Jüdisches Kulturerbe im Patriarchenpalast

Hilf Gott und Schalom – eine Lektion über interreligiösen Dialog in Freundschaft

Patriarch Daniel bei der Eröffnung: „Wir haben eine gemeinsame biblische Tradition, die wir sehr schätzen, deshalb stellt die Synagoge genau wie die Kirche ein dauerhaftes Element in den Gemeinschaften und in der Weitergabe spiritueller und kultureller Werte über die Generationen hinweg dar.“ Fotos: George Dumitriu

Schnappschuss einer herzlichen Geste: Mufti Yusuf Murat umarmt Dr. Aurel Vainer, Leiter der jüdischen Gemeinschaft, im Vordergrund der Patriarch als Gastgeber.

Fotograf George Dumitriu (links), nach Tausenden Kilometern und Fotos, entspannt neben den Hauptpersonen

Foto: Nina May

Herzlich geht der Mann in der weißen Djellaba auf sein Gegenüber im grauen Anzug zu, umfasst ihn mit beiden Armen, gleich werden sie sich brüderlich küssen. Die Geste war nicht für die Presse gedacht, die Vernissage ist längst zu Ende, die Gäste gegangen. Das Oberhaupt der muslimischen Kultusgemeinden in Rumänien gratuliert dem Leiter der Föderation der jüdischen Glaubensgemeinschaften zu der gelungenen Ausstellung: „Tempel und Synagogen in Rumänien, jüdisches Kulturerbe, national und universal“, vom 14. bis 24. November im Palast des Patriarchen der orthodoxen Kirche zu sehen.

„Andere Länder in Europa beginnen erst, den interreligiösen Dialog zu suchen – in Rumänien ist dies seit Langem Tradition“, erklärt Oberrabbiner Rafael Shaffer auf der anschließenden Konferenz zum Thema „Synagogen in Rumänien, Orte des Gebets, der Zusammenkunft und des Lernens“. Im Anschluss lädt Patriach Daniel zu einem Essen nach jüdischer Tradition ein, das Tischgebet spricht der Rabbiner. Vorleben, was man in der Welt sehen möchte – das ist sicherlich die beste Methode, Frieden zu garantieren. Vielleicht ist die ungewöhnliche Ausstellung für andere ein Anlass, einmal genauer hinzusehen.

„Wir müssen uns gegenseitig kennen, aber unsere eigene Identität bewahren“, empfiehlt Shaffer als Erfolgsrezept. Übung sollten wir darin haben, jüdische Mitbürger gibt es in Rumänien seit etwa 600 Jahren. Oder auch länger, fügt Vainer schmunzelnd an: Schon in den römischen Legionen, einige behaupten, sogar in den Reihen des Dakerkönigs Decebal, soll es Juden gegeben haben. Nicht immer gelang der Spagat des friedvollen Zusammenlebens: Deportationen in die Vernichtungslager der Nazis oder in Arbeitslager nach Transnistrien im Zweiten Weltkrieg belasten auch die rumänische Geschichte. Die Vergangenheit lehrt, was wir in Zukunft nicht mehr wollen. Andererseits: Wo in Europa begegnen sich die Vertreter der Christen, Juden und Muslime derart freundschaftlich? Wo wird die Koexistenz von 86 Synagogen, 77 Moscheen und unzähligen Kirchen im selben Land nicht als Herausforderung mit Konfliktpotenzial, sondern als Selbstverständlichkeit gelebt - ja, als kulturelle Bereicherung, wie die Ausstellung zeigt? Ist sie vielleicht eine Premiere – europaweit, weltweit? Patriarch Daniel schmunzelt nur auf die Frage, die er nicht beantworten kann. Es ging offensichtlich nicht darum, etwas zu demonstrieren.

Das „parallele“ Kulturerbe

Die Ausstellung überrascht mit Bildern, die viele noch nie gesehen haben, schließt Wissenslücken, lädt auf eine Entdeckungsreise in die jüdische Welt Rumäniens ein. Gab es vor dem Zweiten Weltkrieg über 1400 Synagogen im ganzen Land, 25 allein in Bukarest, sind derzeit nur noch 86 erhalten: 38 in Siebenbürgen, 32 in der Moldau, 14 in der Walachei, zwei in der Dobrudscha. Der Höhepunkt des Synagogenbaus lag zwischen 1861 und 1910, nach 1930 wurde keine einzige mehr errichtet. Heute werden landesweit noch 43 genutzt, als Gebetshäuser und auch für kulturelle Zwecke. 35 stehen unter Denkmalschutz – wert wären es wohl wesentlich mehr.

In der Ausstellung werden auf 25 großformatigen Paneelen 22 ausgewählte Gotteshäuser aus dem ganzen Land vorgestellt, plus Archivbilder von demolierten Synagogen. Der Fotograf George Dumitriu, der die Aufnahmen für die Ausstellung, den Katalog und weitere geplante Projekte – Broschüren, einen Bildband, Dokumentation für unzählige Artikel und fürs Archiv – im Auftrag der jüdischen Gemeinschaft realisiert hat, ist in den letzten Wochen an die 7000 Kilometer kreuz und quer durchs Land gereist. „Es war ein Wettlauf mit der Zeit“, erinnert er sich an die gemeinsamen Touren, als die Straße unser Zuhause und die Kameraausrüstung unser ständiger Begleiter war. Seine 8300 Aufnahmen belegen ein reiches, „paralleles“ Kulturerbe Rumäniens – der Öffentlichkeit kaum bekannt, doch auf jeden Fall wert, entdeckt zu werden.

