In die Rolle eines Stadtrates geschlüpft

Honterus-Schüler beteiligen sich an einem Planspiel für Kommunalpolitik

Kronstädter Lyzeumsschüler zusammen mit Bürgermeister George Scripcaru (vordere Reihe) und Stadtrat Christian Macedonschi beim Bürgermeisteramt Kronstadt.

Politikverdrossenheit ist leider nichts Neues. Erst recht nicht in Rumänien, wo sich zu viele Politiker keines guten Rufes erfreuen. Korruptionsskandale, nicht eingehaltene Wahlversprechen, gegenseitige Angriffe und Beschuldigungen, nicht klar definierte Partei-Ideologien sind einige Gründe dafür. Jugendliche, die sich für politische Themen interessieren oder sogar politisch aktiv sind, sind zu einer Seltenheit geworden. Außer Schule und Hausaufgaben gibt es für den Großteil der Jugendlichen in ihrer Freizeit wohl viel Interessanteres auszuprobieren und zu erleben als Politik.

Trotzdem kann Politik jungen Leuten attraktiver näher gebracht werden, wenn man versteht, wie Entscheidungen getroffen werden, wie die Spielregeln lauten und wenn man tatsächlich aktiv mitspielen, eigene Interessen vorstellen und verteidigen kann.

Die Vertretung der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bukarest geht seit mehreren Jahren einem Projekt nach, das sich international bewährt hat und das nun auch in Kronstadt/Brașov mit Unterstützung des Honteruslyzeums und des Kronstädter Stadtratsmitgliedes seitens des Deutschen Forums, Christian Macedonschi, umgesetzt wurde. Es handelt sich um ein Planspiel, in dem den Schülern Kommunalpolitik vorgestellt und erklärt werden soll. In Kronstadt fand das im Zeitraum 15. bis 24. November unter Anleitung eines FES-Trainers statt.

Zunächst konnten 22 Schüler aus den Lyzeumsklassen für dieses Projekt gewonnen werden sowie einige Stadträte, die sich bereit erklärten, sich mit ihnen über ihre Arbeit und Erfahrungen auszutauschen. Diese waren, außer Christian Macedonschi, Vertreter mehrerer Parteien: Alexandra Crivineanu (PSD), Adina Donosă (PER), Sebastian Rusu (PNL), Làszlo Barabàs (UDMR), der als stellvertretender Bürgermeister im Planspiel die Rolle des Bürgermeisters übernahm, sowie der parteilose Stadtrat Șerban Șovăială. Dann wohnten die Schüler einer Stadtratssitzung bei und konnten sich so ein erstes Bild machen, wie eine Sitzung verläuft, welche Atmosphäre da herrscht, wie argumentiert und abgestimmt wird. So mancher Schüler hat bei dieser Gelegenheit auch erfahren, dass die Stadtratssitzungen öffentlich sind.

In einer nächsten Etappe erhielten sie vom FES-Trainer einen Einblick in die Art und Weise, wie Beschlüsse gefasst und umgesetzt werden, wie der Stadtrat samt Ausschüssen und politischen Fraktionen funktioniert und mit dem Bürgermeister und seinen Mitarbeitern zusammenarbeitet. Wichtig war zu erkennen, welche Themen für die Gemeinde und besonders für die Jugend relevant sind, was davon auf lokaler Ebene auch verwirklicht werden kann. Der rein theoretische Rahmen wich konkreten Vorstellungen: Die Honterus-Schüler organisierten sich in mehrere Stadtratsfraktionen, symbolisch benannt nach Farben: die Weiße Partei, die Blaue Partei, die Rosa Partei. Denn sie sollten in der Finalphase des Projektes eine Stadtratssitzung nachspielen und dabei selber das Wort ergreifen, Argumente vorbringen, Kompromisse suchen, eventuell auch streiten, aber sicher in einer zivilisierten, konstruktiven Art und Weise. Als Themen hatten die Schüler an die Schneeräumung gedacht, aber auch an Bereiche, die sie direkt interessierten, wie Kulturevents, Förderung der besten Schüler für ihre Verdienste, bessere Bedingungen für Radfahrer, Bike-Sharing.

Bis zu ihrer fiktiven Sitzung gab es noch die Möglichkeit des Austausches mit den erwähnten Stadtratsmitgliedern. Diese beschrieben ihre Arbeit und begrüßten das Interesse der Schüler für kommunalpolitische Bereiche. „Es würde mich freuen, die Schüler zukünftig als aktive Bürger in der Gestaltung der Lokal- und Kommunalpolitik eingebunden zu sehen“, sagte Șerban Șovăială. Christian Macedonschi betonte, dass auch Schüler anderer Lyzeen bei ähnlichen Projekten mitmachen sollten, damit sie, und über sie auch ihre Eltern, eine aktivere Rolle im politischen Leben der Stadt wahrnehmen. Alexandra Crivineanu begrüßte die FES-Initiative, die, außer der Wahrung sozialdemokratischer Prinzipien, sich auch für die Erziehung der Schüler einsetze betreffend Bedeutung und Funktionsweise der Lokalverwaltung.

Eine ähnliche Veranstaltung, bei der 40 Schüler von Lyzeen aus Kronstadt, Săcele, Fogarasch/Făgăraș und Zeiden/Codlea teilnahmen, fand nachträglich im Rahmen des Projekts „Leader von morgen“ statt, organisiert vom Verein der Kronstädter Geschäftsfrauen und Betriebsleiterinnen (AFACI). Die Schüler wurden vom Kreisratsvorsitzenden Adrian Veștea sowie vom Kronstädter Bürgermeister George Scripcaru empfangen. Scripcaru unterstrich, wie wichtig es sei, dass Jugendliche sich für Kommunalpolitik interessieren, denn so könnten sie ihren Beitrag einbringen zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Entwicklung der Ortschaften, in denen sie leben. Er bezeichnete die Infrastruktur (vor allem im Transportbereich), die Gesundheit und die Erziehung als die drei wichtigsten Grundvoraussetzungen, die man bei der Ausarbeitung einer Zukunftsvision der Stadtentwicklung berücksichtigen müsse.

Die Schüler sollen in den nächsten sechs Monaten einen Einblick in verschiedene Bereiche des Gemeindelebens erhalten können. Das sollen ihnen Vertreter von Behörden und Institutionen bei gemeinsamen Treffen, Gesprächen und sogar Vorbereitungskursen ermöglichen. Es handelt sich dabei um die öffentliche Lokalverwaltung, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Forschung und Tourismus. So werden die zukünftigen führenden Persönlichkeiten einer Gemeinschaft die notwendigen Vorkenntnisse erlangen, um dann einen Dialog zwischen Gemeinschaft und Institutionen führen zu können. Es bleibt aber eine Frage offen: Wer sind diese „Leader“ von morgen und inwieweit werden die Politiker von gestern und heute auf sie hören.