Leser gegen ‚Pandikanten‘: Wenn Pandas das Sagen haben

Über die Meinungsfreiheit des (un)mündigen Bürgers

Symbolgrafik: pixabay.com

Menschen, die die 1980er Jahre unter dem Ceauşescu-Regime erlebten, haben vielleicht noch die zynische Staatspropaganda der damaligen Zeit in Erinnerung. Es war die Zeit der „goldenen Epoche“, welche keine Gegenpartei haben und auch nicht kritisiert werden durfte. Es war auch die Zeit, in der eine „Rekordernte“ auf die andere folgte, was jedoch unerklärlicherweise dazu führte, dass fast alle Regale in den durchwegs staatlichen Lebensmittelgeschäften leer waren und es fast nichts zu kaufen gab. Es war die Zeit des unaufhaltsamen, „vielseitigen“ Fortschritts, jedoch wurden die Warteschlangen für Milch und Brot immer länger. Jeden Abend erschien „der geliebteste Sohn des Volkes“ in den Nachrichten, mal wurde gezeigt, wie er einen Maiskolben auf dem Feld inspiziert, mal wie er in einer Fabrik oder auf einer Baustelle wichtige Anweisungen erteilte. Die Menschen, die um ihn herum standen, Landwirte oder Bauingenieure und Arbeiter, lauschten ganz exaltiert und folgten den Anweisungen des Generalsekretärs.

Auch Kinder empfanden diese Diskrepanz zwischen Fernsehen, Radio, Zeitungen einerseits und der trostlosen Wirklichkeit andererseits sehr merkwürdig. Man hat früh und reflexartig gelernt, den gleichgeschalteten Massenmedien zu misstrauen. Die Tagesnachrichten wurden auch von den Erwachsenen komplett ignoriert und als einen nichtssagenden Übergang zum darauffolgenden Spielfilm betrachtet. In meiner Familie war es zumindest so, dass man sich während des Nachrichtenjournals noch laut unterhielt, man suchte sich vielleicht einen komfortablen Sessel aus oder man besprach die Aufgaben für den morgigen Tag. Erst als der Spielfilm anfing, die sogenannte „Telecinemateca“, deren melodische Tonspur mir noch heute im Kopf herumschwirrt, wurde das Licht ausgeknipst und mit dem Quatschen Schluss gemacht. Nur die Fiktion wurde ernst genommen, die vom Staate präsentierte „Wirklichkeit“ wiederum als eine schlechte Fiktion empfunden.

Die Alternative „Freies Europa"

Das war aber auch die Zeit, in der man Alternativen hatte. Man hörte dem verbotenen Sender „Freies Europa“ zu, um die wahren Nachrichten zu erfahren. Obwohl es strafbar war, oder eben deswegen, hatte der Sender aus München viele Zuhörer, im sozialistischen Rumänien, wie im gesamten Ostblock. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir einen betagteren Herrn als Nachbarn hatten, der auch an Schwerhörigkeit litt und deshalb den Nachrichten des gesetzwidrigen Senders auf voller Lautstärke horchte. Das führte immer wieder dazu, dass fast die gesamte Nachbarschaft dem ehrwürdigen Herren empfahl, die Lautstärke ein bisschen herunterzudrehen. Davon wollte (oder konnte) der Herr nichts hören, und so wurde es zur Gewohnheit, bis zur Wende, dass jeden Abend die Nachrichten aus der freien Welt lautstark aus der Wohnung des Nachbarn ertönten. Unser grauhaariger Nachbar glaubte fest daran, dass es „drüben“ eine echte, und vor allem glaubwürdige Presse gab. Daran glaubten damals alle – niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, eine vom Radiosender „Freies Europa“ bekanntgemachte Nachricht als unwahr zu bezeichnen oder gar als Propaganda abzutun. Die „drüben“ waren die Guten, deshalb vertraute ihnen auch unser lieber Nachbar.

