„Ich rate den rumänischen Bürgerinnen und Bürgern, es den Politikern nicht zu leicht zu machen“

Abschiedsgespräch mit Andreas von Mettenheim, Deutschlands Botschafter in Bukarest

Nach vier Amtsjahren hat der deutsche Botschafter Andreas von Mettenheim Bukarest Ende Juni verlassen, sein Nachfolger Werner Hans Lauk trat seinen neuen Posten zu Beginn dieser Woche an. Von Mettenheim selbst will Rumänien jedoch auch weiterhin verbunden bleiben – er werde die Entwicklungen vor Ort „mit großer Spannung weiterverfolgen“, sagte der scheidende deutsche Spitzendiplomat ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica im Abschiedsgespräch. 

Herr Botschafter, Sie wurden vor wenigen Wochen von Staatspräsident Băsescu für Ihren Beitrag zur Entwicklung der deutsch-rumänischen Beziehungen mit dem Großkreuz ausgezeichnet und bezeichneten bei dieser Gelegenheit Ihren Posten in Bukarest als den „faszinierendsten“ Ihrer Karriere. Hatten Sie 2009 bei Ihrem Amtsantritt mit so viel „Faszination“ gerechnet?

Der Orden ist eine freundliche Geste, die ich für mein Land und meine Mitarbeiter gern entgegengenommen habe. Was die Faszination angeht: Das weiß man nie vorher. Wer Erwartungen hochschraubt, wird später schnell enttäuscht. Ich wusste wenig über Rumänien, aber ich hatte mir den Posten gewünscht, sogar – darüber habe ich bisher nicht öffentlich gesprochen – dafür gekämpft. Die Breite politischer, wirtschaftlicher und kultureller Handlungsmöglichkeiten ist unter den Bedingungen moderner Außenpolitik gerade im deutsch-rumänischen Verhältnis außerordentlich hoch. Dazu hat insbesondere die deutsche Minderheit mit ihrer völkerverbindenden Mentalität, ihren spezifischen Fragestellungen und ihren Einwirkungsmöglichkeiten beigetragen. Der „menschliche Faktor“ tat sein übriges.

Im Rahmen der Feierlichkeit wertete der Präsident, dass die Grundeinrichtungen des rumänischen Staates aus der schweren Politkrise des letzten Jahres gestärkt hervorgegangen seien. Teilen Sie diese Meinung?

Paradoxerweise ja. Per aspera ad astra. Nahezu allen Beteiligten an der Krise ist klar geworden, dass ohne ein Mindestmaß an Respekt vor Institutionen keine lebendige, am Gemeindewohl orientierte Demokratie möglich ist, gleichgültig ob vom Verfassungsgericht, den Strafverfolgungsorganen oder dem Parlament die Rede ist. Es gibt ein neues Klima der Zusammenarbeit, das Rumänien in der Innenpolitik hilft und nach außen sein Prestige stärkt. Dieses Klima muss jetzt sorgfältig und mit viel Fingerspitzengefühl gepflegt werden.

Beim jüngst erfolgten Antrittsbesuch von Premier Ponta in Berlin verwies Bundeskanzlerin Merkel ausdrücklich darauf, dass „für die deutsche Wirtschaft Rechtsstaatlichkeit, Verlässlichkeit der rechtlichen Regelungen, Kampf gegen Korruption und ein höchstes Maß an Transparenz besonders wichtig“ sind. Ist diese Botschaft Ihrer Meinung nach bei der rumänischen Seite voll und ganz angekommen?

Ich glaube schon. Aber man muss sich immer vor Augen führen, was in dieser Formel steckt. Hinter den Begriffen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Transparenz verbergen sich eine Unzahl oft miteinander verwobener und sich gegenseitig bedingender Faktoren. Hier muss man geduldig, Schritt für Schritt vorangehen. Verstanden ist das, umgesetzt werden muss noch vieles.

