„Ich ziehe meinen Hut vor dem rumänischen Volk!”

Gespräch mit Dr. Boris J. Schneider, ehemaliger rumänischer Honorarkonsul in Wien und Niederösterreich

Boris Schneider rät: „Rumänien muss als Partner auf gleicher Augenhöhe betrachtet werden.“

Dr. Boris J. Schneider, geboren 1963 in Wien, Sohn eines Bankiers und Freund Rumäniens seit vielen Jahren, verheiratet, zwei Kinder, spricht fließend rumänisch, war für fast neun Jahre lang rumänischer Honorarkonsul für Wien und Niederösterreich, mit Sitz in Wien. Sein „rumänisches Jahrzehnt“ hat den Geschäftsführer im Auftrag der österreichischen Vienna Insurance Group zum Pendler zwischen den beiden Ländern gemacht. Heute kennt er Rumänien wie kein zweiter Österreicher und hat die Unterschiede der Mentalitäten verstanden. Als wir uns vor Ostern im Café Schottenring, unweit seines zentral gelegenen Honorarkonsulats, für das Interview getroffen haben, läutete sein Telefon ununterbrochen. Obwohl er gar nicht mehr im Amt ist, appellieren Rumänen und Österreicher weiterhin an ihn, bitten ihn um Hilfe. Er hat Rumänien lieben gelernt. Nun betreut er eigene Investitionsprojekte am Standort, zum Beispiel mit der Orthodoxen Kirche Rumäniens (BOR), ein Medienprojekt, sowie Unternehmungen im Bereich der erneuerbaren Energien. Er macht sozusagen als „Konsul für einen guten Zweck“ weiter und erzählt den ADZ–Lesern, warum. Das Gespräch führte Peter Lenz.

Länger als ein Jahrzehnt waren Sie Geschäftsführer einiger ausländischer Versicherungsgesellschaften (UNITA, ASIROM) in Rumänien. Glauben Sie, die Menschen und die Mentalität dieses Landes verstanden zu haben? Was könnte Ihrer Meinung nach das Credo der Rumänen sein?

Wenn man sich mehr als zehn Jahre intensiv mit einem Land beschäftigt, glaube ich doch, dass man danach einiges versteht. Vieles würde man vielleicht aus heutiger Perspektive und Erfahrung anders machen. Doch letztendlich zählt das reine Gewissen des sich Bemühens, immer das Beste versucht zu haben. Das Credo der Rumänen? Vielleicht, „life must go on“...

Österreicher kommen gerne nach Rumänien. Viele österreichische Unternehmen sind in Rumänien präsent. Geschieht die Kommunikation zwischen diesen auf gleicher Augenhöhe oder sprechen Men-talitätsunterschiede dagegen?

Zahlreiche Österreicher leben in Rumänien, und das schon seit Jahren. Viele sind froh, wenn sie nach Ablauf ihres Mandates wieder in die Heimat zurückkehren können. Keinen jedoch lässt das Land jemals wieder los. Wenn jemand länger in Rumänien lebte, wird ein Teil von ihm immer in Rumänien bleiben. Was mir halt nur fehlt, ist die gleiche Augenhöhe. Österreich hat sich in der Expansionsphase in Rumänien brilliant positioniert. In der Umsetzung, Weiterführung und im Ausbau dieser Position ist Österreich aber leider sehr ungeschickt. Die gleiche Augenhöhe ist nicht erreicht worden. Und der Österreicher, mit wenigen Ausnahmen, betrachtet Rumänien nach wie vor... als nicht gleichwertigen Partner. Was leider zu vielen Problemen führen kann. Das liegt aber wahrscheinlich an unserer berühmten „Mir san Mir“ Mentalität.

Was schätzen Sie persönlich an den Rumänen, die Sie kennengelernt haben?

Ich schätze an den Rumänen besonders ihre Weltoffenheit und den positiven Umgang mit Problemen, wie groß sie auch sein mögen. Somit sind sie dem Österreicher langfristig überlegen. Besonders schätze ich, dass der Rumäne kein neidischer Mensch ist, wo man in Österreich ja doch oft von der Neidgenossenschaft spricht.

Sind die Rumänen, ihre vormaligen Arbeitskollegen, wirklich so sprachkundig und kommunikationsfreudig, wie man ihnen nachsagt?

Die Sprachkundigkeit der Rumänen liegt im europäischen Durchschnitt. Die junge Generation hat dazu wesentlich beigetragen.

Als Krönung Ihres geschäftlichen Engagements in Rumänien wurden Sie am 1.9.2003 zum Honorarkonsul dieses Landes für zwei österreichische Bundesländer ernannt. War das damals eine Überraschung für Sie?

