„In den ersten zwei Jahren war es sehr einsam“

Ein ADZ-Gespräch mit dem deutschen Schauspieler Georg Peetz

Georg Peetz lebt und arbeitet seit 2003 in Rumänien. Der deutsche Schauspieler spielte in zahlreichen Produktionen des Deutschen Staatstheaters Temeswar (DSTT) mit. Zuschauer durften ihn bereits als Andreij Vukhov in „Das Urteil“ sowie als Philip II. in „Don Carlos“ erleben. In der letzten Spielzeit spielte er unter anderem in László Bocsárdis Camus-Inszenierung „Das Missverständnis“ . In Rumänien lernte er seine jetzige Frau kennen und feierte Anfang August sein achtjähriges Jubiläum, seit er nach Temeswar umgezogen ist. ADZ-Redakteur Robert Tari sprach mit dem deutschen Schauspieler über seine Arbeit am DSTT.


Sie spielen seit acht Jahren in Rumänien. Unterscheidet sich die rumänische Spielweise stark von der deutschen?

Ich würde gar nicht so sehr sagen, dass es von der Spielweise einen so großen Unterschied gibt. Ich glaube, das hängt doch sehr stark vom betreffenden Regisseur ab. Auch in Deutschland ist die Brandbreite sehr groß. Und das sowohl horizontal als auch vertikal, also auch von gutem und schlechtem Theater. Das ist hier in Rumänien nicht anders. Und wahrscheinlich wird es kein Land geben, das immer nur ein Theater macht oder wo es nur gutes oder nur schlechtes Theater gibt.

Anders war das Verhältnis der Leute zur deutschen Sprache. Anders als mein Verhältnis dazu. Weil die deutsche Minderheit schrumpft, muss sich dieses Theater auch für andere Publikumsschichten öffnen. Das hat es ja auch getan und eine Menge Leute kommen auch in dieses Theater. Das heißt aber eben auch, dass in dieser Spielzeit wahrscheinlich außer Radu Nica kein Regisseur am DSTT gearbeitet hat, der Deutsch spricht. Wenn man die deutsche Sprache mag, ist das natürlich ein großer Nachteil. Ich sehne mich manchmal nach einem Regisseur, der auch mir dann noch helfen kann oder mich da weiterbringt. Im sprachlichen Ausdruck zum Beispiel, was hier kaum passiert, weil die Leute kein Deutsch sprechen.

Andererseits würde ich doch dafür plädieren: Lieber ein guter Regisseur, der kein Deutsch spricht, als ein schlechter Regisseur, der Deutsch spricht. Also so jemanden wie László Bocsárdi, den ich für einen wirklich guten Regisseur halte. Das war natürlich eine großartige Erfahrung und eine wirklich große Freude, mit diesem Mann zusammenzuarbeiten, auch wenn er nur 20 Wörter Deutsch spricht. So etwas würde ich allemal vorziehen, als einen Mann, der sehr gut Deutsch spricht und da auch vielleicht sprachlich die eine oder andere Finesse rauskitzeln kann, aber sonst nichts im Kopf hat oder nichts will mit dem Stück.

Welches sind die Unterschiede zwischen deutschen Theatern und dem Deutschen Staatstheater Temeswar?

Ein großer Unterschied ist, wenn ich es mit jedem anderen Theater vergleiche, in dem ich in Deutschland war, dass das Durchschnittsalter wesentlich kleiner ist. Dass ich, jetzt ist auch Franz (Kattesch Anm. d. Red.) noch gekommen, aber dass ich, was die Männer angeht, lange Zeit der Opa hier war mit Anfang 40 oder so. In Deutschland ist das natürlich anders.

Da hast du zwei, drei, vier Leute um die 40-50 Jahre, dann hast du noch zwei mit 60, dann noch einen ganz alten. Das ist einfach so. Manchmal wünsche ich mir natürlich auch, dass es noch jemanden gibt. Ich freue mich immer wieder, wenn ich mit Ida (Jarcek-Gaza-Anm. d. Red.) zusammenspiele, weil dir dann noch etwas an Erfahrung entgegenkommt. Und dass bei Ida immer gekoppelt, weil sie natürlich eine andere, engere Beziehung zur deutschen Sprache hat, als viele junge Leute. Sie ist in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen, als Deutsch in dieser Stadt noch viel wichtiger war. Von Ida bekomme ich natürlich mehr, als jetzt von einem 20-jährigen Schauspieler, der vielleicht auf der Schule ist oder die Schule gerade abgeschlossen hat.

