Im Zeichen der Vielfalt

Săcele: Früher sieben Dörfer, heute Munizipium

In gleich vier Sprachen stellen sich die einstigen Dörfer von Săcele dem Besucher vor.

Mocani (linke Bildhälfte) und Tschangos, Illustration aus dem 19. Jh.

Die gute Stube eines Tschango-Hauses. Fotos: der Verfasser

Das Verwaltungszentrum von Săcele: der Libertăţii-Platz in Cernat

Ein Teil von Săcele mit dem östlichen Burzenland im Hintergrund

Der deutsche Name von Săcele lautet weiterhin Siebendörfer. Ungarisch wird dieselbe Ortschaft heute Négyfalu bezeichnet, was Vierdörfer heißt. Săcele kommt, laut Etymologen, von „săticele“, also kleine Dörfer. Seit 2000 ist diese Ortschaft, deren Zentrum nur 15 Kilometer von Kronstadts Stadtzentrum trennen, zum Munizipium ernannt worden. Mit seinen 320 Quadratkilometern gilt Săcele flächenmäßig als drittgrößte Stadt Rumäniens.

Das Verwirrspiel mit Namen und Zahlen kann weitergeführt werden: Ein „Săcele“ gibt es auch im Kreis Constanţa, rund 300 Kilometer entfernt. Das Dorf in der Dobrudscha heißt nicht zufällig so, denn die rumänischen Schafzüchter aus dem siebenbürgischen Săcele, die „Mocani“, haben auf diese Art die Erinnerung an ihre alte Heimat aufrecht halten wollen. In Săcele/Siebendörfer gibt es eine starke ungarische Minderheit, die Tschangos/Csángó/Ceangăi, die aber nicht mit jener gleichnamigen ungarischsprachigen Bevölkerungsgruppe aus der Moldau verwechselt werden soll. Und dann gibt es noch Roma, deren Zahl umstritten ist, weil die absolute Mehrheit von ihnen sich als Rumänen betrachtet. Einige dieser Besonderheiten von Săcele sollen hier kurz erläutert werden – aus der Sicht des Touristen, der eine Ortschaft entdeckt, die im Zeichen der Vielfalt und der Kontraste steht.

Hohenstein und Ciucaş sind im Stadtgebiet

Laut Angaben der letzten Volkszählung (2011) werden unter den rund 31.000 Einwohnern auch 75 Deutsche angeführt. Früher waren es doppelt bis dreimal so viele; die höchste Zahl erreichte die deutsche Bevölkerung mit 268 Einwohnern im Jahr 1956. Trotzdem haben alle Ortschaften, die bis 1950 „Siebendörfer“ bildeten, neben den rumänischen und ungarischen auch folgende deutsche Ortsbezeichnungen: Batschendorf/Baciu/Bácsfalu, Türkeschdorf /Turcheş/Türkös, Zernendorf /Cernatu/Csernátfalu, Langendorf/Satulung/Hosszúfalu, Tatrang /Tărlungeni/Tatrang, Pürkeretz /Purcăreni/Pürkerec und Zuisendorf/Zizin/Zajzon. Die letzten drei Dörfer bilden heute die Gemeinde Tatrang, so dass für Săcele das ungarische Négyfalu („Vierdörfer“) eher der Realität entspricht. Allerdings sind die ehemaligen vier Dörfer heute als Stadtteile des Munizipiums zu betrachten. Entlang der Hauptstraße gibt es viersprachige Schilder -zu Rumänisch, Ungarisch und Deutsch kommt noch Latein hinzu, die Sprache, unter denen die Dörfer in alten Urkunden benannt wurden -, die den Besucher informieren, dass er ein neues „Dorf“ betritt. Denn inzwischen sind diese Ortsteile zusammengewachsen. Hinzuzählen muss man heute noch den Ortsteil Gartschin/Gârcin bei der Ausfahrt nach Vălenii de Munte – eine der größten Roma-Siedlungen des Landes, Teil des Munizipiums Săcele. Für den Tourismus ist das ein Problem, denn das Roma-Viertel gilt als sozialer Brennpunkt und nicht als Sehenswürdigkeit (obwohl diese Möglichkeit in Betracht gezogen werden könnte).

In Săcele haben viele Häuser noch Hof und Garten, manche sogar Stall und Scheune. Aber es gibt auch Wohnblocks, die an die Jahrzehnte erinnern, als die Stadt dank dem Electroprecizia-Werk landesweit bekannt war als einer der Hauptlieferanten für elektronisches Zubehör der Dacia-Wägen. Ein ganz neues Wohnviertel heißt Bunloc und besteht aus Appartements, finanziert über die Landesagentur für Wohnungen (ANL). Viele Bewohner sind Kronstädter, die nur die Eisenbahnüberführung bei Dârste passieren müssen, um in Kronstadt zu sein. Lange Zeit führte die DN 1A (Kronstadt – Cheia – Vălenii de Munte – Ploieşti) mitten durch Săcele. Heute gibt es eine Umgehungsstraße, die den Verkehr entlastet und die Luftqualität verbessert. Die einzige Buslinie verbindet nicht nur die vier Ortsteile miteinander, sondern bringt täglich Pendler und Schüler nach Kronstadt. Eine Besonderheit dabei: der Preis der Fahrkarte ist geringer als jener für eine Fahrt innerhalb Kronstadts.

