Konfessionalisierung und Denkmalpflege

Zum Beitrag „Zum Thema, geliebte Stadtpfarrkirche“ von Dr. Hermann Fabini

Neugotisches Utopia: Neben dem Abriss der Ferula schlug Anton Staudacher 1852 auch die Eindeckung von Turm und Langhaus mit farbigen Ziegeln vor. Zeichnung zu einem unausgeführten Restaurierungsvorschlag (Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde A. B. Hermannstadt)

In einem Beitrag in der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ vom 4. Februar 2014 hat sich Dr. Hermann Fabini zu einigen Bau- und Datierungsfragen der Hermannstädter Stadtpfarrkirche geäußert. Während die meisten Details von eher lokaler Bedeutung sein mögen, berührt Dr. Fabini aber mit seiner Aussage, dass sich „das sächsische Verständnis von der Umgestaltung katholischer Kirchenräume im Zuge der Reformation“, also im 16. Jahrhundert „gebildet“ habe, ein hochspannendes Problemfeld, das für das überregionale Publikum unterhaltsam sein könnte.

In den letzten dreißig Jahren hat es in der Forschung nämlich einen faszinierenden Erkenntniszuwachs gegeben. Mit Rücksicht auf die zentrale Bedeutung des evangelisch-lutherischen Glaubens für das siebenbürgisch-sächsische Identitätsempfinden hatten einige frühere Historiker das Reformationsereignis zum singulären Augenblick der evangelischen Kirchenraumbereinigung stilisiert. Jüngere Forschungen wie die von Evelin Wetter, Maria Crăciun, Kinga German oder auch Gisela und Otmar Richter haben aber gerade die ausgesprochen schleppende Veränderung der Kirchenräume enthüllt. Zwar wurde von der auf der Synode von 1547 als Bekenntnisschrift akzeptierten „Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen“ die Abschaffung aller „geschnitzt und gemalte fabeln“ verordnet, und alsbald wurden dann auch Gegenstände, die den von den Reformatoren abgelehnten „götzerischen“ und „abergläubischen“ Praktiken dienten, sowie Seitenaltäre, Votiv- oder Andachtsbilder, Reliquienbehälter und Monstranzen zum größten Teil beseitigt. Tatsächlich aber blieb vieles weitgehend unverändert, Ausstattung und Liturgie zugleich. Altäre blieben an Ort und Stelle, Lettner wurden nicht abgebrochen, Sakramentshäuser und -nischen blieben erhalten. Sogar Messgewänder, vorreformatorische Vasa Sacra und Taufbecken mit teils eindeutig mariologischen oder Heiligenikonografien fanden auch in der nachreformatorischen Liturgie Verwendung; zahlreiche Wandmalereien blieben sichtbar. Später wurden sie zu den Adiaphora gezählt und ihr Erhalt wurde befürwortet.

Die Beibehaltung der alten Ausstattung geschah nicht aus Geltungssucht, sondern hatte Bekenntniswert: Durch sie unterschied sich die sächsische Kirche in einer Zeit erhöhter konfessioneller Konkurrenz äußerlich bewusst von calvinistischen und unitarischen Kirchenräumen. Wir sind mehr als berechtigt, auch hier die Wendung von der „bewahrenden Kraft des Luthertums“ (Michael Fritz) zu gebrauchen.
Nach der Konstitution der evangelisch-lutherischen Kirche der Siebenbürger Sachsen gelangten noch viele weitere Ausstattungsobjekte in die Kirchenräume, ohne dass die mittelalterlichen ganz fortgeschafft worden wären. Das Innere der Hermannstädter Stadtpfarrkirche präsentierte sich deshalb vor den Restaurierungsarbeiten 1853-55 noch als unvorstellbares Sammelsurium dicht gedrängter Grabplatten, Epitaphe und Gestühle aller nur erdenklichen Stilrichtungen, wie es aus diversen Beschreibungen, zum Beispiel jener von Samuel Möckesch, hervorgeht. Vor 1850 betrat der Stadtpfarrer an Hochfesten die Stadtpfarrkirche in einem spätmittelalterlichen Messgewand aus schillernder Brokatseide.

Mit dem eindringenden Pietismus folgte im 18. Jahrhundert eine neue Welle der Veränderungen, jedoch fanden die einschneidenden Purifizierungsmaßnahmen erst im 19. Jahrhundert statt, als in „Deutschland“ ästhetische Programme für evangelische Kirchenräume entwickelt wurden, die einer mit – klassizistischen – Reinheits- und Symmetrieidealen aufgeladenen Neugotik den Einzug erleichterten. An der Stadtpfarrkirche wurde in der Folge das genannte Sammelsurium ohne nennenswerte Rücksichten aufgelöst, um einem aufgeräumten Historismus, einer Neuinszenierung von historischer Verwurzelung und Luthertum, Platz zu machen. Es ist dies erst der Moment, in dem der Kirchenraum nicht mehr gewachsener Bet- und Erinnerungsraum bleiben durfte, sondern zum ästhetisierten Erlebnisraum ausgestaltet wurde, in dem der „mittelalterliche Prunk“ einer programmatisch vorbereiteten „protestantischen Schlichtheit“ wich. Das „sächsische Verständnis von der Umgestaltung katholischer Kirchenräume“ bildete sich folglich nicht einfach schlagartig im 16. Jahrhundert, um dann für den Rest der Ewigkeit dasselbe zu bleiben. Wenn wir von einem „sächsischen Verständnis“ sprechen möchten, so werden wir den Zeitpunkt genauer benennen müssen, auf den wir uns beziehen – denn es variierte. Der Wille zur Umgestaltung wandelte sich selbst über die Jahrhunderte, vor allem in Abhängigkeit der theologischen Diskussion, mithin aber auch von anderen Erwägungen, z. B. hygienischen, etwa die Bestattung in Kirchenräumen betreffend.

Heute ist die Frage nach der Restaurierung und Ausstattung unserer Kirchen noch interessanter, kennen wir doch auch den Begriff der „Denkmalgerechtigkeit“. Und so stellt sich in Hermannstadt die Frage: Wie wollen wir bei der bevorstehenden Sanierung von Fassaden und Innenraum mit der Überlieferungssituation umgehen? Hinsichtlich des ahistorischen Prinzips, ein historisch vorgegebenes Ornament aufzugreifen – in diesem Fall das der barocken Turmbedachung – und dann an anderen Teilen eines Baudenkmals willkürlich in Repetition anzubringen, steht die Eindeckung des Langhauses mit bunten Dachziegeln von 1983-1984 durchaus in der Tradition der Neugotik. Dieser Eingriff ist ein geistiges Kind der selbstgewissen 1970er Jahre; heute würden wir vielleicht anders entscheiden. Wahr ist, dass wir das fröhliche Dach inzwi-schen trotzdem lieb gewonnen haben. Auch deshalb sagen wir ohne Ironie: geliebte Stadtpfarrkirche.