In Stein gehauener Glaube

Horst Göbbel über Kirchenburgen und Klöster in Rumänien und in Franken

Der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk mit seiner Ehefrau (1. Reihe) und der evangelische Stadtpfarrer von Bukarest, Daniel Zikeli, (1. v. l. in der 2. Reihe) gehörten zu den aufmerksamen Zuhörern des Vortrags.
Foto: George Dumitriu

„Nirgends sind sie so zahlreich und bilden ein so geschlossenes Ensemble wie in Siebenbürgen“, hebt Studiendirektor a. D. Horst Göbbel an: Ursprünglich um die 250, sind heute noch gut 150 sächsische Kirchenburgen und Wehrkirchen erhalten. Ausländische Touristen entdecken sie als spannende Reiseziele – und mit ihnen die Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Aber auch immer mehr Rumänen wissen deren hinterlassenes Kulturgut zu schätzen. „Muss man sich Sorgen machen um die Zukunft der Kirchenburgen?“ fragt Göbbel ins Publikum hinein. Kulturhaus „Friedrich Schiller“, 4. Mai: Über die Leinwand flackern bewegte Bilder. Unser Blick kreist über dem Bering. Immer näher und näher schraubt sich die Drohne, deren Adlerauge wir folgen. Ein versehrtes Kirchendach, daneben ein riesiger weißer Haufen – zermalmter Stein. In dem Gebäude klafft eine Wunde, die der eingestürzte Turm gerissen hat. Die Kirchenburg von Rothbach/Rotbav, gefilmt irgendwann nach dem 19. Februar 2016: Den Turm, der Jahrhunderte lang das Wahrzeichen von Rothbach war, gibt es nicht mehr. Der Schmerz steht immer noch spürbar in der Luft. „Muss man sich Sorgen machen um die Zukunft der Kirchenburgen?“ fragt Göbbel noch einmal. Oder müssen auch die Sachsen lernen loszulassen? Der Geschichte ihren Lauf zu lassen?

Ein gesamteuropäisches Phänomen

„Kirchenburgen und Klöster. Die Beispiele Franken, Siebenbürgen, Moldau“ ist der zweite Diavortrag in Horst Göbbels Serie zum Thema „Deutsche aus Rumänien und ihr Kulturerbe“ im Bukarester Schillerhaus, begleitet von einer Fotoausstellung von Dr. Klaus Fabritius zu den Burgen und Klöstern Rumäniens. Man stolpert ein wenig über die Franken im Titel: Was hat die bayrische Region mit Rumänien gemein? Auch dort gibt es Kirchenburgen, klärt der Vortragende anhand zahlreicher Bilder auf. Und die Moldauklöster? Kirchen in trutzigen Mauern – also auch eine Art Kirchenburgen, folgert Göbbel. Womit sich eine Frage ergibt: Sind die Kirchenburgen und Wehrkirchen in Siebenbürgen einzigartig?

„Es gibt unterschiedliche Positionen“, spinnt der Vortragende den Faden weiter. Einzigartig ist das in sich geschlossene Ensemble, ihr Zustand und ihre Vollständigkeit. Denn auch wenn die Kirchenburgen in Franken wesentlich besser konserviert sind, fehlt ihnen meist die Befestigung oder der Bering, was ihre ursprüngliche Verteidigungsfunktion nur noch erahnen lässt. Auch der historische Kontext der Kirchenburgen in Siebenbürgen ist noch wesentlich präsenter. Göbbel zitiert den rumänischen Kunsthistoriker George Oprescu, der in den befestigten Kirchen den Charakter ihrer Erbauer erkennt: Glauben, Standhaftigkeit, Gemeinschaftssinn. Die Kirchenburg im Zentrum des Dorfes war mehr als ein Zufluchtsort, findet auch Architekt Hermann Fabini, der zwei weitere Dimensionen hinzufügt – den Ausdruck von Kunst, und die Tatsache, dass sich das gesamte gesellschaftliche Leben im Dorf um die Kirchenburg drehte. Dennoch sind Wehrkirchen ein gesamteuropäisches Phänomen: Es gibt sie auch in Spanien, im ehemaligen Jugoslawien, in der Republik Moldau, in Ungarn, Frankreich oder Deutschland – allein in Württemberg finden sich an die 400 Kirchenburgen, überrascht Göbbel.

Raubzüge aus dem Süden

Um das Phänomen zu erklären, muss man sich die Kriegsführung im 15. und 16. Jahrhundert in Siebenbürgen vorstellen, die im Wesentlichen aus Raubzügen aus dem Süden bestand, über Muntenien und die Südmoldau. Die Türken, seit etwa 1300 vereint im Osmanischen Reich, waren schon lange vor der Eroberung Konstantinopels auf dem Balkan präsent. 1529 reichte das türkische Imperium bis nach Nordafrika und Kleinasien, veranschaulicht der Vortragende. Anfangs schützte man sich vor den plündernden Horden noch durch Rückzug in Fluchtburgen, auf zur Verteidigung besonders geeigneten Höhen gelegen. Doch bald musste man erkennen, dass es sinnvoller war, die Dorfkirche zu befestigen, auch weil es den Fluchtweg wesentlich verkürzte. Jede Familie hatte dort in der Verteidigungsmauer ihr Kämmerchen, es gab Lebensmittelvorräte und – wie beispielsweise in der Kirchenburg von Tartlau/Prejmer oder in der von Honigberg/Hărman immer noch zu sehen – sogar eine Schule. „Was die Wichtigkeit der Bildung bei den Siebenbürger Sachsen verdeutlicht“, bemerkt Göbbel und weist auf eine weitere Besonderheit hin: Mädchen und Jungen genossen bei den Sachsen gleiche Rechte auf Bildung!