Die Bundeskanzlerin hat außerdem die Begleichung der hohen Schulden des rumänischen Staates gegenüber den hierzulande aktiven deutschen Unternehmen angemahnt – im Übrigen schon zum zweiten Mal binnen weniger Jahre. Wieso bleibt der Standort Rumänien trotz dieses Mankos für deutsche Investoren – siehe etwa Daimler – weiterhin attraktiv?

Die Neuinvestitionen deutscher Unternehmen in Rumänien sind Beleg dafür, dass Rumänien ein attraktiver Standort ist. Rumänien hat motivierte und sprachkundige Arbeitskräfte zu vergleichsweise immer noch günstigen Lohnkosten. In einigen Sektoren wie bei den Autozulieferern treten mit der verstärkten Ansiedlung von Unternehmen Cluster-Effekte auf, die sich gegenseitig verstärken. Es ist auch schon lange nicht mehr so, dass in Rumänien nur arbeitsintensive Handarbeit verrichtet wird. Deutsche Unternehmen investieren verstärkt in Forschung und Entwicklung. In den neuen Werken arbeiten die Angestellten an technischer Ausrüstung der neuesten Generation. Diese Entwicklung muss nun von einer intelligenten Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik begleitet werden. Vor allem an ausgebildeten Fachkräften unterhalb der Hochschulausbildung besteht ein riesiger Bedarf. Unser Stichwort dazu heißt immer: Ausbau der beruflichen Bildung, und zwar nach dem deutschen dualen System in Betrieben und Schulen gleichzeitig.

Die Attraktivität eines Standortes wird natürlich auch durch makroökonomische und politische Signale stark beeinflusst. Dass es Rumänien gelang, mit Hilfe des IWF und der EU in den letzten Jahren die makroökonomischen Rahmenbedingungen zu stabilisieren, war ein wichtiger Erfolg. Leider besteht das Problem der Schulden des Staates bei privaten Unternehmen fort. Darunter leidet vor allem der Mittelstand, den Außenstände rasch in existenzielle Nöte bringen können. Leider gehörte es zu den Konstanten meiner Zeit in Rumänien, dass ich mich dafür einsetzen musste, dass der rumänische Staat seinen Zahlungsverpflichtungen rechtzeitig nachkommt.

Premier Ponta schnitt in Berlin indes das Thema der deutscherseits befürchteten Welle von „Armutseinwanderern“ aus Rumänien an, nachdem Bundesinnenminister Friedrich diesbezüglich eine harte Gangart ankündigte. Wie will Deutschland sicherstellen, dass es dabei nicht zu Diskriminierungen gegenüber rumänischen Bürgern im Allgemeinen und Angehörigen der Roma-Minderheit im Besonderen kommt?

Zunächst muss ich immer wieder sagen: Die große Mehrheit der rumänischen Zuwanderer in Deutschland ist gut integriert und hat einen regulären Arbeitsplatz. Die Bundesregierung betrachtet auch weiterhin die Freizügigkeit als eine der wichtigsten Errungenschaften der EU, die wir beibehalten wollen. An dem Prinzip darf nicht gerüttelt werden.

Etwas anderes ist es, dass man versucht, offensichtliche Missbrauchstatbestände zu bekämpfen. Die sich hieraus ergebenden Lasten müssen die Kommunen tragen, die selbst hoch verschuldet sind. Sie müssen für diejenigen Zuwanderer, die nicht den Weg in den Arbeitsmarkt finden, soziale Leistungen erbringen, Schulplätze für Kinder zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass diese nicht unter unwürdigen Bedingungen hausen müssen. Dies alles überlastet viele Städte und Gemeinden. Deshalb müssen wir einerseits zusammen mit den Regierungen der Herkunftsländer  Wege finden, wie diesen Menschen zu Hause eine Perspektive geboten werden kann. Und andererseits müssen wir uns in Deutschland darum bemühen, diejenigen, die zu uns kommen, so gut wie möglich zu integrieren. Die rumänische Regierung hat uns ihre Zusammenarbeit in dieser Frage angeboten. Ich schließe völlig aus, dass dabei nach Staatsbürgerschaft oder Ethnie diskriminiert wird.

