„In solch eine Aktentasche passen 6 Millionen DM“

Tagung in Hermannstadt widmete sich der Familienzusammenführung bzw. dem Freikauf der Rumäniendeutschen

Dr. Heinz-Günther Hüsch beantwortete während der Tagung bereitwillig zahlreiche Fragen der Teilnehmer.

Erschienen ist zur Tagung das Buch „Kauf von Freiheit. Dr. Heinz-Günther Hüsch im Interview mit Hannelore Baier und Ernst Meinhardt“. Das im Honterus Verlag (ISBN: 978-9731725901) erschienene Buch fasst einen Großteil der in den vergangenen Jahren erschienenen Interviews mit Dr. Hüsch, Beiträge zur Familienzusammenführung aus der „Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde“ sowie einen Vortrag über Dr. Ewald Garlepp zusammen. Das Buch sei in weiten Teilen spannend zu lesen, äußerte sich Verlagsleiter Benjamin Józsa. Es handele sich um ein zeithistorisches Dokument von besonderem Wert, das vor allem mit seinem gründlich recherchierten und akkurat dargestellten Zahlenmaterial besticht.

Dr. Florian Banu (stehend), Herausgeber der Quellenedition „Acţiunea Recuperarea. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)“, präsentierte Dokumente zum Freikauf aus den CNSAS-Archiven.
Fotos: der Verfasser

„Ich habe Ihnen vieles erzählt, aber lange noch nicht alles“. Dr. Heinz-Günther Hüsch ist sich der Brisanz seines Wissens bewusst. Wissen, das er im Laufe von zwei Jahrzehnten als deutscher Verhandlungsführer in der Familienzusammenführung von rumänischen Staatsbürgern deutscher Nationalität sammelte. Dr. Hüsch ist es zu verdanken, dass in den vergangenen vier Jahren viel Licht in dieses unter strengster Geheimhaltung abgelaufene Kapitel rumänisch-bundesdeutscher Geschichte kam. Die politischen und sozialen Auswirkungen der Auswanderung in den rumäniendeutschen Gemeinschaften sowie ihre Dokumentation in den Akten der Securitate waren Thema der Tagung „Familienzusammenführung versus Freikauf der Deutschen aus Rumänien in der Zeit des Kommunismus“, die am 19. und 20. April im Hermannstädter Forumshaus stattfand. Durchgeführt wurde die Tagung vom Ortsverband Hermannstadt/Sibiu des Deutschen Forums mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).

Ehrengast der Veranstaltung war Dr. Hüsch, der eigentlich in einen Dialog mit einem seiner früheren Verhandlungspartner auf rumänischer Seite, Octavian Andronic, treten sollte. Letzterer sagte seine Teilnahme wenige Wochen vor der Tagung leider ab. Andronics Fernbleiben bedauerte Martin Bottesch, der Vorsitzende des Siebenbürgenforums, in seinem Grußwort. Er betonte, dass die gegenwärtige Lage der Deutschen in Rumänien von kaum einer Frage so bestimmt wurde wie von der Aussiedlung nach Deutschland. Während sich Bottesch über die zahlreichen neuen Erkenntnisse der jüngeren Zeit zu diesem Thema freute, konstatierte Ovidiu Ganţ, der Abgeordnete des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, dass die Aufarbeitung in Rumänien erst am Anfang stehe. Auf neue Einblicke in die deutsch-rumänischen Beziehungen sowie eine Annäherung an die historische Wahrheit hofften Lukas Mreyen von der KAS, beziehungsweise der deutsche Generalkonsul in Hermannstadt, Thomas Gerlach.

Beginn der Familienzusammenführung

Erstmals erwähnt wird die Familienzusammenführung im Zusammenhang mit einem Treffen des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und einer rumänischen Wirtschaftsdelegation im Jahr 1954, berichtete Deutsche-Welle-Redakteur Ernst Meinhardt in seinem Vortrag über den „Beginn des Freikaufs der Rumäniendeutschen“. Demnach erklärte ein rumänischer Vertreter da-mals, dass Ausreisen nur gegen Zahlung von 1000 Dollar pro Person möglich sind. Ab 1957 ist der Name des Rechtsanwalts Dr. Ewald Garlepp im Zusammenhang mit der Freilassung und Ausreise von rumäniendeutschen politischen Häftlingen dokumentiert. Dieses Mandat übte Garlepp im Auftrag der Rechtsschutzstelle des Auswärtigen Amtes aus. „Ich vermute, dass diese Zusammenarbeit lange vor 1957 begonnen hat“, meinte Meinhardt, denn bereits seit 1950 knüpfte Garlepp als Leiter der Rechtsschutzstelle der Evangelischen Kirche Kontakte nach Rumänien.

