Lebensraum Kirche

Das Theologen-Ehepaar Anna Leticia und Peter Demuth über die Anfangsjahre in Siebenbürgen

Anna Leticia und Peter Demuth

Begegnung ist wichtig: Im Vordergrund auf der Treppe – Anna Leticia Demuth.

Seit zweieinhalb Jahren ist in der Kronstädter Evangelischen Stadtpfarrgemeinde (Honterusgemeinde) ein Theologen-Ehepaar tätig. Pfarrer Peter Demuth ist gebürtiger Schäßburger, 28 Jahre jung und Absolvent der Hochschule für Evangelische Theologie Hermannstadt/Sibiu. Im Laufe eines zweijährigen Studienaufenthalts in Leipzig lernte er seine heutige Frau kennen. Die ein Jahr jüngere Anna Leticia Demuth (geb. Schulz-Vaz) kommt aus dem entfernten Brasilien, aus der deutschen Siedlung Sinimbu.

Es war für die Religionspädagogin selbstverständlich, die Möglichkeit eines einjährigen  Auslandsstudiums in Deutschland wahrzunehmen. Leipzig war „eine wunderbare Erfahrung“ – Anna Leticia Demuth wollte so schnell wie möglich zurückkehren und beeilte sich, in Brasilien ihr Studium abzuschließen. „Ich belegte viele Vorlesungen und studierte nachmittags und abends“, erinnert sie sich lächelnd. Bald darauf entschloss sich das Ehepaar, nach Rumänien zu kommen. Der junge Pfarrer wurde gleich nach dem Studienabschluss als Vikar nach Heltau/Cisnădie entsandt – das Jahr, in dem er ins Berufsleben startete, betrachtet er im Rückblick als „besonders spannend“. Seine Frau hatte für kurze Zeit die Möglichkeit, in Heltau als Kirchenführerin zu arbeiten. Über diese Anfangszeit in Siebenbürgen und über die Arbeit im Rahmen der Schwarzen Kirche Kronstadt/Braşov sprach ADZ-Redakteurin Christine Chiriac mit Anna Leticia und Peter Demuth.



Frau Demuth, welches waren Ihre ersten Eindrücke von Rumänien?

Anna Demuth: Die erste Begegnung mit Rumänien hatte ich während der Busfahrt hierher. Es war ein Abenteuer, fast ein Kulturschock, vielleicht auch, weil ich damals kein einziges Wort Rumänisch verstand. Natürlich habe ich im Bus auch sehr nette Menschen kennengelernt. Alle waren sehr gespannt, wieso ich aus Brasilien nach Rumänien komme.

Sind die Unterschiede zu Brasilien groß?

Peter Demuth: Wir waren voriges Jahr zusammen in Brasilien. Auf den ersten Blick ähnelt es mit Rumänien. Man hat nicht das Gefühl, in der Fremde zu sein, trotzdem unterscheiden sich die Kulturen und die Lebensweisen, sicher auch klimabedingt.

A. D.: Im Allgemeinen vergleicht man unsere Länder gerne, weil sie beide lateinischen Hintergrund haben und ähnlich sein sollten. Zum Teil stimmt es: zumindest vom Aussehen her könnten wir alle Brasilianer sein.

War es für Sie schwierig, Rumänisch zu lernen?

A. D.: Es kommt selbstverständlich auch eine Zeit, wo man gegenüber einer neuen Sprache eher auf Distanz geht. Ursprünglich dachte ich auch, ich könne hier nur mit Deutsch zurecht kommen. Durch meine Arbeit in der Gemeinde habe ich jedoch festgestellt, dass man auch Rumänisch sprechen sollte. Voriges Jahr besuchte ich mit Unterstützung der Gemeinde einen Rumänisch-Sprachkurs, der mich ziemlich schnell vorwärts brachte. Auch mit den Müttern der Kinder von der Krabbelgruppe spreche ich oft Rumänisch – so habe ich die Möglichkeit, zu üben, und gleichzeitig entsteht zu denjenigen, die kein Deutsch sprechen, eine bessere Verbindung.

Wie verlief der Anfang Ihrer Tätigkeit in Kronstadt?

P. D.: Meine Entsendung wurde im September 2009 festgelegt, den Dienst begann ich später im Herbst. Spannend war es, dass wir direkt davor in Schäßburg kirchlich geheiratet hatten und die Woche darauf schon in Kronstadt sein sollten. Es war für mich auf jeden Fall eine Überraschung, dass ich hierher entsandt worden bin. Ich hatte anfangs meine Ängste, ob ich den Anforderungen in der Honterusgemeinde gerecht werden kann. Der Start ist ziemlich gut gelungen, weil zunächst unsere Vorgänger im Amt, Hannelore und Christian Agnethler, noch da waren und uns helfen konnten. Große Unterstützung kam auch durch den Stadtpfarrer - es war und ist wichtig und hilfreich für mich als junger Pfarrer, einen erfahrenen Kollegen zur Seite zu haben.

