert. Sie hatten Arbeit, konnten sich Essen kaufen, eine Wohnung leisten und ihre Kinder sauber zur Schule schicken. In Tschechien wurde in den 60ern der Integration zudem mit einem Slum-Verbot nachgeholfen. Es sollte keinen Roma-Anteil über fünf Prozent pro Gemeinde geben. Das Konzept hatte Erfolg.

Nach dem Fall des eisernen Vorhangs waren es jedoch die Roma, die als Erstes ihren Arbeitsplatz verloren haben. Jegliche Verbesserung war damit wieder zunichte gemacht. In einem Interview mit dem „Standard“ klagte  die schwedische EU-Ministerin Brigitta Ohlsson über den Mangel an Rumäniens politischem Willen. Dass trotz aller EU-Hilfestellungen die Regierung nicht gewillt sei, die Lebensumstände der Roma zu verbessern. Ex-Präsident Emil Constaninescu behauptete in einem Interview mit „Cicero“ sogar, dass es gar keine Diskriminierung von Roma in Rumänien gäbe. Zwar steht die explizite Diskriminierung von Roma mittlerweile unter Strafe, aber in weiten Teilen der Öffentlichkeit werden sie nach wie vor ausgegrenzt.

Eine Lösung ist weit und breit nicht in Sicht. Insbesondere, wenn ein Großteil der Bevölkerung nicht versteht, dass die Mehrheitsmeinung die Situation stark beeinflusst. Wenn Eltern ihren Kindern verbieten, mit Roma zu spielen, oder damit drohen, ihre Kinder von der Schule zu nehmen, wenn diese gemeinsam mit Roma unterrichtet werden, dann wird Segregation gefördert.

Rassismus in Rumänien verbreitet

Rassismus darf nicht gefördert werden und die rumänische Regierung steht in der Verpflichtung, sich dieses Problems anzunehmen. Eine rassistische Einstellung ist jedoch massiv verbreitet, wie Studien über Diskriminierung des rumänischen Instituts für Evaluation und Strategie (IRES) und des Landesrats für Bekämpfung von Diskriminierung (CNCD) aus dem Jahr 2013 aufklären. Demnach würden 48 Prozent der Befragten keinen Roma als Arbeitskollegen akzeptieren. 38 Prozent wollen nicht einmal in einer Stadt mit ihnen leben. Vorbehalte bestehen auch gegenüber anderen Minderheiten, wie  Deutsche und Ungarn, sowie für Menschen mit Behinderungen. Außerdem denken 82 Prozent, dass Roma während des Zweiten Weltkriegs nicht vom Genozid betroffen waren und 71 Prozent finden, der Holocaust sei kein Desaster gewesen. Schockierende Ergebnisse in einem Land, welches zu über 90 Prozent christlich ist. Besagen doch die ethischen Prinzipien des Christentums, dass man seinen Nächsten lieben soll.

Verständlich, dass die ein oder andere negative Erfahrung Vorbehalte erzeugt. Dennoch: Ich habe auch schlechte Erfahrungen mit Persern, Russen und Deutschen gemacht. Das bedeutet noch lange nicht, dass ich irgendeine Art von Hass gegen eine dieser Nationen hege, denn schwarze Schafe gibt es überall. Im Gegenteil: Andere Kulturen können ein Land bereichern. Wie es eben in Deutschland und den Vereinigten Staaten der Fall ist. In den Immigranten-Hochburgen erfreuen sich auch viele daran, was andere Kulturen mit sich bringen: Musik, Essen, Wissen. Deshalb zieht glücklicherweise jeder Nazi-Aufmarsch in Deutschland eine Gegendemonstration mit noch mehr Teilnehmern nach sich. Der Unterschied zu Rumänien ist, dass die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen dort eine friedliche Koexistenz möglich machen.