Laut Meinhardt nutzte Garlepp seine guten Beziehungen zu offiziellen Stellen in Rumänien zur Ausweitung seines offiziellen Mandats. Gegen Zahlung von Geldbeträgen ermöglichte der Anwalt erwiese-nermaßen auch die Ausreisen politisch nicht verfolgter Personen. Der Journalist ergänzte, dass sich weitere Anwälte in dieser Angelegenheit engagierten sowie Geschäftsleute, beispielsweise die in London ansässige Kanzlei Jakober, die die Abwicklung des seit 1948 laufenden „Verkaufs von Angehörigen der jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien nach Israel“ organisierte, wie Dr. Andrei Moraru berichtete. Wichtigster Akteur aus deutscher Sicht war jedoch Garlepp, der von 1950 bis 1967 die Ausreise von etwa 16.500 Personen erwirkte.
 
„Der geheime Verhandlungskanal“

Garlepps Verhandlungs- und Geschäftsgebaren stieß in Bonn jedoch zunehmend auf Misstrauen, sodass der Anwalt Dr. Hüsch aus Neuss (bei Düsseldorf) in dieser Sache kontaktiert wurde. Mit ihm, der erstmals am 9. Februar 1968 in Bukarest weilte, endete die Zeit der Einzelfalllösungen – mit Ausnahme von Sonderfällen. Der heute 83-Jährige erreichte in seinen Verhandlungen, dass pro Jahr feste Kontingente an Ausreisevisa ausgestellt wurden, deren Zahl von anfänglich 4000 auf 14.000 stieg. Insgesamt verließen 210.000 – nach anderen Quellen 236.000 – Rumäniendeutsche in dieser Zeit ihre Heimat in Richtung Deutschland.

Auf der Tagung berichtete Dr. Hüsch vom Ablauf der Verhandlungen, die in einem mündlichen und sechs schriftlichen Abkommen resultierten. Insgesamt habe es 313 offizielle und rund 1000 inoffizielle Gespräche gegeben. Diese Zahlen ließen sich nachvollziehen, da er jedes Treffen akribisch dokumentiert hat. Seine Aufzeichnungen umfassen 50 Aktenordner, teilte Dr. Hüsch mit. Abseits der historischen Fakten informierte Hüsch, der sich bei seinen Besuchen in Bukarest stets von einem seiner Söhne oder seinem Schwiegersohn als „Sicherheitsbeamte“ begleiten ließ, über Anekdoten seiner mitunter riskanten Tätigkeit, den Transport von Bargeld in Millionenhöhe durch Europa („In so eine Aktentasche gehen 6 Millionen DM in Tausend-Mark-Scheinen“), aber auch Dreistigkeiten der Securitate, darunter dem Auftauchen von hochrangigen Securitate-Offizieren in seiner Privatwohnung, Kompromittierungsversuchen in Bukarest u. ä.

Rolle der Landsmannschaften

Der „Kauf von Freiheit“, wie Dr. Hüsch seine Mission nennt, diente der Befreiung von ausreisewilligen Deutschen aus der kommunistischen Herrschaft. „Es war für mich mehr als ein Auftrag, es war ein persönliches Anliegen“, bekannte er. Den Kontakt zu den rumäniendeutschen Landsmannschaften habe er vermieden. Journalist Meinhardt ergänzte, dass die Landsmannschaften, insbesondere die der Siebenbürger Sachsen, immer wieder in Sachen Ausreise intervenierten, beispielsweise bei Außenminister Hans-Dietrich Genscher, „aber der Erfolg war eher bescheiden“. Zur Sprache kam auch die Haltung der Bundesregierung zu den sozialen und kulturellen Folgen der Freikaufpolitik auf die deutschen Gemeinschaften in Rumänien. Anfangs sei man sich dieser nicht bewusst gewesen, erklärte Dr. Hüsch. Die Folgen wurden in den 1970-er Jahren angesichts der steigenden Ausreisezahlen jedoch immer sichtbarer und „das hat uns bedrückt“. Laut Dr. Hüsch habe man der rumänischen Seite verschiedentlich großzügige Hilfsangebote unterbreitet, angefangen von Medikamenten- und Lebensmittellieferungen bis hin zu Schulmaterialien, die allesamt abgelehnt worden sind.

