„Ich glaube, dass die Richtung stimmt“

ADZ-Interview mit Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen

Die hessische Delegation besuchte auch Hermannstadt. Auf dem Bild: Ministerpräsident Volker Bouffier und Ehefrau Ursula (Mitte) vor dem Ratsturm mit Landtagspräsident Norbert Kartmann und Konsulin Judith Urban (links) sowie dem Vorsitzenden der Freundschaftsgruppe Marburg-Sibiu Christopher Moss und dem Abgeordneten Ovidiu Ganţ.

Volker Bouffier, seit 2010 stellvertretender Vorsitzender der CDU und Ministerpräsident des Landes Hessen, vom 1. November 2014 bis 31. Oktober 2015 Bundesratspräsident, besuchte von Mittwoch bis Samstag vergangene Woche Rumänien. Nach politischen Spitzengesprächen in Bukarest, u. a. mit Staatspräsident Klaus Johannis und Premier Dacian Ciolos, reiste die hessische Delegation nach Hermannstadt/Sibiu, wo sie am Freitagabend an der offiziellen Eröffnung des neuen Sitzes des Deutschen Wirtschaftsclubs Siebenbürgen (DWS) teilnahm. Am Samstagvormittag fanden sodann mehrere Gespräche mit Vertretern der deutschen Minderheit in Rumänien, Bürgermeisterin Astrid Fodor und Reinhart Guib, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, statt, desgleichen traf sich die Delegation zu einer Diskussion mit Schülerinnen und Schülern des Brukenthalgymnasiums und besuchte die Kirchenburg in Heltau/Cisnădie. Auf der Fahrt ins einstige Weberstädtchen gewährte Ministerpräsident Bouffier ADZ-Mitarbeiterin Hannelore Baier das folgende Interview.

Herr Ministerpräsident, Sie führten Gespräche in Bukarest, reisten dann aber auch nach Siebenbürgen. Weshalb dieser Besuch in Hermannstadt?

Hermannstadt ist das Zentrum – jedenfalls verstehen wir das so – der Siebenbürger Sachsen, es war Kulturhauptstadt Europas. Wir haben davon gehört, dass Hermannstadt eine ganz tolle Entwicklung gemacht hat, es da keine Arbeitslosigkeit gibt, sich viel Industrie niedergelassen hat, und all das hat uns interessiert. Das hat viel zu tun mit Klaus Johannis, der hier Oberbürgermeister war, und deshalb sind wir nach Hermannstadt gekommen, um uns zu informieren, um zu schauen. Wir sind tief beeindruckt von der Gastfreundschaft, von der Stadt und ich glaube, ich spreche im Namen der gesamten Delegation, wenn ich sage, es war richtig, dass wir nicht nur Bukarest gesehen haben, sondern auch Hermannstadt.

Sie haben Gespräche mit Vertretern des Deutschen Forums geführt. Welches war Ihr Eindruck von den offiziellen Vertretern der deutschen Minderheit in Rumänien?

Ich habe sie beglückwünscht, weil ich zumindest in Europa keine Situation kenne, wo eine politische Vertretung einer Minderheit, einer kleinen Minderheit, im Stadtrat die absolute Mehrheit besitzt, und das schon seit mehreren Jahren. Das bedeutet, dass das Deutsche Forum ein hohes Vertrauen genießt, auch bei den 89 Prozent der Bürger, die nicht Deutsche sind, und das ist eine riesige Leistung. Die Vertreter der Minderheit halten deren Erbe hoch, aber mich hat beeindruckt, dass sie gesagt haben: Wir machen das nicht für die Deutschen, die paar, die noch da sind, sondern für unsere gemeinsame Zukunft. Ich glaube, das ist ein sehr guter Ansatz, und das ist wahrscheinlich auch der Schlüssel für den Erfolg. Die rumänische Bevölkerung vertraut den Deutschen und sagt, wenn wir die wählen, werden sie auch etwas für unsere Interessen tun, und das ist etwas völlig Ungewöhnliches, denn normalerweise sind Minderheitenorganisationen für die Interessen ihrer Volksgruppe unterwegs. Diese Entwicklung hier hat Erfolg, das kann man sehen. Wo gibt es eine Region in Europa, gerade auch in Süd- oder Osteu-ropa, wo alle Menschen Arbeit haben, wo es aufwärts geht, wo man spürt, hier ist eine dynamische Entwicklung. Deshalb verdient das Deutsche Forum unseren großen Respekt und unsere Anerkennung.

Im Gespräch mit Reinhart Guib, dem Bischof der Evangelischen Kirche, – der in Anspielung auf das reiche Erbe an Kirchenburgen sagte, „wir sind stein-reich aber dennoch bettelarm” – haben Sie auch die Finanzierungsfrage dieser Kirche angesprochen. Sehen Sie eine Zukunft für diese sehr klein gewordene Kirche?

Ich habe Bischof Guib zunächst einmal gratuliert, dass es gelungen ist, als Diaspora-Kirche überhaupt zu überleben. Die Diktatur, die kommunistische Zeit unter Ceauşescu – und nach der Auswanderung fast der gesamten Gemeinschaft nach der Wende ist diese Kirche von der Zahl der Mitglieder und der Pfarrer klein geworden, sie hat aber eine große Bedeutung nach wie vor. Die Finanzierung ist schwierig geworden und ich habe mich darum bemüht, dass wir auch helfen. Wir können die Finanzierung dieser Kirche nicht lösen, aber wir werden uns engagieren und auch mithelfen bei bestimmten Projekten, die hier umgesetzt werden. Ich bin sehr beeindruckt, was diese kleine Kirche alles macht im Bereich der diakonischen Einrichtungen bis zu Hospizen für todkranke Menschen. Es wird aber am Ende so sein, dass man wahrscheinlich irgendwann auch darüber nachdenken muss, ob die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sich nicht dauerhaft stärker engagiert.