Was waren Ihre persönlichen Schwierigkeiten in den ersten Jahren in Rumänien?

In den ersten zwei Jahren war es sehr einsam, sobald man das Theater verließ oder manchmal auch schon im Theater, weil man eben nicht die Sprache beherrschte. In dem Moment, in dem man in einer kleinen Gruppe sprach, sprachen die Leute, wenn sie nicht mit mir sprachen, sofort Rumänisch. Das gibt dir natürlich immer das Gefühl – das war natürlich nicht intendiert von den Leuten, aber es gibt dir immer das Gefühl – draußen zu sein. Du bist es einfach. Du kommst dir einfach immer vor wie ein Depp. Du sitzt da und du verstehst nichts. Das ist kein angenehmes Gefühl. Klar, sobald man dann rausging und ein Bier trank, war es besonders schlimm. Das war nicht wirklich stimmungsfördernd.

Als dann mein Rumänisch besser wurde und ich zumindest die Sachen in einem Gespräch zu rund 95 Prozent verstand, fühlte ich mich wesentlich besser, weil man nicht das Gefühl hatte, permanent draußen zu sein. Das hat mit der Arbeit nichts zu tun, aber das war das, was für mich immer wieder nicht einfach war.

Von der Arbeit her bestand die Herausforderung darin, dass man mit jungen, unerfahrenen Leuten zusammenarbeiten musste und das fordert dich sowohl im positiven als auch im negativen Sinn anders, als wenn man mit Schauspielern zusammenarbeitet, die ähnliche Erfahrungen haben wie du.

Auch der gewisse Mangel an Disziplin war für mich was völlig Neues. Das kannte ich einfach nicht. In Deutschland machst du dir darüber keine Gedanken. Wenn die Probe um 10 Uhr anfängt, dann fängt sie um 10 Uhr an. Wenn man sich vorher noch umziehen und warm machen muss, dann ist man eben vorher da, weil um 10 Uhr die Probe beginnt. Das ist in anderen Ländern wie zum Beispiel Rumänien anders. Oder zumindest war es anders. Denn es läuft am deutschen Theater ziemlich gut, also zumindest für mich. Ich fühle mich in dieser Hinsicht da relativ zuhause. Da gibt es eigentlich selten Proben, die irgendwie nicht halbwegs pünktlich anfangen. Das habe ich dann an anderen Theatern anders erlebt als hier. Das kommt mir in einer gewissen Weise entgegen.

Sie unterrichteten auch an der deutschen Schauspielschule Temeswar. Wie haben Sie ihre Zeit als Schauspiellehrer empfunden? 

Mir hat es großen Spaß gemacht, weil es etwas ganz anderes ist, als wenn man als Schauspieler, als Kollege mit jemand arbeitet und dann immer noch seine eigene Rolle im Kopf hat. So kannst du dich wirklich nur darauf konzentrieren: Da ist jemand da unten und er versucht, etwas zu machen. Du kannst es dir anschauen und sagen: Schau mal! Probier einmal das und das. Das ist gut, das noch nicht.

Ich fand auch die Leute der beiden Jahrgänge, mit denen ich gearbeitet habe, super. Mit Radu Vulpe, Ramona Olasz und Andrea Nistor zusammenzuarbeiten, hat mir großen Spaß gemacht. Ich fand, die Leute waren da einfach extrem motiviert und haben da einfach sehr gut mitgearbeitet, was schon mal ein großer Pluspunkt ist, wenn das einfach da ist. Gleichzeitig glaube ich, dass an dieser Schule zu wenig gemacht wird. Da kann ich nur über die beiden Jahre reden, wo ich da gearbeitet habe.