Nach seiner Rückkehr aus Berlin hat der Premier eine zweite deutsche Großinvestition hierzulande angekündigt. Können Sie das bestätigen und womöglich Details nennen?

Solche Mitteilungen überlasse ich lieber den Unternehmen, die ja auch das unternehmerische Risiko für ihre Investitionsentscheidungen tragen. Es freut mich aber sehr, dass wir im letzten Jahr ein Anziehen des Investoreninteresses aus Deutschland feststellen konnten.

In Rumänien wird derzeit bekanntlich an einer Verfassungsnovelle gefeilt, wobei Verfassungsrechtler bereits in etlichen Punkten Alarm schlagen. So etwa soll das Verfassungsgericht, das schon im letzten Jahr schwer unter Beschuss gestanden hatte, per Novellierung geschwächt werden – u. a. soll die Verfassungsgerichtsbarkeit für Parlamentsbeschlüsse wegfallen. Wie stehen Sie dazu?

Wir versuchen, die Debatte zu verfolgen. Das ist nicht einfach, denn die geplanten Verfassungsänderungen sind ebenso komplex wie die bestehenden Regelungen verwirrend sind. Wir Deutsche sind für ein starkes Verfassungsgericht, aber auch in Deutschland hat das Verfassungsgericht nur einen begrenzten Zugriff auf die Überprüfung von Parlamentsbeschlüssen. Letztlich kommt es darauf an, was politisch gewollt ist. Und das muss politisch breit diskutiert werden und darf sich nicht hinter einer nur scheinbar rechtstechnischen Diskussion verbergen.

Mir macht etwas Sorge der geplante Mandatsverlust bei Parteiwechsel. Ich verstehe sehr wohl, dass es viele Politiker und Beobachter des politischen Lebens geradezu in den Fingern juckt, hier etwas zu unternehmen. Man sollte aber darauf achten, dass man dabei nicht wichtige demokratische Grundprinzipien gefährdet. Nach deutscher Auffassung vertreten die Abgeordneten in einer parlamentarischen Demokratie das Volk und sind in der Wahrnehmung dieses Auftrags frei. Sie sind nur ihrem Gewissen verpflichtet und können wegen ihrer Entscheidungen von den Wählern und durch Nicht-Wiederwahl, nicht aber durch Abberufung zur Verantwortung gezogen werden.

Nach der Staatskrise vom letzten Sommer wertete der liberale Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, dass die EU Rumänien „viel zu früh“ aufgenommen hat, und plädierte für Strafmaßnahmen gegen korrupte Regierungen. Inzwischen hat die EU immer mehr „Sorgenkinder“: Neben Rumänien und Ungarn auch Bulgarien, wo die Massenproteste gegen das korrupte Establishment nicht abreißen, während in Tschechien die Regierung erst jüngst über eine spektakuläre Korruptionsaffäre stürzte. Was ist los in den neuen EU-Staaten? Rächen sich etwa all die ungemachten Hausaufgaben, kamen die Beitritte tatsächlich zu früh?

Die nachträglich geführte Debatte über den richtigen Zeitpunkt der Aufnahme eines Landes in die EU ist politisch schädlich. Richtig ist aber, dass die wirtschaftliche Integration und die demokratische Entwicklung in Europa nicht miteinander Schritt gehalten haben. Darüber müssen wir nachdenken. Mit dem Beitritt zur EU haben sich alle Mitglieder verpflichtet, bestimmte Standards wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und vieles mehr einzuhalten. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass diese Aufgaben mit dem Zeitpunkt des Beitritts abgeschlossen sind – um die Einhaltung dieser Kriterien müssen sich alle Mitglieder, alte wie neue, ständig bemühen. Auch in Deutschland mussten wir immer wieder an einigen Punkten nachbessern.