Wie fanden Sie das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern des Bruken-thalgymnasiums?

Das Gespräch hat mir viel Freude gemacht und ich bin auch sehr dankbar, dass die Schülerinnen und Schüler extra dafür gekommen sind an einem schulfreien Tag. Sie haben einen guten Eindruck gemacht, sie haben klare Vorstellungen, sie waren sehr offen. Ich hatte schon den Eindruck, dass sie sich auch überlegen, wie ihre Zukunft aussieht und ich hoffe, dass sie, wenn sie nach Deutschland kommen, um zu studieren oder was auch immer, sie auch wieder zurückkehren, weil das Land diese jungen Menschen brauch . Ich war früher in kommunistischen Ländern auch in Schulen, da saßen sie alle wie Puppen und keiner hat sich getraut, etwas Falsches zu sagen. Das spürt man. Die Schüler im Brukenthalgymnasium haben einen prima Eindruck hinterlassen, sie haben gefragt, sagte einer etwas, hatte der andere eine andere Ansicht. Das sind junge Menschen, die in einer Demokratie aufwachsen, die keine Ängste haben müssen für das, was sie sagen, und die natürlich die Hoffnung haben, dass sie einen guten Beruf erlernen und der Abstand zwischen Rumänien oder auch Siebenbürgen und Deutschland nicht so riesig weit bleibt. Das wird zwar noch dauern, aber die Richtung stimmt.

Weil Sie die kommunistische Zeit angesprochen haben und auch mehrere Treffen in Bukarest hatten: Merkt man, wenn man aus Deutschland kommt, Reminiszenzen der kommunistischen Zeit, gibt es noch gewisse Unterschiede, wo man sagt, das kann nur am kommunistischen Erbe liegen?

Ich war vor sechs Jahren schon mal offiziell in Bukarest. Wenn ich das vergleiche mit jetzt, hat sich viel verändert. In Deutschland – und ich glaube nicht nur in Deutschland – ist Rumänien lange Jahre als brutale Diktatur wahrgenommen worden, irgendwo da bei Asien, weit weg. Später standen Armut, Roma, Korruption und abenteuerliche politische Verhältnisse bei der Wahrnehmung im Vordergrund. Ich habe in meiner Delegation Mitglieder, die zum ersten Mal in Rumänien sind, und die haben die gleiche Erfahrung gemacht wie ich damals: Man ist erstaunt und denkt, Donnerwetter, nicht überall, aber doch in vielen Teilen, das ist ein Land, das ist Mitteleuropa, hier gibt es vieles, was ähnlich ist wie bei uns. Wir haben viele Dinge, die uns verbinden. Und gerade wenn man eine Stadt wie Hermannstadt sieht, die ist sehr vergleichbar mit den alten k.u.k.-Städten, es ist schön renoviert, die Atmosphäre ist gut, es gibt hier eine moderne Industrie, vieles von dem, was mancher nicht mit Rumänien verbunden hat. Deshalb glaube ich, das Bild ist differenziert und es hat viel zu tun, gerade auch in Deutschland, mit dem Staatspräsidenten. Mit Klaus Johannis hat Rumänien jetzt einen Leuchtturm. Wir haben uns mit vielen Wirtschaftsleuten unterhalten, die sind nach Hermannstadt und Siebenbürgen gekommen, weil sie Johannis vertraut haben, und das gleiche gilt jetzt auch für Rumänien und die jetzige Technokraten-Regierung, die viel Vertrauen in Deutschland und Europa gewonnen hat. Die alten Seilschaften, die gibt es natürlich, aber die gab es bei uns auch. Wir sind 25 Jahre wiedervereinigt, die alten Seilschaften gibt es heute noch zum Teil in der ehemaligen DDR, sie sind aber nicht mehr so bedeutsam. Es braucht eben Zeit.

Sehr wichtig fand ich zwei Dinge, die ich so nicht erwartet habe: Das eine war die Anti-Korruptionsbehörde. Wie sie vorgeht, das ist unglaublich wichtig und das schafft viel Vertrauen. Wir haben mit Laura Codru]a Kövesi gesprochen, das Gespräch war sehr beeindruckend, das Handeln dieser Behörde muss weitergehen. Das zweite, das war für mich nicht weniger wichtig: Zu den geladenen Gästen gehörten beim Abendessen neben dem Abgeordneten Ovidiu Gan] und anderen Persönlichkeiten auch ein junger Professor, ein Theologe – Radu Preda –, der das Institut leitet, das sich mit den kommunistischen Verbrechen beschäftigt (das Institut für die Erforschung der Verbrechen des Kommunismus – Anm. HB). Ich finde es sehr bemerkenswert, dass das Land soweit ist zu sagen, es wird nicht alles unter den Teppich gekehrt, weil es leben ja noch jede Menge dieser Leute, sondern wir stellen uns dieser Vergangenheit, auch wenn sie weh tut. Das zeigt ein hohes Maß an demokratischer Reife. Diese beiden Dinge sind für mich eigentlich spannender als manches andere. Die Ökonomie, die Autos, die Straßen, die entwickeln sich, ist alles O.K., aber diese beiden Faktoren zeigen, dass das Land sich auf einem Weg befindet, den ich persönlich für sehr gut halte. Es wird dauern, es wird nicht alles so schnell gehen, wie mancher hofft, aber ich glaube, dass die Richtung stimmt.