Meine Ernennung zum Honorarkonsul war sicher eine Überraschung, aber viel mehr noch eine große Ehre und Herausforderung. Es ist natürlich immer problematisch, seine eigene Leistung zu beurteilen – jedoch weiß ich, dass es kaum Honorarkonsuln gibt, die so engagiert für ein Land gekämpft haben, wie ich – und das mit messbarem Erfolg. Leider haben es die kleinkarierten Geister in Österreich teilweise nicht verstanden. Teilweise war ich auch bestürzt, wie feige und schmutzig so manche „große Herren“ in Österreich agierten. Die österreichische Presse ist heute voll mit Skandalen. Das war vor 15 Jahren nicht so. Darüber mache ich mir Sorgen zu Hause! 

Wenn Sie die letzten Jahre Ihrer Tätigkeit mit Rumänien analysieren würden, wie würden Sie diese beschreiben?

Rumäniens Zusammenarbeit mit Österreich hat in den letzten 15 Jahren mehrere Phasen durchlebt.
Die erste Phase: „ Rumänien, die große arme Unbekannte“, wo sich nur wenige Investoren ins Land trauten. Die junge Demokratie mit neuen/alten Parteien musste sich erst wirtschaftlich festigen – wie so viele Länder in dieser Region – als sie die ersten, wenn auch nicht so geglückten Privatisierungen durchführte.

Die zweite Phase war die Beitrittszeit Rumäniens sowohl zur NATO als auch zur EU. Eine Phase, wo sich Rumänien eindeutig für einen Europäischen Weg entschlossen hat. Österreich war damals anfangs eher skeptisch bis ablehnend, wurde aber danach durch Mitwirkung verschiedenster Kräfte zu einem wichtigen Vektor auf dem Weg zur rumänischen Vollmitgliedschaft. Hier bin ich besonders stolz, weil gerade mein Honorarkonsulat, mit wichtigen Beratern zur Seite, daran beteiligt war. In dieser Zeit fanden auch die Weichenstellungen für den Eintritt so mancher großer österreichischer Unternehmungen statt: OMV, Raiffeisen Bank, Erste Bank, Vienna Insurance Group etc.

Die dritte Phase war die Boom-Zeit vor der Wirtschaftskrise. Gerade in dieser Zeit wurde das Eine oder andere verabsäumt: Wir auf der Seite der Brückenbauer konnten uns gar nicht mehr erwehren vor Firmen, die nach Rumänien wollten, vor Vorträgen und Veranstaltungen. Auch der Polittourismus war so hoch wie nie zuvor. In Rumänien herrschte eine Stimmung nach dem Motto „Was kostet die Welt?“. Gewaltige Investitionen wurden getätigt, aber niemand dachte an eine Zeit, die kommen könnte, wenn dieser Boom einmal nachlässt. Damals hätte man schon verstärkt in die Infrastruktur und eine gezielte Stärkung der Klein- und Mittelbetriebe investieren müssen. Fehler, die man leider heute stark zu spüren bekommt. Schuld daran waren auch die Ausländer, die das Land mit Krediten förmlich zugeschüttet haben, vor allem im spekulativen Immobilienbereich. Der Wachstumswahn der Ausländer, gepaart mit unreifen Strukturen in Rumänien, führten dann zur nächsten Phase.

Die vierte Phase, die der Weltwirtschaftskrise und der Ernüchterung. Sicher kann Rumänien nichts dafür, dass in Amerika schon seit Jahrzehnten ein Hypothekengeschäft aufgezogen wurde, das irgendeinmal kollabieren musste, auch nicht, dass sich eine kleine Gruppe von sehr kreativen Spekulationsbankern gegenseitig mit Milliardenkonstruktionen überbieten wollten, und genauso wenig für die derzeit schwierige weltpolitische Situation, in der – nun geopolitisch – Rumänien eine wichtige Rolle spielt. Man hat leider die Chancen in der Phase drei verschlafen!

Und das Volk muss nun noch mehr leiden...

Die Rumänen haben sich in der Krise sehr tapfer geschlagen. Wenn auch das Eine oder Andere als unglückliche Entscheidung interpretiert wird, so glaube ich, dass auf der Maßnahmenseite keine politische Kraft – wenn auch zähneknirschend – wesentlich andere Maßnahmen gesetzt hätte. Diese Maßnahmen waren sehr schmerzhaft und ich ziehe meinen Hut vor dem rumänischen Volk, wie duldsam und verständnisvoll die Bevölkerung, mit wenigen Ausnahmen, reagiert hat.

Welche Phase kommt jetzt auf Rumänien zu?

Von der derzeitigen Situation wird man sich leider nur langsam erholen. Einen Boom, wie damals, sehe ich nicht mehr kommen. Aber es gibt großartige Möglichkeiten, gerade jetzt! Vielleicht dauert es ein wenig länger, aber was bedeutet heute noch die Zeit. Ich würde mir zwei Dinge wünschen: erstens, politische Stabilität auf breiter Basis. Wie kann man denn etwas weiter bringen, wenn man immer nur in der Ich-Dimension denkt und nicht nach dem Motto „Gemeinsam schaffen wir es“? Die Queen von England sagte einmal: „Willst du einen Weg schnell gehen, dann geh ihn alleine, willst du einen Weg lange gehen, dann gehe ihn gemeinsam“. Zum zweiten aber sollte Rumänien nur als Partner auf gleicher Augenhöhe angesehen werden!