A. D.: Ich fand Kronstadt von Anfang an sehr schön und vielseitig. Wir wurden gut aufgenommen und haben uns hier gut einleben können.

Vermissen Sie Brasilien?

A. D.: Ich vermisse meine Eltern. Meine Mutter kommt dieses Jahr zum ersten Mal nach Rumänien. Sie ist Geschichts- und Geografie-Lehrerin – also wird sie im Vergleich zum 500 Jahre jungen Brasilien hierzulande sehr vieles zu entdecken und zu sehen haben.

Wie verläuft Ihre Arbeit hier in der Gemeinde?

P. D.: Ich bin der Meinung, dass in den zwei Jahren, die wir bereits hier verbracht haben, das Kennenlernen der Gemeinde und das Einarbeiten besonders wichtig waren – wobei meines Erachtens noch keins von beiden ganz abgeschlossen ist. Es gibt immer noch Dinge, die man erfahren muss, sowohl über die Gemeindeglieder, als auch konkret über die Arbeit hier im Amt. In diesem Kontext ist die Zusammenarbeit mit unseren Kollegen sehr ertragreich. Wichtig ist es auch,  neue Wege zu gehen – das ist für die Arbeit meiner Frau sehr prägend. Sie hat hier einen ganz neuen Bereich betreten und mit aufgebaut.

A. D.: Ich führe die Tätigkeit von Frau Agnethler im Bereich Kinder- und Seniorenarbeit weiter und versuche, stets neue Elemente einzubringen. Bei manchen Initiativen merke ich, dass sie vielleicht noch nicht angebracht sind, andererseits gibt es schon früher begonnene Projekte, die ich jetzt wieder ins Leben rufen kann. So habe ich gelernt, dass nicht alles dann passiert, wann ich es haben will. Bei der Arbeit mit Kleinkindern von sechs Monaten bis zwei Jahren versuche ich, so viel wie möglich die Familie einzubeziehen. „Krabbelgruppe“ ist etwas, was wir aus Deutschland kannten. Wir haben hier gleich mit wöchentlichem Programm begonnen und haben immer regeres Interesse erweckt, sodass zurzeit etwa 25 Kinder eingeschrieben sind.

Manche der Eltern kommen aus unterschiedlichen Konfessionen, aber die meisten haben eine Verbindung zu unserer Gemeinde. Es ist schön zu sehen, was die Kinder alles lernen - wir machen viel Musik und Bewegung, manchmal auch „Krabbelgottesdienste“ – und, darüber hinaus, wie die Beziehung zwischen den Müttern wächst.

Die Seniorenarbeit haben wir im Seniorenheim Blumenau zentralisiert, um auch diese Einrichtung in unser Gemeindeleben einzubeziehen. Es gibt Seniorennachmittage, Turnstunden, Gottesdienste. Viele einzelnen Aktivitäten werden von Ehrenamtlichen geleitet. Das sind noch immer christliche Treffen, wo man gemeinsam Spaß hat. Viele betrachten die Kirche als etwas ausschließlich Ernsthaftes, das sonntags im Programm steht. Aber diese Treffen bauen eigentlich Gemeinschaft und letztendlich Kirche auf. Es ist uns sehr wichtig, dass Kirche Spaß macht.

Wie gelingt es, ehrenamtliches Engagement zu fördern?

P. D.: Es war für uns von Anfang an sehr wichtig, die Ehrenamtlichen, die schon in der Gemeinde aktiv sind, zu unterstützen und in einen Rahmen zu setzen. So konnte Anna auch neue Freiwillige begeistern: sowohl für Kinder- und für die Seniorenarbeit, als auch für sonstige Einzelangebote. Wir freuen uns darüber, dass sie diese Arbeit sehr bewusst und selbstständig weiterführen.

A. D.: Die Arbeitsqualität ist dadurch auch viel besser, denn es engagieren sich Menschen, die in den jeweiligen Bereichen langjährige Erfahrung besitzen. Man denkt manchmal, dass die Gemeindepädagogin oder der Pfarrer all die Gaben haben muss, die in der Gemeindearbeit erforderlich sind, aber es ist wunderbar, wenn Freiwillige aktiv werden und ihr Können und Wissen weitergeben.

P. D.: Sicherlich bedürfen auch die evangelischen Gemeindeglieder manchmal der Neueinführung in die Gemeinde. Meistens studiert und arbeitet man eine Zeit lang anderswo und verliert dadurch den Anschluss zur eigenen Gemeinde, zur Kirche. Ein sehr wichtiger Aspekt unserer Tätigkeit ist es, einen Lebensraum zu schaffen, wo ein Neuanschluss stattfinden kann.

Sind die Menschen offen dafür oder ist dies eine schwierige Aufgabe?

