Kleine Heimatkunde für die Eingeborenen

Stadt Temeswar präsentiert ein erstes Lexikon der Straßennamen

Wie in allen Ländern Südosteuropas wurde der gesellschaftliche Umbruch auch in Rumänien nach und nach sichtbar - wie auch in dieser kleinen Gasse in der Temeswarer Elisabethstadt. Auch hier dürften vielen Einwohnern trotz der Umbenennungen in den vergangenen Jahren auch die alten Straßennamen immer noch geläufig sein. Das Nachschlagewerk soll die Bürger mit den alten und neuen Namensgebern ihrer Straßen vertraut machen. Foto: Zoltán Pázmány

Es heißt, daß die Beamten im Temeswarer Rathaus auf Geheiß von Bürgermeister Nicolae Robu schon seit einem Jahr eifrig an einem Lexikon der städtischen Straßennamen tüfteln. Vor Kurzem wurde das Nachschlagewerk für den Hausgebrauch der Temeswarer Bürger in erster Variante auf der Homepage der Kommunalverwaltung vorgestellt (man wartet nun auf Feedback, Vorschläge und Meinung der Nutzer). Und auf Anhieb gab es, wie üblich in der scheinbar vererbten Kleinstadtmanier der heutigen Großstadt an der Bega, einige Witzeleien über den „Unsinn“, „zum Fenster hinausgeworfenes Geld“ und „vergeudete Zeit“. Tatsächlich wissen derzeit viele Einwohner jedoch nur wenig oder gar nichts über die Straßennamen ihrer Stadt. Auch vielen gebürtigen Temeschwarern ist die Herkunft des Namens „ihrer“ Straße vor der Haustür unbekannt. Hauptziel des neuen Lexikons wäre demnach, jedem Einwohner eine kurze und einfache Erklärung (Herkunft und Bedeutung) des Straßennamens zu bieten. Später sollen in allen Straßen auch dementsprechende Tafeln angebracht werden. Mit dem Nachschlagewerk konnte die Stadtverwaltung auch ein bisschen Eigenwerbung betreiben: So wird etwa nach jeder Erklärung angegeben, wann die Straße einen neuen Asphaltbelag erhielt.

Ist das im Jahr 2015, 25 Jahre nach der Wende, noch alles nötig? Ja, denn der geschichtliche Nachholbedarf ist trotz der Bemühungen jeder Stadtverwaltung seit 1990 immer noch enorm. Das über 40jährige kommunistische Regime hat in seiner blinden Gleichmachungswut in allen rumänischen Großstädten tabula rasa gemacht, die Stadt ihrer Geschichte, Traditionen und Persönlichkeiten beraubt. Das wertvolle Alte aus der Gründerzeit, der k.u.k. Monarchie sowie aus der Blütezeit des rumänischen Königreichs landete auf dem Schutthaufen. Die wahre Geschichte und Vergangenheit wurden entkleidet, beraubt, verstaatlicht oder notfalls verfälscht. Vieles, ein wertvolles Kulturerbe, ist so für immer verlorengegangen – nicht nur in natura, sondern auch in den Köpfen der Einwohner, was noch weitaus schlimmer war. Wer von den älteren Temeswarern, von den jüngeren Generationen gar nicht zu reden, weiß, was es eigentlich heute mit der Mercy-Gasse, dem Prinz-Eugen-Platz oder der Rudolfsgasse (Innenstadt), der Grabengasse, Bräuhausallee (Fabrikstadt), der Tiroler Gasse (Elisabethstadt) oder der Sonnen- und Lerchengasse (Josefstadt) auf sich hat?

Eine Odyssee der Straßenbenennungen

Die Stadtverwaltungen nach der Wende machten sich im harten, alltäglichen Geschäft der Politik, im Trubel der aufreibenden Geschäfte mit den Rückerstattungen, der ewigen Geldnot im Rathaus, nur halbherzig (oder teilweise amateurhaft?) an eine richtige Wiederherstellung des alten Bildes einer europäischen Stadt. Während der Ciuhandu-Verwaltung wurden so mit Hilfe der GTZ die ersten Infotafeln an wichtigen historischen Bauten angebracht - ein Tropfen auf den heißen Stein. Besonders stark machte man sich im Rathaus für die „Allee der Persönlichkeiten“ im Zentralpark: Zugegeben, es wurde eine bildschöne Allee von Büsten daraus, die aber im Laufe der Jahre sehr viel Geld aus dem Haushalt verschlungen hat. Man erinnert sich noch lächelnd an ein paar Schnapsideen dieser Kampagne: Der ehemalige Vizebürgermeister Adrian Orza träumte gar von einem Wäldchen der Persönlichkeiten auf einigen Hektar Park. Trotz kurioser Bemühungen schaffte man es nicht, Johnny Weismüller, den wohl berühmtesten Sohn Temeswars auf dieser Welt, als richtige Touristenattraktion vor den Stadtkarren zu spannen. Er sollte gar eine Tarzan-Statue im Zoo erhalten. Von dem ganzen Rummel blieb letztlich die Benennung einer etwa 200-Meter-langen Gasse in seinem heimatlichen Freidorf.