Lebendige Klosterlandschaft

Baulich den Kirchenburgen ähnlich, erfüllten die bewehrten Klöster der rumänischen Moldau dennoch eine etwas andere Funktion – als Gebetshäuser waren sie vor allem den Klosterbewohnern und den moldauischen Fürsten vorbehalten. Für die Menschen, die keinen Zugang hatten, fungierten ihre prachtvollen Außenfresken, wo vorhanden, als „bebilderte Bibeln“. Einen wesentlichen Unterschied gibt es auch heute: Während die Kirchenburgen mehr oder weniger verlassene „Museen“ sind, ist das Klosterleben in Rumänien höchst lebendig. Man mag sich fragen, ob der Rückzug ins Kloster heutzutage noch zeitgemäß ist, provoziert Göbbel. „Doch viele Menschen finden nach wie vor Sinn darin. Klöster sind also mehr als ein Schutz für die Menschen, die sich vor der Gesellschaft zurückgezogen haben.“

Warum es in Siebenbürgen kaum bewehrte orthodoxe Klöster gibt, erklärt er damit, dass Rumänen jahrhundertelang nur Holzkirchen bauen durften. Nachdem Siebenbürgen schließlich unter österreichische Herrschaft fiel, gerieten die orthodoxen Klostergemeinschaften unter den Druck der katholischen Kirche. 1700 kam es zur Gründung der griechisch-katholischen Kirche. Im Vergleich mit den Kirchenburgen beobachtet Göbbel an den orthodoxen Klöstern: Im Mittelpunkt letzterer steht der allmächtige Pantokrator, dessen Bildnis hoch oben unter der Kuppel im Turm schwebt – in den katholischen und evangelischen Kirchen ist es der gekreuzigte Jesus. In Klöstern kann man bisweilen bis zu drei Kirchen, zu unterschiedlichen Zeiten erbaut, antreffen, die ältesten dienen jeweils als Museum.

Frage nach dem Fortbestand

Um den Erhalt der rumänischen Klöster muss man sich keine Sorgen machen: Gut 17 Millionen Mitglieder zählt die orthodoxe Kirche, mit 9 Erzbistümern, 12 theologischen Fakultäten, 500 Klöstern und ca. 8000 Nonnen und Mönchen im Land, zählt Göbbel auf. Selbst in Deutschland gibt es ein rumänisch-orthodoxes Kloster am Metropolitansitz von Nürnberg, überrascht der Vortragende: einst eine evangelische Kirche, innen im orthodoxen Stil bemalt, sonntags wird die Messe auch auf Rumänisch zelebriert. Interessant an der orthodoxen Kirche ist, dass die Erzbistümer auch über die Landesgrenzen hinausreichen können – wie etwa das Erzbistum Dacia-Felix, das sich bis nach Serbien erstreckt. Es sei hinzugefügt, dass die Macht der orthodoxen Kirche leider keine Garantie für den Schutz von Kulturerbe bietet. Nicht selten hört man das Argument, ein Eintrag als Denkmal sei zu vermeiden, weil dann keine baulichen Veränderungen mehr möglich sind. Und moderne Kirchen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Anders ist es um die siebenbürgische Kirchenburgenlandschaft bestellt: „Ohne effektive Nutzung ist ihre Erhaltung fraglich, darüber kann kein Kirchenburgenkult hinwegtäuschen“, zitiert Göbbel den Historiker Michael Kroner. Trauriger Beweis: Auch der Kirchturm von Radeln/Roade{ ist in diesem Februar teilweise eingestürzt.

In seiner Gesamtheit ist das Kulturerbe nicht zu retten, die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien sowie die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen sind damit überfordert, diagnostiziert Göbbel und schlägt vor, vor Ort Partner zu suchen: NGOs, Botschaften, Interessierte aus Politik, Wirtschaft oder Kultur und die dort lebende Bevölkerung. Vorbild könnte auch Nordsiebenbürgen sein, wo bereits einige sächsische Kirchen von der orthodoxen Glaubensgemeinschaft übernommen wurden. Als Welterbe der UNESCO stehen immerhin unter Schutz: die Kirchenburgen von Keisd/Saschiz, Wurmloch/Valea Viilor, Kelling/Câlnic, Dersch/Dârjiu, Tartlau/Prejmer, Deutsch-Weißkirch/Viscri, Bierthälm/Biertan und die Altstadt von Schäßburg/Sighişoara. Von den rumänischen Klöstern gehören Horezu und die bemalten Klöster und Kirchen der Bukowina – Arbore, Humor, Moldoviţa, Pătrăuţi, Suceava, Voroneţ und Suceviţa – sowie Probota dazu. Zum Schluss ein ungewöhnlicher Gedankengang: In Anbetracht einer Geschichte, in der nicht nur die Sorge um die Verteidigung des Landes, sondern auch um die des christlichen Glaubens dominiert, mag die Forderung der EU an Rumänien und Osteuropa zur Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen als besondere Herausforderung betrachtet werden, sinniert Göbbel vor dem Fresko zur Enthauptung des Fürsten Brâncoveanu mitsamt seiner Söhne durch die Türken. Leise fügt er an: „Das hatte der Westen nicht – doch auch das muss man bedenken.“