A.D.: Man muss sie schon einladen und Verschiedenes anbieten. Das Risiko besteht darin, dass sie zu den Veranstaltungen kommen, ohne auch den Gottesdienst zu besuchen bzw. Anschluss in der Gemeinde zu finden. Wir wünschen uns natürlich, dass wir uns vor allem im Gottesdienst treffen, sonst bleibt man externes Mitglied einer bestimmten Gruppe, ohne wirklich zur Gemeinde zu gehören.

Gibt es für Sie eine Trennung, eine Grenze zwischen Beruf und Privatleben?

P. D.: Eher eine Spannung, im positiven Sinne. Wir sind zugleich als Kollegen und als Ehepaar bei der Arbeit. Deshalb betrachten wir es als sehr wichtig, unseren Glauben in der Gemeinde zu leben und andere dazu zu ermutigen. Wir versuchen, Möglichkeiten zu bieten, damit eine Gemeinschaft entstehen kann – das wünschen wir uns gleichermaßen als Geistliche und als Christen. Ganze Jahrhunderte hindurch bis zur heutigen Zeit ist in unserer evangelischen Kirche der Glaube auf diese Art und Weise gelebt worden. Das Gesellschaftliche war Teil der Kirche und umgekehrt. Es war immer ein Miteinander.

Wieso ist es Ihrer Meinung nach heutzutage anders?

P. D.: Auf jeden Fall dadurch, dass die Gemeinschaft nach 1990 einen sehr starken Abbruch erlebt hat und sich dann teilweise wieder neu finden musste. Sicherlich auch durch die moderne Gesellschaft, die alles relativiert und alles zu einem Angebot macht, nicht zu einer Lebenseinstellung.

Hat man als Pfarrer-Ehepaar auch eine Vorbildfunktion für die anderen?

P. D.: Ja, auch wenn wir es ursprünglich nicht erwartet hatten. Wir merken oft, dass vor allem Jugendliche unserer Gruppen fragend zu uns treten und auch in unserem Zusammenleben Antworten suchen.

Hat man auch Freizeit und Hobbys?

P. D.: Weil die Arbeit so vielseitig ist, entsteht nicht unbedingt eine Lücke: unsere Hobbys können wir teilweise mit der Arbeit verbinden.

A.  D. Das stimmt. Da können wir ganz viele Beispiele nennen: Wandern oder gemeinsam Singen, Basteln oder Backen. Das alles bringt wiederum einen Mehrwert für die Arbeit...

P.  D.: Es macht jedenfalls Mut, in Gemeinschaft den Glauben zu leben. Das war mir früher als Student nicht so bewusst. Erst hier in Kronstadt, durch die praktische Arbeit als Pfarrer, habe ich gemerkt, dass es entscheidend ist.

A. D.: Ich finde,  dass sich mein Glauben hier viel verändert und verstärkt hat, nicht zuletzt durch die vielen Begegnungen. Ich schaue auch gerne, wie andere Familien mit Glauben umgehen und lerne von ihnen.

Herr Pfarrer, ist die Jugendarbeit eine Herausforderung?

P. D.: Die Jugendarbeit ist ein Teil meines Dienstes, der sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, denn man könnte immer wieder Neues anbieten und unternehmen, es gibt keine Grenzen. Diese Arbeit ist insoweit schwierig, als sie sich in einem ständigen Wandel befindet. Dort, wo eine Gruppe zusammenwächst, geht sie in spätestens vier-fünf Jahren auseinander, wenn die jungen Leute ein Studium in anderen Städten beginnen.

Es ist eine Herausforderung, neue Mitglieder in eine bestehende Gruppe so zu integrieren, dass die Gruppe immer weitergehen kann. In diesem Kontext ist es meiner Meinung nach wichtig, sich bewusst zu machen, wieso man eigentlich Jugendarbeit fördert: Jugendliche sollten im Raum Kirche ihr Leben leben können. Sie sollten nicht nur einzelne Angebote nutzen, sondern sich ganzheitlich angesprochen fühlen.

Manchmal gelingt es, manchmal nicht – es liegt nicht alles in unserer Hand. Auf jeden Fall prägt es: Ich lerne immer wieder Menschen kennen, die früher in der Jugendgruppe sehr aktiv waren, und die sich jetzt vielleicht nach langer Pause wieder in der Gemeinde einbinden. Vor allem die jüngeren Presbyter sind ein Beispiel dafür und ermutigen mich, auch weiterhin Jugendarbeit aufmerksam zu pflegen.

Sollen wir auch von Plänen sprechen?

A. D.: Wir haben viele Pläne, jedoch müssen diese nun eine Zeit warten – aus einem erfreulichen Grund. Wir bekommen Zwillinge! Ich denke, für mich ist das genug Beschäftigung für die nächsten zwei Jahre. Ich freue mich, dass es bereits eine Krabbelgruppe gibt, und werde mich gewiss auch ehrenamtlich darin engagieren.  

Haben Sie Dank für das Gespräch.