Jede Synagoge eine Überraschung

Ob in der Moldau, im Banat, in Siebenbürgen oder in der Dobrudscha, langweilig wurde es nirgendwo. Jede Synagoge ist eine neue Überraschung, Baustil und Innengestaltung stark unterschiedlich, je nach Region. Während in Siebenbürgen architektonische Merkmale hervorstechen, zeichnen sich die Tempel der Moldau durch prachtvolle Wandmalereien aus. In Bukarest und im Banat fallen farbenfrohe Dekorationen mit flächendeckenden, symmetrischen Ornamenten auf. Synagogen gibt es als freistehende Häuser oder als Teile eines Gebäudekom-plexes mit Wohnungen und Büros, zugänglich nur über den Innenhof, etwa in Arad. Man unterscheidet zwischen solchen für aschkenasische und sephardische Riten (als Aschkenasen werden aus Mittel-, Nord- und Osteuropa stammende Juden bezeichnet, Sepharden sind zwischen 1492 und 1513 von der iberischen Halbinsel vertrieben worden), für orthodoxe und neologische Strömungen. Letztere sind oft wie Kirchen mit Orgeln ausgestattet, etwa in Lugosch, Temeswar, Caransebeş.

Zum Unterschied zur orthodoxen Kirche gibt es keinen Kanon, der festlegt, wie eine jüdische Synagoge auszugestalten ist. Mit Ausnahme verbindender Symbole – dem Davidstern, dem Löwenpaar, den beiden Gesetzestafeln - und typischen rituellen Kultgegenständen - den sieben- und achtarmigen Leuchtern Menorah und  Chanukkia, dem Schofar-Widderhorn, dem Jad-Torazeiger mit Finger an der Spitze – können Synagogen stark variieren: von schlicht bis prachtvoll, von künstlerisch herausragend bis leicht verkitscht, etwa durch eine Abundenz an Beleuchtungskörpern, höchst auffällig mit den Daten ihrer Spender beschriftet. Zur Pflichtausstattung gehören der heilige Schrein an der Ostwand, Aron-Kodesch genannt, in dem die beiden Tora-Rollen aufbewahrt werden, die Bima – eine Art eingezäunte Insel in der Mitte, und getrennte Gebetsräume für Männer und Frauen. Männer saßen früher während des Gottesdiensts im Erdgeschoß, Frauen auf den Balkonen. Heute betet man gemeinsam unten, Männer links, Frauen rechts, dazwischen ein Vorhang.

Doch Gottesdienste finden in vielen Synagogen nur noch sporadisch statt, etwa, wenn Besucher aus Israel kommen, denn dafür ist die Anwesenheit von zehn Männern erforderlich. Die jüdischen Gemeinschaften sind jedoch vielerorts stark geschrumpft, die wenigen Rückkehrer aus den Lagern des Zweiten Weltkrieges in den 60er und 70er Jahren nach Israel ausgewandert. Offiziell wird die Zahl jener, die sich zur jüdischen Minderheit bekennen, heute mit 7000 angegeben. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es fast 800.000.

Öffnung als Rettung

Ähnlich wie die evangelische Kirche in Rumänien nach dem Exodus der Sachsen ihre Kirchenburgen für Kultur und Tourismus geöffnet hat, hat sich auch die jüdische Gemeinschaft entschlossen, ihre Gotteshäuser als Veranstaltungsorte für Konzerte, Ausstellungen und Touristen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit 2007 wurden hierfür 25 Synagogen rehabilitiert, davon 18 komplett restauriert. Bis 2018 sollen weitere fünf bis sechs folgen, so dass bis 2020 etwa 35 Prozent des jüdischen Kulturerbes instandgesetzt sein wird.

Als landesweit älteste wird derzeit die Große Synagoge in Jassy/Iaşi restauriert. Die einzige Synagoge aus Holz, „Baal Shem Tov“, kann in Piatra Neamţ besichtigt werden. Die größte, der Coral Tempel,  ist in Bukarest zu bewundern, gefolgt von der Synagoge der Festung von Temeswar, deren Restauration unmittelbar ansteht. Ein Musterbeispiel als kulturelles Zentrum ist die Synagoge in Bistritz/Bistriţa mit einer eigenen Kunstgalerie. Die Ausstellung gibt nur einen kleinen Vorgeschmack auf das gewaltige jüdische Kulturerbe Rumäniens, das in Europa seinesgleichen sucht, wie Dr. Vainer explizit betont. Die interessantesten Synagogen werden nach und nach auf der Tourismus-Seite der ADZ vorgestellt. Ein Hinweis für Besucher: In jüdischen Gotteshäusern ist für Männer das Tragen eines kleinen Käppchens (Kipa) Pflicht, das man meist im Eingangsbereich vorfindet; notfalls geht auch eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappe.

Was man als orthodoxer Rumäne fühlt, wenn man mit Kamera und Kipa in der Synagoge vor dem Aron-Kodesch steht? „Liebe“, zögert George Dumitriu keine Sekunde.„Denn ich liebe Kulturerbe – egal welcher Etnie oder Religion es angehört. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, zu präsentieren und bewahren zu helfen, was in unserem Land schön und wertvoll ist!“