Kirchenburg mitten in der Stadt

Warum in die Ferne schweifen, statt sich mal Mediasch anzusehen?

Der Eingang zum Kastell – der Kirchenburg in Mediasch

Fresken sind im Marienturm zu bestaunen.

Schranken verwehren an den Toren die Zufahrt zur Altstadt – hier am Steingässer Tor .
Fotos: Hannelore Baier

Durch Mediasch fahren die meisten Touristen durch. Auf der Reise zwischen den weitaus bekannteren und viel besser vermarkteten Ortschaften Hermannstadt/Sibiu und Schäßburg/Sighişoara oder am Weg zu einer der Kirchenburgen der Umgebung. Dabei hat auch diese Kokelstadt eine Menge an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Und gar eine Einzigartigkeit. Allerdings kann man sich dies auf der mit unzähligen Kanaldeckeln übersäten Durchfahrtstraße nicht so recht vorstellen. 

Dass Mediasch touristisch wenig erschlossen ist, liegt wohl an der industriellen Entwicklung des Ortes seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Dank dem Erdgasvorkommen in seiner unmittelbaren Umgebung hat sich die inmitten des Weinlandes gelegene Stadt zum Industriestandort gemausert und galt aus diesem Grund nicht als Touristenattraktion. Dem Erdgas und seinen Förder- sowie Vertriebsunternehmen hat Mediasch in seiner neueren Geschichte viel zu verdanken. Die Geschichte und die Gegenwart der Erdgasförderung kann man im Erdgasmuseum rückverfolgen und angucken, das im ehemaligen Entbindungsheim an der Hermannstädter Ausfallstraße inmitten eines Parks untergebracht ist.

Unverzeihlich sollte den Kirchenburgen-Fans sein, wenn sie Mediasch links liegen lassen. Mitten in der Stadt steht nämlich eine vollständig erhaltene Kirchenburg, „Kastell“ genannt, wodurch das Städtchen einzigartig ist in Siebenbürgen. Von weither sichtbar ist der schlanke Kirchturm, der mit seinen 68,5 Metern zu den höchsten seiner Art in Siebenbürgen gehört.

Er ist tatsächlich schief, man braucht nicht zweimal hinzublicken, ob man richtig gesehen hat: Als Mediasch 1550 das Stadtrecht erhielt, wurde der aus dem 13. Jahrhundert stammende Turm um drei Stockwerke auf acht erhöht. Dadurch wuchs die Belastung des Fundaments auf dem sandigen Boden, sodass dieses nicht mehr standhielt. Der Turm begann sich zu neigen. Nach mehrfachen Konsolidierungsmaßnahmen konnte er jedoch bei einer Abweichung der Turmspitze um 2,32 Meter von der Senkrechten stabilisiert werden.

Der Pitz vom Turm

Im Volksmund heißt der Kirchturm „Tramiterturm“: vom sächsischen „Tramit“ für Trompete. Den Namen Trompeterturm erhielt er, weil der Stadttrompeter hier oben seinen Wachposten hatte. Auf den Großen Marktplatz, heute offiziell Piaţa Ferdinand I, guckt vom Turm der Pitz herab. Das hölzerne Männlein an der Ecke zwischen den Uhrblättern entgeht den unscharf auf den Turm geworfenen Blicken der Betrachter meist.

Der Pitz vom Turm oder „Turepitz“ war das Stundenmännlein, das mit ausgestrecktem Arm das Glöckchen zog, das den folgenden Stundenschlag ankündigte. Die stark verwitterte Holzfigur wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts abgenommen und an seine Stelle kam die Holzfigur eines sich auf sein Schwert stützenden Rolands. Aber auch Roland verwitterte unter dem Einfluss des sauren Regens und wurde 1984 wieder durch einen Pitz ersetzt, den Kurtfritz Handel aus Holz schnitzte.