Als Honorarkonsul erlebt man in so vielen Jahren sicher einiges. Können Sie sich an ein paar besondere Begebenheiten erinnern?

Wer glaubt, dass ein Honorarkonsul nur von einem Champagner-Event zum anderen geladen wird, irrt gewaltig. Entweder ist man mit dem ganzen Herzen dabei, oder man lässt es lieber bleiben. Ich spreche nicht nur von den erheblichen Kosten, die so ein Amt mit sich bringt, die man schließlich aus der eigenen Tasche bezahlen muss. Beinahe täglich war mein Konsulat die letzten Jahre für die rumänische Bevölkerung, sowie für österreichische Behörden, kulturelle Institutionen, Spitäler etc. zu erreichen. Insbesondere am Wochenende wurde ich oft von rumänischen Staatsbürgern kontaktiert, die in Not geraten waren. Da ist es natürlich erforderlich, dass man auch die Sprache versteht.

Wie gut sprechen Sie jetzt rumänisch?

Te inţeleg bine şi pot să răspund, puţin...

Haben Sie auch zur Gestaltung von politischen Besuchen beigetragen?

Sicher. Die vielen bilateralen politischen Besuche, die ich mitgestalten durfte, waren für mich eine große Aufgabe und Ehre, zumal nach jeder dieser Begegnung etwas weitergegangen ist. Wie spannend waren auch die vielen wirtschaftlichen Erfolge und Transaktionen zwischen den beiden Ländern, wie erfolgreich die eine oder andere kulturelle Veranstaltung, wie wichtig die vielen Sponsoring-Aktivitäten, diverse medizinische Donationen oder praktische Hilfe, wie Operationen von rumänischen Kindern!

Können Sie Beispiele nennen?

Da gab es Situationen, die einem sehr unter die Haut gingen: wenn man von einem Tankstellenpächter angerufen wird, weil ein Rumäne seine Brieftasche verloren hatte und darum nicht das Benzin bezahlen konnte. Oder eine Behörde ruft an, weil ein rumänischer Staatsbürger verstorben ist. Das wahrscheinlich schlimmste Erlebnis war, als ich eines Sonntags – ich saß gerade beim Familienmittagsessen, als der Anruf kam – zwischen einem Arzt im Wiener AKH und einem rumänischen Elternpaar übersetzen musste, um diesen mitzuteilen, dass ihr achtjähriger Sohn die Nacht nicht überleben würde. Umso mehr war ich sehr geehrt, als ich vor mehr als zwei Jahren vom rumänischen Staatspräsidenten mit einem der höchsten nationalen Orden ausgezeichnet wurde. 

2011 haben Sie die Geschäftsführung der lokalen ASIROM verlassen müssen. Ein echter Wermutstropfen, oder?

Ich glaube, es ist manchmal ganz gut, wenn man nicht zu lange an einem Sessel klebt. Ich habe sehr erfolgreiche Arbeit geleistet. ASIROM ist heute eine profitable Firma. Ich habe sie nicht nur gerettet, sondern auch in eine positive Zukunft gelenkt. Was will man mehr? Sicher liegen einem die vielen Mitarbeiter, die auch weiter an mir hängen, am Herzen. Ich bin aber nicht weg von dieser Welt.

Nach fast neun Jahren, Anfang 2012, wurde Ihr Honorarkonsulatsauftrag nicht mehr verlängert. Warum ist das passiert?

Die Geschichte mit dem Konsulat ist für mich nicht ganz klar, da ich bis heute in keiner Form eine offizielle Benachrichtigung bekommen habe. In den letzten zwei Jahren versuchten viele, einige davon unseriöse Kandidaten, sich dieser ehrenvollen Aufgabe anzunähern. Natürlich nur aus kommerziellem Interesse. Daraus entstand... ein Spiel, das mit meiner Leistung nichts zu tun hat. Eigentlich traurig. Schadet dem Ansehen der rumänischen Diplomatie enorm! Nichtsdestotrotz werde ich meine jetzigen Aufgaben in Rumänien mit hohem Engagement weiter führen.

Wie sieht nun Ihre Bilanz aus? War Ihr rumänisches Jahrzehnt eine schöne Zeit?

Meine Zeit in, mit und für Rumänien war eine wunderbare. Und sie wird weiter gehen. Ich möchte im Leben auch nie ein gewisses Maß an Selbstkritik verlieren: Sicher ist nicht alles so gelungen, wie ich mir das gewünscht hätte. Viele Faktoren tragen zum Gelingen einer Mission bei. Aber ich kann auch ein wenig stolz auf meine Tätigkeit sein, da ich sie mit Fakten unterlegen kann. Wenn man ein Land so lieben gelernt hat, verabschiedet man sich nicht einfach durch die Hintertür. Sicher werde ich Rumänien erhalten bleiben und an meinen Ideen weiterarbeiten.