Lectora 2014: Von der Schweiz bis zur Republik Moldau

Deutsch-rumänisches Literaturfestival in Suceava fand zum zweiten Mal statt

ifa-Kulturmanagerin Ina Gohn-Kreuz (links) mit Cătălin Dorian Florescu an der Ştefan-cel-Mare-Schule in Suceava
Foto: Annik Trauzettel

Radu Aldulescu ist enttäuscht. Enttäuscht über den rumänischen Büchermarkt, über die schwierige, finanzielle Lage rumänischer Gegenwartsautoren und über das Desinteresse der Jugend an rumänischer Literatur. Nach acht Buchveröffentlichungen trifft er in Schulen und an Universitäten noch immer auf ein stummes Publikum. Es werden kaum Fragen an ihn gerichtet und auf seine Gegenfrage, wen die Anwesenden als Beispiele zeitgenössischer Schriftsteller aus Rumänien aufführen könnten, kommt meistens keine Antwort zurück. Und wenn sich jemand meldet, dann nur um zwei Namen zu nennen: Gabriel Liiceanu und Andrei Pleşu. Aldulescu sieht sich dann immer in der Pflicht aufzuklären. Liiceanu und Pleşu seien in erster Linie Philosophen. Ihre Publikationen sind non-fiktional. Schließlich wird Mircea Cărtărescu genannt, von dem Aldulescu aber nicht viel hält.

Seine Kommentare haben auf dem zweiten Lectora-Literaturfestival in Suceava schnell hitzige Diskussionen ausgelöst. Besonders weil an seiner Lesung vorwiegend Jugendliche teilnahmen, die sich von seiner Bemerkung angegriffen fühlten. Nicht die Jugend trägt die Schuld, wandte dann schnell eine Teilnehmerin ein. Es liege an den Lehrplänen. Gegenwartsliteratur wird im Unterricht so gut wie gar nicht behandelt.

Doch das Problem würde tiefer reichen. Auch die großen Verlagshäuser wollen rumänische Autoren nicht unterstützen, weil sie kaum gefragt sind und keinen Profit bringen. Darum bleiben die meisten unbekannt. Schriftsteller wie Cărtărescu bilden Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Und dann reagieren Normalsterbliche verwundert, wenn sie von Radu Aldulescu und seinen „Völkermordchroniken“ (rum. „Cronicile genocidului“) hören. Obwohl er vor zwei Jahren für seinen Roman den Augustin- Frăţilă-Preis erhalten hat: Er ist mit 10.000 Euro dotiert und damit die höchste Literaturauszeichnung Rumäniens. Noch gehört sie nicht zu den bedeutendsten Preisen, dafür ist sie zu jung. Erst vor zwei Jahren hat das Unternehmen Philip Morris Trading die Auszeichnung ins Leben gerufen.

Literarische Aufarbeitung der Diktatur

Aldulescu ist der zweite Preisträger. Der erste ist Lucian Dan Teodorovici. Er erhielt die Auszeichnung für seinen 2011 erschienenen Roman „Matei Brunul“. Auch Teodorovici las auf dem deutsch-rumänischen Literaturfestival Lectora. Anders als Aldulescu beschränkte sich der Buchenländer allein auf die Lesung, vermied Kommentare, die von seinem Roman ablenken könnten.

„Matei Brunul“ erhielt zahlreiche Preise und soll in fünf Sprachen übersetzt werden. Es ist ein Erfolgsbuch trotz oder gerade wegen seines Inhaltes: Der Roman handelt von einem Puppenspieler, der fälschlicherweise in einem russischen Konzentrationslager landet. Er erzählt vom Stalinismus in Rumänien, der blutigsten Epoche des Landes zur Zeit des Sozialismus.

Von politischer Verfolgung handelt auch der jüngste Roman des Schweizer Schriftstellers Cătălin Dorian Florescu. Der aus Temeswar/Timişoara gebürtige Autor erhielt für „Jakob beschließt zu lieben“ den Schweizer Buchpreis – die bedeutendste Literaturauszeichnung in seiner Adoptivheimat. Florescu eröffnete das Lectora-Festival mit einer Lesung an der Stefan-cel-Mare-Universität. Neben „Jakob beschließt zu lieben“ stellte er auch seinen Roman „Zaira“ vor.

In seinem jüngsten Buch erzählt Florescu eine abenteuerliche Geschichte über das Leben der Rumäniendeutschen im Banat. Er greift die Deportationen der Minderheit auf, zuerst nach Russland und später in die Bărăgan-Steppe.

Florescu hielt auch eine Lesung an der Stefan-cel-Mare-Schule von Suceava. Zwei Stunden dauerte die Begegnung mit den Schülern, wobei er kaum aus seinen Büchern las und stattdessen ein Gespräch mit den Jugendlichen führte. Es ging um die Eigenschaften, die ein Schriftsteller braucht, um den Schreibprozess sowie seine persönliche Biografie.