Nähert man sich dem Kastell, werden auch die Verteidigungstürme sichtbar. Erhalten sind derer vier von einst fünfen, die der ovale Mauerring um die Kirche zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatte. Bereits vor 1500 war ein zweiter Mauerring um die Burg gebaut worden, mit einem Torturm und Basteien im Norden und im Süden. Das Rathaus und das Pfarrhaus wurden zwischen diese beiden Mauerringe gebaut. Letztgenanntes befindet sich immer noch da, das heutige Rathaus befindet sich allerdings in dem in den 1980er Jahren gebauten „Centru civic“, dem neuen Verwaltungszentrum.

Der Haupteingang ins Kastell erfolgt vom Kleinen Markt/Piaţa George Enescu durch die einstige „Alte Pforte”. In dem langgezogenen Steinbau ist heute eine Wohnung untergebracht und es gibt kein Fallgitter mehr. Anfang März prangte über dem Tor die freundliche Aufschrift „Herzlich willkommen“. Über der Tordurchfahrt erhebt sich der Glockenturm. Unter dessen Pyramidendach hängen die Glocken, das Geburtsjahr der ältesten lautet 1449. Geht man nach rechts um die Kirche herum, gelangt man zum Schneiderturm, in dem eine kleine Sammlung der Kirchengemeinde untergebracht ist.

An den Schneiderturm angebaut war das alte Rathaus, in dessen einstigem Gebäude sich nun Klassenzimmer der deutschsprachigen Hermann-Oberth-Schule und das Büro des Kirchenbezikskonsistoriums befinden. Zu Beginn des 19. Jahrhundert wurde an Stelle der Runden Bastei neben dem Alten Rathaus ein gedeckter Treppenaufgang als Verbindung vom Marktplatz zum Kirchhof gebaut. Er wird immer noch genutzt, zumal sich am zwischenliegenden Absatz ein Kindergarten befindet, dessen Hof im früheren Festungsgraben liegt.

Entlang der Ringmauer folgt der Marienturm oder Marterturm, der die ursprüngliche Form mit Schrägdach behalten hat. Bewundern kann man im Turm wertvolle, leider nur zum Teil erhaltene Fresken aus dem 16. Jahrhundert. Der Raum wurde in der Pestzeit wahrscheinlich zum Abhalten der Totenmessen verwendet. Um die Kirche herum weitergegangen, stößt man im Pfarrhof auf ein kleines Häuschen mit zweisprachiger Gedenktafel. Sie erinnert daran, dass Stephan Ludwig Roth im Jahre 1796 hier geboren wurde.

Das Häuschen wirkt so klein auch weil sich daneben der schlanke Seilerturm (Speckturm) erhebt. Weitergehend kommt man erneut zu einem kleinen Gebäude, über dessen Eingang „Deutsche Schule“ steht. Die alte Schule war im Jahre 1713 über älteren Fundamenten aus dem 14. Jahrhundert errichtet worden und umfasste in ihrer Mitte den einstigen Schulturm, den fünften der Kastelltürme. Das Schulgebäude schließt an den Glockenturm an – und wir schließen die Runde im Kirchhof.

Dem Gang um die Kirche sollte man die Besichtigung derselben folgen lassen. Eine frühgotische Basilika mit drei kurzen Schiffen und einem Westturm stand hier bereits am Ende des 13. Jahrhunderts, die derzeitige Kirche ist der dritte Sakralbau am Ort. Begonnen wurde mit dessen Errichtung nach dem verwüstenden Türkeneinfall von 1438. Die der heiligen Margarethe geweihte Kirche ist urkundlich erstmals 1414 – als katholisches Gotteshaus – erwähnt worden, das „Castrum“ drumherum 1452. Im Inneren der Kirche beeindrucken die gotischen Gewölbe mit Schlusssteinen mit segnender Hand und einer Weintraube.