Was da parallel an Unterricht lief, außer meinen Stunden und den Stunden vom Sprecherzieher, damals war es Simon Schlingplässer, das ist sicherlich viel zu wenig für eine Schauspielschule. Das hat mich nicht ungerührt gelassen, weil ich das auch in meiner Arbeit sehe. Da kommen viele Sachen zusammen: Sprechen, Bewegung, szenisches Studium. Das kann nicht nur der Rollenlehrer leisten, da müssen auch andere Bereiche dazukommen, die zumindest in dieser Zeit nicht vorhanden waren. Vielleicht auf dem Papier, wenn überhaupt.

Das Deutsche Theater Temeswar hat die 59. Spielzeit  hinter sich. Wie schätzen Sie das Jahr ein?

Zum Teil sehe ich es auch als Zuschauer, weil ich beispielsweise in „Der Hässliche“ und „Das Mädchen im Goldfischglas“ nicht mitgewirkt habe. Ich kann nicht sagen, dass mir alle Inszenierungen gefallen haben, überhaupt nicht. Ich finde, dass grundsätzlich der Weg, den die Leitung des Theaters zu gehen versucht – eben sehr hochkarätige Regisseure zu holen – ein absolut gangbarer Weg ist, der immer wieder auch für hohe Qualität sorgen kann.

Gleichzeitig ist ein großer Name nicht mit einem garantierten Erfolg gleichzusetzen, das ist eben im Theater so. Du kannst nicht sagen, ein guter Regisseur oder ein bekannter Regisseur oder ein teurer Regisseur macht immer großartige Inszenierungen. Das ist so und das hat für mich diese Spielzeit gezeigt, was aber nicht heißt, dass man nicht weiterhin danach streben sollte, ganz hervorragende Regisseure zu suchen, weil das natürlich am Theater die entscheidende Position ist.

Etwas anderes, womit das DSTT nicht allein ist: Die Ausstattung scheint immer wichtiger zu werden. Diese Entwicklung fällt mir schon seit einigen Jahren auf und ist für mich auch in dieser Spielzeit am Deutschen Staatstheater deutlich geworden. Sowohl wenn man sieht, wer da ausgestattet hat, als auch wenn ich mit Leuten rede, die mir erzählen, wie sie das Stück fanden. Du hörst bei fast jedem Stück, nach jeder Inszenierung ziemlich schnell den Satz: Ah, das Bühnenbild war toll. Und das ist ja richtig, ich meine Herr Buhagiar oder Herr Stürmer oder Frau Pandura oder wer auch immer, sind ja nicht irgendwelche Anfänger, die erst ihr zweites Bühnenbild zusammenstellen. Das sind ja hochkarätige Leute.

Ich muss gestehen, ich kann diesen Satz nicht mehr hören. Weil er für mich zu schnell und zu früh kommt. Weil ich denke: Das Erste muss das Stück sein. Das, was da passiert ist, theatral und der Träger für theatrale Momente ist für mich das Zentrum, der Schauspieler. Das sehe ich dann natürlich vielleicht auch subjektiv, weil ich selber Schauspieler bin, mir geht es aber auch als Zuschauer so.

Wenn ich ein Stück sehe, da ist nichts und da sind drei Spieler und die hauen mir da ein Stück um die Ohren, dann denke ich nicht darüber nach, dass es da eigentlich kein Bühnenbild gab. Andererseits interessiert mich ein großartiges, verrücktes, visuell interessantes Bühnenbild vielleicht mal zehn Minuten. Dann habe ich es gesehen, und wenn dann auf der Bühne nichts passiert, wenn die Geschichte langweilig ist, wenn dem Regisseur nichts eingefallen ist, wenn die Schauspieler schwach sind oder alles zusammen, dann nützt mir das schöne Bühnenbild nichts. Dann ist es für mich irgendwie Ausstattungstheater.

Diesem Trend der Zeit kann ich nicht so folgen und es entspricht meiner Ansicht von Theater nicht wirklich. Mich macht es auch nicht wirklich glücklich, dass ich permanent zu hören bekomme: Ja, das Bühnenbild war ganz toll.