Rechnen Sie damit, dass sich die EU mittelfristig zu konkreten Strafmaßnahmen gegen korrupte Mitglieder durchringt – etwa beim Aufschnüren des Lissaboner Vertrags im Zuge der geplanten Fiskalunion?

Wir haben in letzter Zeit festgestellt, dass wir kein geeignetes Instrument haben, um rechtzeitig reagieren zu können, wenn es Beeinträchtigungen der Rechtsstaatlichkeit in EU-Ländern gibt. Deshalb hat der deutsche Außenminister zusammen mit seinen dänischen, niederländischen und finnischen Kollegen eine sogenannte Rechtsstaatsinitiative vorgeschlagen. Damit soll ein politischer Mechanismus geschaffen werden, der einen frühzeitigen Dialog über Rechtsstaatsverletzungen ermöglicht – und zwar mit allen Mitgliedsländern.

Abschließend einige Fragen persönlicherer Natur: Wollen Sie die Entwicklungen in Rumänien auch nach Beendigung Ihrer Amtszeit weiter verfolgen oder haben Sie vorerst genug von der „Dâmboviţa“-Politik?

Das Land hat mich so in seinen Bann gezogen, dass ich die Entwicklungen hier sicher mit großer Spannung weiterverfolgen werde. Damit, dass sich meine Perspektive verschiebt in Richtung sogenannter „unschuldiger Beobachter“, werde ich leben müssen.

Welche Erinnerung nehmen Sie nach vier Jahren Rumänien als angenehmste und welche als unangenehmste mit nach Hause?

Die Gespräche mit rumänischen Bürgern, die mir geduldig, selbstkritisch und mit viel Empathie ihr Land erklärt haben, zähle ich neben der Schönheit der Landschaft, den beeindruckenden Zeugnissen der Kultur, wobei mir diejenige der deutschen Minderheit besonders naheliegen, und dem gewaltigen Naturerlebnis des Donau-Deltas zu den ganz großen Eindrücken.
Unangenehmes? Ich bin nicht so stereotypisch der Diplomat, der so tut, als habe es das nicht gegeben. Auch für das Unangenehme werde ich bezahlt. Aber es hatte so wenig Bedeutung, dass es sich nicht einmal lohnt, sich daran zu erinnern.

Gibt es eine Empfehlung, mit der Sie sich von den rumänischen Bürgerinnen und Bürgern angesichts der geplanten wesentlichen Änderungen – Verfassung und Verwaltungssystem – verabschieden wollen?

Den Politikern rate ich, auch wenn sie von draußen gedrängt werden, große Reformen, insbesondere der Verfassung, mit etwas längerem Atem anzugehen. Was mir auch auffällt ist, dass man versucht, Fragen der politischen Kultur mit rechtlichen Mitteln zu lösen. Nehmen Sie das Problem des Parteiwechsels von Abgeordneten, die Mitgliedschaft von Richtern in politischen Parteien oder den Katalog von Inkompatibilitäten.

Nicht in allen Fällen kann hier eine Rechtsvorschrift das beabsichtigte Ergebnis herbeiführen. Den rumänischen Bürgerinnen und Bürgern rate ich, es den Politikern nicht zu leicht zu machen. Und wenn ich hinzufügen darf: Mir selbst würde ich – erneut nach Rumänien versetzt – raten, einen gewissen, im europäischen Rahmen sozusagen psychologisch vorgegebenen Hang zur Besserwisserei noch stärker zu bekämpfen. Der ADZ, der ich für die Zukunft alles Gute wünsche, kann ich den Vorwurf nicht ersparen, dass sie bei mir, wie Sie gerade sehen, den ersten Rückfall provoziert hat.

Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.