„Mit Köpfchen“ und europäischen Gepflogenheiten weit näher war indessen die Initiative des lokalen Kulturvereins „Ariergarda“, auf den geschichts-trächtigen Straßen der Innenstadt Straßenfeste nach westlichem Modell zu veranstalten. Das Fest der Eugen-von-Savoyen-Straße erlebte großen Beifall und Zulauf von jung und alt, gar eine schöne Buchpublikation. Diese kulturelle Initiative versandete jedoch bald, da den Organisatoren das nötige Geld ausging, nachdem im Rathaus andere Parteien die Mehrheit übernahmen.

Die Straßen waren und sind die Lebensadern der Stadt, obwohl Temeswar als drittgrößte Stadt Rumäniens nach Bukarest und Klausenburg nicht nur aus Straßen und Gebäuden besteht: Von den insgesamt über 12.900 Hektar des gesamten Stadtgebietes sind mehr als 1060 Hektar Straßen und 2920 Hektar Bauten. Dazu kommen jedoch etwa 7900 Hektar Wald, Gewässer und Schutzgebiete und 75 Hektar unfruchtbarer oder brachliegener Boden, während die übrigen Flächen landwirtschaftlich genutzt werden. Trotz der vielen Steine und des Asphalts lebt man sozusagen doch nur auf dem Lande.

Von der Tiroler Gasse bis zur Corbului-Straße

Das neue Straßenlexikon gibt vorläufig auf 286 Seiten Erklärungen über 1205 Straßen der Begastadt. Laut Bürgermeister Nicolae Robu ist das Ganze kein Selbstzweck. Am Ende solle eine einheitliche, moderne Straßenbenennung in allen Stadtteilen stehen. Letztlich werden alle, auch das Redaktionsteam, während der Arbeit und durch die folgenden Diskussionen etliches da-von lernen. Eventuelle Fehler, falsche oder zweideutige Erklärungen sollen entdeckt und behoben werden. In Zukunft könnte man so auch zu einer ernsthaften Diskussion über die Änderung etlicher Straßennamen kommen.

In Sachen Straßennamen war, wie gesagt, einiges nachzuholen und auszubessern: Es gab in allen Stadtteilen viel zu viele Straßennamen, die mit russischen und sowjetrussischen Namen an die „glorreiche“ sowjetische Besatzungszeit nach dem II. Weltkrieg und an den Stalinismus erinnerten. Noch ärgerlicher für die Bevölkerung waren die vielen Namen aus der „ruhmreichen“ Ceauşescu-Epoche. Andere Straßen hatten wohl kuriose, phantasievolle Namen, die aber nicht das Geringste mit Temeswar zu tun hatten. Nach der Wende startete dann eine Welle der Namensänderungen, nach allerhand unüberschaubaren Kriterien, nach Eingaben von Personen, Politikern und Interessengruppen, bis plötzlich keiner mehr etwas verstand.

Das positive Fazit: In diesen 25 Jahren erhielten endlich auch etliche der großen Söhne Temeswars, die in den verschiedensten Bereichen für die Stadt und seine Bewohner Wertvolles und Bleibendes geschaffen haben, „ihren“ Straßennamen. Dabei wurden auch alle von den kommunistischen Machthabern verschwiegenen wichtigen historischen Persönlichkeiten der Stadt aus der k.u.k.-Zeit und des rumänischen Königreiches bedacht. Mit diesen ständigen Änderungen (beispiels-weise wurden viele Straßen nach den Gefallenen der Dezemberrevolution benannt) kam es auch zu kuriosen Kurzschlüssen in den Köpfen der Einwohner: Wo wohne ich denn nun? Welchen der drei Straßennamen nenne ich, wenn ich nach meiner Adresse gefragt werde? In der Straße wohne ich in der neuen, beim Hausverwalter in einer anderen, und im Personalausweis in einer dritten Straße?

Das neue Lexikon zeigt klar gute Seiten und Ansätze, hat aber auch einige Lücken: Den Autoren war es verständlicherweise schier unmöglich, eine plausible Erklärung für die unzähligen unpersönlichen Straßennamen wie Apelor, Busuioc, Anemonelor, Corbului, Albinelor oder Crizantemelor zu finden. Wissenschaftlich und aufschlussreich werden hingegen die Namen der Persönlichkeiten erklärt. So etwa der wohl allen Temeswarern unbekannte Name „Pelbartus“: Ladislaus Pelbartus von Temeswar (1450-1504) war, laut Lexikon, ein gebürtiger Temeswarer und eine damals bekannte Stadtfigur als Schriftsteller, Prediger und Franziskanermönch.

Erfreulich, dass das auch mit den zahlreichen Namen deutscher Persönlichkeiten geschieht, etwa in den Fällen von Adam Müller Guttenbrunn, Florimund Mercy über Goethe, Heine, Lenau, Strauss von Julius Podlipny, Franz Liebhard bis hin zu Richard Waldemar Oschanitzky und Nikolaus Berwanger. Unter die Temeswarer Straßennamen wurden bekanntlich nach der Wende auch die der Bischöfe Alexander Bonnaz, Augustin Pacha und Joseph Lonovics aufgenommen. Die übereifrigen Stadtväter haben aber dabei zu tief in die bischöflichen Truhen gegriffen und den verdienstvollen katholischen Prälaten Joseph Nischbach auch zum Bischof gemacht. Der Schnitzer, als Name der kleinen Straße hinter der Milleniumskirche, wurde aus Unkenntnis von den Autoren dieses Nachschlagewerks für bare Münze genommen.