Kollektives Gedächtnis und gelebte Vielfalt

Ein feierlicher Landeskundeabend in Kronstadt

Prof. Dr. Paul Philippi (am Rednerpult) und Thomas Şindilariu sprachen im Forum über die Geschichte der siebenbürgischen Landeskunde. Im Hintergrund: die Ausstellung des Deutschen Kulturforums östliches Europa.
Foto: Richard Sterner

Der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL), „das Schmerzenskind der Kriegsgeneration“, habe sich „gesund in das beste Mannesalter einer Friedensgeneration entwickelt“, so Prof. Dr. Paul Philippi in seinem Vortrag am vergangenen Dienstag im Kronstädter Forumsfestsaal. Anlass des Landeskundeabends war das fünfzigjährige Bestehen des im Jahre 1962 gegründeten Vereins. Der AKSL fördere „das kollektive Gedächtnis einer Region“ und vertrete „durch die Geschichte des Landes, gelebte Vielfalt“, wie es im Grußwort des Kulturreferenten der Deutschen Botschaft Bukarest, Joseph C. Karl hieß, der selber AKSL-Mitglied ist.

Eine Ausstellung des Deutschen Kulturforums östliches Europa, bestehend aus sechs Aufrollern, die inhaltlich von Dr. Harald Roth konzipiert wurden, bot einen Überblick auf die siebenbürgische Landeskunde insgesamt, angefangen von den ersten gezielten Auseinandersetzungen mit der Region durch Theologen, Pädagogen, Ökonomen und Historiker rund um die Identifikationsfigur des Landesbischofs Georg Daniel Teutsch. Ein beeindruckendes Fazit des „neuen“ AKSL war auf einer der Tafeln zu lesen: „In den ersten fünf Jahrzehnten seit der Wiedergründung konnte der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde in vier Reihen rund 150 Bände und fast 70 Jahrgänge dreier Zeitschriften herausbringen und weit über fünfzig internationale Fachtagungen veranstalten.“

Den Hauptvortrag des Abends hielt Prof. Dr. Paul Philippi, Gründungsmitglied des AKSL. Er sprach über die Kriegsgeneration der Siebenbürger Sachsen, die sich „in der Bundesrepublik Deutschland wieder entdeckt hatten und sich dabei Rechenschaft gegeben hatten, dass zwischen ihrer Herkunft aus Siebenbürgen und ihrer Existenz in Deutschland ein Fragezeichen steht.“ Sie begannen also Anfang der fünfziger Jahre, zunächst im „Arbeitskreis junger Siebenbürger Sachsen“, sich diesem Fragezeichen zu stellen. Der Name „Arbeitskreis“ sollte Sachlichkeit und politische Neutralität ausdrücken.

Ebenso die Wahl der Referenten, die für die Mitglieder des Arbeitskreises regelmäßig Vorlesungen hielten – Sie gehörten einer Generation an, „die siebenbürgisch-sächsisches Leben vor der Zeit des Nationalsozialismus mit verantwortet hatte“, so Philippi. Eine entscheidende Rolle sollte Karl Kurt Klein spielen: Er trug dazu bei, dass der AKSL „nicht ein Debattierclub frustrierter oder träumender ehemaliger Kriegsteilnehmer wurde, sondern ein Verein mit wissenschaftlichen, mit wissenschaftspolitischen Zielen.“
Wichtig war den Mitgliedern, die Wirklichkeit Siebenbürgens als Ganzes zu erfassen, und sich den Blick nicht durch ethnisch-nationale Perspektiven einengen zu lassen.

Das Logo des AKSL, das Seeblätterdreieck, sei ein Symbol der drei siebenbürgischen Sprachnationen. Ein Zeichen des Erfolgs ist dabei auch die Tatsache, dass der AKSL vor einem halben Jahrhundert von einigen Dutzend Mitgliedern ausgegangen war und heute rund 730 Mitglieder zählt.
Weiter zurück in die Geschichte führte in seinem Vortrag Thomas Şindilariu, Leiter des Archivs und der Bibliothek der Kronstädter Honterusgemeinde.

Er sprach über die Anfänge der Landeskunde in der Aufklärungszeit und konzentrierte sich dabei auf die siebenbürgische Freimaurerei „in einer Zeitspanne, in der Geselligkeit an einem abstrakten Vereinigungszweck entwickelt und kultiviert“ wurde.  Auch die Hermannstädter Freimaurerloge war „ethnisch bunt gemischt“. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, eine umfassende Geografie und eine allgemeine Geschichte Siebenbürgens als Gemeinschaftswerke herauszugeben.

Doch kam es bis heute zu keiner  monumentalen Monografie Siebenbürgens, und man müsse sich fragen, so [indilariu, ob ein Projekt in dieser Größenordnung überhaupt realisierbar sei. Abgesehen davon betonte der Referent, dass ein entsprechender institutioneller Rahmen für die Qualität der Landeskunde sei. Da es in Kronstadt kein Gebäude gäbe, „das auch heute als Stätte der Landeskunde identifiziert werden kann“, andererseits aber das Erbe von Johannes Honterus ein großes Potenzial darstelle, sei es angemessen, „dass wir quasi 500 Jahre nach der Reformation über ein Honterus-Gedenkhaus nachdenken könnten.“

Die Vorstellung zweier frisch veröffentlichter Standardwerke schloss den Landeskundeabend ab. Eins davon ist der 24. Band der„Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts“, begründet von Emil Sehling und bearbeitet von Martin Armgart, mit dem Schwerpunkt „Das Fürstentum Siebenbürgen. Das Rechtsgebiet und Kirche der Siebenbürger Sachsen“ (Mohr Siebeck, 2012, 534 Seiten, 189 Euro).

Der Band umfasst die Zeit 1542-1620 und geht auf eine Anregung von Prof. Dr. Paul Philippi zurück. Der zweite vorgestellte Band ist der zehnte in der Serie des Böhlau-Verlags „Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens“. Es geht um den „Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen. Bio-bibliografisches Handbuch für Wissenschaft, Dichtung und Publizistik“, herausgegeben von Harald Roth (Böhlau, 2012, 432 Seiten, 54,90 Euro), mit Einträgen zu Autoren siebenbürgisch-sächsischer Herkunft in den Bereichen Literatur, Naturwissenschaften, Rechtswesen, Wirtschaft, Geschichte u.a. Maßgeblich beteiligt an der Dokumentation, die dem Band zugrunde liegt, ist der Kronstädter Historiker  Gernot Nussbächer.