Die Kircheninnenwände waren bis zur Reformation mit Fresken bedeckt, die übertüncht wurden. In den 1970er Jahren hat man diese Fresken zum großen Teil wieder freigelegt und konserviert. Sie zieren das nördliche Seitenschiff und die Nordwand des Mittelschiffes. Der prächtige Flügelaltar wurde zwischen 1480 und 1490 erstellt und ist das wertvollste Schmuckstück der Inneneinrichtung.

Türme und Gedenkhäuser

Um das Kastell sind Gassen und Gässchen mit niederen Wohnhäusern erhalten (die zum Teil unter „Modernisierungen“ zu leiden hatten). Die einstmals wichtigsten – die Stein-, die Schmied- und die Forkeschgasse – münden in drei Tortürme, die auch heute ihres Amtes walten: statt der bewaffneten Wachen erlauben oder verwehren elektronisch betätigte Schranken den Zutritt zur (Innen)Stadt. Statt der Pferde- oder Ochsenwägen, stehen Blechkarossen um die Tore. 

In der Geschichte der Siebenbürger Sachsen gewürdigt wird Mediasch, weil die Repräsentanten der Sachsen am 8. Januar 1919 hier beschlossen, der von der Rumänischen Nationalversammlung am 1. Dezember 1918 in Karlsburg/Alba Iulia verkündeten Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien zuzustimmen.

An dieses Ereignis erinnert nichts in Mediasch. Hingegen gibt es Gedenkhäuser für zwei herausragende Persönlichkeiten des Sachsenvolkes: Stephan Ludwig Roth (1796-1849), Pfarrer und Pädagoge, „der große Freund des arbeitenden Volkes und Kämpfer für die Gleichberechtigung der siebenbürgischen Nationalitäten im Revolutionsjahr 1848-1849“ ,so die Aufschrift am Geburtshaus, und Hermann Oberth (1894-1989), der Miterbauer der Rakete. Meist unerwähnt bleibt das Geburts- und Wohnhaus des sächsischen Humoristen und Mundartdichters „Gustav Schuster-Dutz (1885-1968)“ , so die Gedenkplakette am Gebäude am Großen Marktplatz, als ob Poesie und Humor unrühmlich wären.

Wer Besichtigungen von Kirchen, Museen oder Gedenkhäusern nicht mag, kann durch die Gassen  und entlang der Reste der Verteidigungsmauern schlendern. Angucken sollte man sich das blütenweiße Schullerhaus am Großen Marktplatz, dessen Ursprung in der Renaissance liegt, oder das schmucke Gebäude des Stephan-Ludwig-Roth-Lyzeums neben dem Kastelleingang. Wikipedia empfiehlt als Sehenswürdigkeit auch die Synagoge neben dem Bahnhof. Ich tue das nicht. Das Gebäude wird seit Jahren nicht mehr genutzt, die Fenster sind eingeschlagen und man kann nur hoffen, dass es irgendwann zu der ins Auge gefassten Renovierung kommen wird.   

Besichtigungstipps

Das St. L. Roth-Museum in der Steingasse/Str. Honterus ist dem Stadtmuseum unterstellt, zurzeit in Renovierung und soll am 11. Mai wieder eröffnet werden.   

Das Hermann-Oberth-Museum steht in der gleichnamigen Straße und ist an der nachgebildeten Rakete vor dem Haus zu erkennen. Besichtigungsprogramm: Mo.-Fr. 9-15 Uhr, Sa.-So. 10-14 Uhr.

Das Erdgasmuseum steht inmitten einem schönen Park an der Hermannstädter Straße/Şoseaua Sibiului 5. Besichtigungsprogramm: Di.-Fr. 13-17 Uhr, Sa.-So. 10-14 Uhr.

Die Margarethenkirche und der Marienturm können werkstags zwischen 10 und 15 Uhr besichtigt werden, wozu die Schlüssel im Stadtpfarramt zu holen sind. Ab Mitte Mai und bis Anfang September ist das Besichtigen täglich bis 19 Uhr und auch am Wochenende dank Kirchenführer möglich.