Als Vertreter deutschsprachiger Literatur aus Rumänien wurden Mitglieder der Stafette aus Temeswar eingeladen. Der seit über 20 Jahren bestehende Literaturkreis bemüht sich um den Fortbestand rumäniendeutscher Literatur im Banat. Zu seinen Mitgliedern zählen sowohl erfahrene Schriftsteller wie Balthasar Waitz, als auch Schüler von der deutschsprachigen Schule „Nikolaus Lenau“ und Rentner. Die Vorsitzende des Literaturkreises, Henrike Brădiceanu-Persem, reiste mit zwei Mitgliedern für eine Lesung und für eine Schreibwerkstatt nach Suceava. Die drei Autoren lasen gemeinsam mit den Mitgliedern des Literaturkreises „Săgetătorul“.

Systemkritik und Affen-Utopie

Highlight des Festivals war der Lyrikabend im Architektur- und Kulturzentrum „Uzina de Apă“, schon allein wegen des Dichters und Performers Emilian Galaicu-Păun. Der Autor aus der Republik Moldau trug Gedichte aus seinem Band „Arme grăitoare“ vor und stellte das letzte Buch des verstorbenen Eugen Cioclea vor – einer der größten und verkanntesten Schriftsteller aus seinem Land, der sich vor systemkritischen Äußerungen nicht gescheut hat und die Postmoderne in die moldauische Literatur einführte.

Auch der Klausenburger Stefan Manasia erweckte die Aufmerksamkeit des Publikums. Sein Gedichtband „Bonobo oder die Eroberung des Weltraums“ (rum. „Bonobo sau cucerirea spaţiului“) entführt den Leser in eine alternative Welt, inspiriert aus bekannten Science-Fiction-Filmen wie „Planet der Affen“ und Terry Gilliams „12 Monkeys“. Manasia geht von den Experimenten des Biologen und Tierzüchters Ilja Iwanowitsch Iwanow aus. Dieser wollte Menschen mit Affen züchten und befruchtete darum drei weibliche Schimpansen mit menschlichem Sperma, ohne Erfolg. Manasias Gedichte handeln von einer nicht allzu entfernten Zukunft, in der Iwanows Experiment erfolgreich ist und eine neue Spezies die Erde bevölkert. Die Gedichte sind eher ironisch als düster, obwohl die Prämisse es nicht andeuten mag.
Neben Manasia und Galaicu-Păun lasen auch noch der Rumäniendeutsche Michael Astner und zwei Mitglieder des Literaturkreises „Zidul de hârtie“.

Organisation und Zukunft

Hauptveranstalter des deutsch-rumänischen Literaturfestivals Lectora war das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) Stuttgart. Die Kulturmanagerin Ina Gohn-Kreuz hat das Projekt von ihrer Vorgängerin geerbt. Projektpartner waren das Buchenland-Museum, die Stefan-cel-Mare-Universität, das Fortbildungszentrum EduMax, das Architektur- und Kulturzentrum „Uzina de Apă“ sowie das Demokratische Forum der Deutschen im Buchenland. Ina Gohn-Kreuz wurde bei der Durchführung von dem Pressereferenten des Buchenland-Museums, George Ostafi, unterstützt.

Mit Literatur wird man nicht reich. Zudem ist das Gewerbe knochenhart. Überhaupt einen Verlag zu finden, der die Druckkosten übernimmt, kann schwer sein. Die meisten rumänischen Autoren müssen den Druck aus der eigenen Taschen zahlen. Das meint Aldulescu. Darum seine Enttäuschung. Der Schriftsteller, der in in seiner Jugend geboxt hat, wirkte zwischenzeitlich so, als würde er das Handtuch schmeißen wollen. Doch entgegen seinen Behauptungen, es würde an Interesse fehlen, war das Lectora-Festival gut besucht. Und besonders viele Jugendliche beteiligten sich, sowohl an Schreibwerkstätten als auch an den Lesungen.

Es wird sich auf dem rumänischen Büchermarkt so schnell nichts ändern, aber die Literatur stirbt nicht aus. Auch wenn sie zunehmend exklusiver wird, so finden sich doch Jugendliche, die sich durch Literatur ausdrücken möchten und denen auch die Begabung nicht fehlt. Darum dürfte sich auch die ifa-Kulturmanagerin Ina Gohn-Kreuz keine Sorgen um die dritte Auflage des Festivals machen, auch wenn ihr Entsendungsjahr vorbei ist. Lectora wird in Suceava zur Tradition. Weil sich das nötige Publikum findet. Kein stummes, wie bei anderen Lesungen, auf die Aldulescu verwiesen hat, sondern ein aktives, das durchaus eine Meinung hat und bereit zum Dialog ist.