Spannungen innerhalb der Gemeinschaften

Die Spannungen und Auswirkungen der Ausreisen schilderte der Soziologe Prof. Dr. Anton Sterbling am Beispiel der banatschwäbischen Gemeinschaft. Sterbling sah Anfang der 1970-er Jahre neben den Ausreise- bzw. Bleibewilligen eine große Gruppe Unentschlossener, die jedoch schnell kleiner wurde, als der Aussiedlungsprozess als kontinuierlich und in irgendeiner Form berechenbar erkannt wurde. Besonderes Augenmerk lenkte Sterbling auf die „regelrechte Ausplünderung“ von Ausreisewilligen durch „Mittler“, die bis zu einige Tausend DM pro Person erpressten. Diese „Beschleunigungsgelder“ hatten zwar keinen Einfluss auf die Gesamtzahl der Ausreisen, wohl aber auf die Reihenfolge gehabt, in der die Ausreisewilligen die Papiere erhielten. „Ein wenig aufgearbeitetes Kapitel ist auch die Frage nach jenen, die sich in den Dienst der Securitate gestellt haben, um ausreisen zu können“, so Sterbling. Zu beiden Themen herrscht bis heute großes Schweigen auf Seiten der Betroffenen.

„Die evangelische Kirche in Rumänien und die Ausreise der Siebenbürger Sachsen“ – auch dies war ein spannungsgeladenes Thema, erinnert sich Zeitzeuge Pfarrer i. R. Wolfgang Rehner. Während die Kirchenführung an die Dienstpflicht der Pfarrer appellierte, davor warnte, zu „Mietlingen“ zu werden, und sogar die Führung der evangelischen Kirche in Deutschland davon überzeugte, ausgereiste Pfarrer nicht in ihren Dienst zu übernehmen, war die Bereitschaft der hiesigen Pfarrer zur Auswanderung sehr groß. Ein Satz von Bischof Albert Klein auf der Landeskirchenversammlung von 1970 versinnbildlicht die Haltung der Kirchenführung: „Die Kirche wandert nicht aus“. Die Pfarrer entschieden jedoch, es trotzdem zu tun.

Weiterer Forschungsbedarf

Abgerundet wurde die Darstellung der Thematik mit Vorträgen rumänischer Wissenschaftler. Dr. Florian Banu, Mitarbeiter des Nationalrates für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) und einer der Herausgeber der Quellensammlung „Ac]iunea Recuperarea. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)“, stellte Dokumente zum Thema aus dem CNSAS-Archiv vor. Dass die rumänischen Mitbürger die Auswanderung sehr genau beobachteten und die Motive sehr differenziert erfassten, belegte Dr. Cosmin Budeancă anhand von ihm geführter Interviews in den Kreisen Hunedoara, Hermannstadt und Alba. Als Einleitung wurde der Vortrag von Dr. Liviu Ţăranu vorgestellt, der die rumäniendeutsche Wahrnehmung der miserablen wirtschaftlichen und politischen Situation im Land anhand von durch die Securitate geöffneten Briefen an in Deutschland lebende Angehörige und Freunde darstellte.
Der Diskussionsbedarf zu diesem Thema ist groß, das zeigten die zahlreichen Fragen der rund 50 Teilnehmer. Ebenso groß ist der weitere Forschungsbedarf, wie bereits angedeutet wurde, z. B. bezüglich der insgesamt gezahlten Summen für den Freikauf. Dr. Hüsch stellte weitere Enthüllungen zu gegebener Zeit in Aussicht. „Ich schütze einige Personen, die in die Prozesse eingebunden waren, nicht nur auf deutscher Seite.“ Seine Gespräche mit Bundeskanzler Kohl habe er nicht veröffentlicht, ebenso wenig wie jene mit deutschen Ministern. Wenig bekannt ist über die internen deutschen Reaktionen zu den Spannungen innerhalb der deutschen Gemeinschaften in Rumänien sowie über die von Dr. Hüsch behandelten Einzelschicksale und die neben ihm auf deutscher Seite beteiligten Personen.