Die große Fläche der Stadt erklärt sich durch die Tatsache, dass zum Stadtgebiet der größte Teil des Hohensteins/Piatra Mare gehört und dass die Stadtfläche auch einen Teil des Ciuca{ einschließt. Sehenswürdigkeiten wie die Sieben-Leitern-Schlucht oder der Tamina-Wasserfall sind verwaltungsmäßig im Besitz der Stadt. Der Tourismus hat also gute Voraussetzungen. Bei den Sieben Leitern gibt es heute eine der größten Seilrutsch-Anlagen des Landes; Bolnok/Bunloc ist bekannt für die guten Windverhältnisse für Gleitschirmflieger. Die Seilbahn bringt sie schnell wieder hinauf auf den Berg für einen weiteren Abflug; im Winter kann man dort auch Ski fahren. Am anderen Ende der Stadt ist das Gartschintal ein beliebtes Ausflugsziel. Vor allem im Sommer kommen viele Familien hin, um auf den grünen Wiesen nahe am Bach einige Stunden im Freien zu verbringen. Auffallend sind die vielen Kirchen in der Stadt: ein Zeichen für die ethnische und konfessionelle Vielfalt ihrer Bewohner. Angeführt werden fünfzehn Kirchen: sieben orthodoxe, fünf evangelisch-lutherische, zwei reformierte und eine katholische. Hinzu kommen noch Bethäuser verschiedener neoprotestantischer Kulte, vor allem der Pfingstler.

Mocani und Tschangos

Ein Besuch im ethnographischen Museum der Stadt (Braşovului-Straße 153; Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 16 Uhr) liefert einen sehr guten Einblick in die Lebensweise der beiden Bevölkerungsgruppen, die S²cele früher wesentlich geprägt haben. Es handelt sich um die rumänischen Mocani und die ungarischen Tschangos.
Die Mocani züchteten Schafe und zogen mit ihren großen Herden im Winter bis in die Dobrudscha und zur Donau, sogar bis nach Bessarabien. Sie waren Meister im Verarbeiten von Milch und Wolle. Kronstadt bildete dabei einen nahen und großen Absatzmarkt. Andererseits hinterließen die Tracht der Rumänen aus der Kronstädter Oberen Vorstadt/Schei sowie Elemente der städtischen Kleidung ihre Spuren in der Tracht der Mocani und trugen so zu ihrem Identitätsbewusstsein bei. Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei den Tschangos festzustellen. Dort sind jedoch die sächsischen Einflüsse ausgeprägter. Tschangos und Mocani waren auch in ganz Siebenbürgen bekannte Fuhrleute. Ihre großen Pferdewägen gelangten sogar in die Moldau und in die Walachei, aber auch nach Budapest und Wien. Im Volkskundemuseum, das 1970 in einem alten Haus (vormals die Zinsabgabestelle der Ortschaft) als Abteilung des Kronstädter Volkskundemuseums eingerichtet wurde, ist eine Senne nachgestellt. Die Trachten beider Volksgruppen kommen ebenfalls gut zur Geltung. Werkzeuge samt einer alten Drehbank aus Holz sprechen vom handwerklichen Können. Ein besonderes Exponat ist die Tuchpresse, die bis vor wenigen Jahrzehnten von der Tuchmacherfamilie Be{chea verwendet wurde. Das Wolltuch wird dabei „gebügelt“, das heißt, zwischen Kartons und vorgewärmte Gusseisenplatten gelegt und gepresst. Im Hof des Museums ist auch eine der mit Wasserkraft betriebenen Walkmühlen zu sehen, so wie sie früher nicht nur in Dârste am Tömösch, sondern auch entlang des Tatrangs in Betrieb waren.

Über die Herkunft der Tschangos, die außer in Siebendörfer noch in den Burzenländer Gemeinden Geist/Apaţa, Krebsbach/Crizbav und Satu Nou/Neudorf leben, gibt es keine urkundlich belegte Gewissheit. Museumsmitarbeiter Csaba Both meint, dass sie sich irgendwann aus dem Szeklerland auch in S²cele (erste urkundliche Erwähnung 1366) angesiedelt haben. Sie waren fleißige Bauern und tüchtige Handwerker. Auch heute noch wird in der Gemeinde Tatrang der alte Borica-Tanz aufgeführt. Kleine Glöckchen an den Stiefeln, ein maskierter Stummer, „Kuka“ genannt, der Hauptmann mit dem Stab, der diesen Männertanz leitet, sind einige Details dieses Brauchs, der in Videoaufzeichnungen im Museum gesehen werden kann. In der „guten Stube“ eines Tschango-Haushaltes, die nur bei besonderen Anlässen genutzt wurde, fällt die bunte Bemalung der Truhen und der Holztäfelung auf, wie auch die in Handarbeit hergestellten und verzierten, auf einem Bett aufgeschichteten Polster. Teller und Kannen in Kobaltblau sind an den Wänden unter der Decke angebracht.
Săcele ist ethnographisch ein gut abgegrenztes Gebiet. In den sieben Dörfern von einst merkt man das heute nur noch im Museum – wo die letzten Spuren der Zeiten von Mocani und Tschangos tonangebend sind.