Nachdem ich jahrelang die großen deutschen Tageszeitungen gelesen habe, habe ich nun seit zirka einem Jahr aufgehört, regelmäßig Zeitungen zu lesen. Als letzte Hoffnung galt bis zuletzt „Die Süddeutsche”, auf ausdrückliche Empfehlung eines Freundes, der mir immer wieder sagte, diese Zeitung sei das beste Beispiel des deutschen Qualitätsjournalismus. Da fast alle Zeitungen mittlerweile auf Facebook viele Artikel veröffentlichen, habe ich meistens – auch aus Zeitgründen – die Veröffentlichungen da akribisch verfolgt. Und ich habe nicht nur die Artikel, sondern auch die Leserkommentare jedes Mal gelesen.

Der Umgang mit Leserkommentaren

Viel interessanter als manche Kommentare finde ich jedoch den Umgang der großen deutschen Zeitungen mit der Leserschaft. So kann man auf den Seiten der Tageszeitung „Die Welt“ immer wieder schwer annehmbare Kommentare und Belehrungen der Praktikanten (die sich „Pandikanten“ nennen und immer wieder Bilder von mehr oder weniger drolligen Pandabären zwischen den Leserkommentaren postieren, sehr zum Genuss der jungen Leserschaft anscheinend) lesen, man habe sich an die eigens festgelegten Regeln zu halten oder man würde ohne Vorwarnung gesperrt werden. Das hat für mich mehr mit Schulhofgehabe als mit seriösem Journalismus zu tun. Es werden täglich Hunderte Kommentare gelöscht, mit der Begründung, Leser würden hetzen oder Fremdenfeindlichkeit schüren.

Leser werden von den Zeitungsmoderatoren entweder meist persönlich beleidigt, für ihre Meinung kritisiert, eines Besseren belehrt oder pauschal bezichtigt, „Trolle“ oder „Dumfbacken“ zu sein; beliebt unter den Moderatoren ist auch die Empfehlung, Leser sollen sich „Aluhüte“ aufzusetzen, womit man metaphorisch den Menschen zu verstehen gibt, sie seien entweder Verschwörungen zum Opfer gefallen oder paranoid. Tosenden Beifall wie beim 14. Parteitag der RKP erhalten jedoch Kommentare, die stets bestimmte Artikel oder Autoren ausnahmslos blindgläubig preisen. Überhaupt nicht verstehen kann ich, wie Zeitungen sich dazu entschließen, nicht nur „nicht-konforme“ Meinungen der Leser zu löschen, sondern die Kommentarfunktionen zu bestimmten und von der Redaktion ausgewählten Artikeln einfach zu sperren, mit der äußerst bedenklichen Begründung, dies „im Sinne des Qualitätsanspruches“ zu machen. Jedoch ist das heute in Deutschland gang und gäbe.

Was mir noch aufgefallen ist: Es gibt haufenweise Leserkommentare, die beleidigend, beschimpfend und gehässig gegenüber Osteuropäern sind, die nie gelöscht werden, und kein Praktikant oder Moderator scheint sich daran jemals zu stoßen. Anders als im Falle der starren politischen Korrektheit schreiten die Moderatoren in solchen Fällen fast nie ein. So kommentierte ein Leser der „Süddeutschen Zeitung” namens Hakan A. zu einem Artikel über die EU-Politik der Bundeskanzlerin, ohne Frau Merkel „hätten andere (Länder, nehme ich an) ein kleines, eigenes Europa gebastelt, so mit Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Moldawien“. Eine andere Leserin namens Heike B. verkündete ebenfalls, sie hätte bis vor Kurzem in Mittel- und Osteuropa „neue, potente EU-Mitglieder“ gesehen. „Weiß nicht“, kommentiert sie weiter, „jetzt möchte ich dem Putin fast ne Mail schreiben, dass er diese Staaten wieder eng an sein Herz drückt“. Übrigens hat der werte Herr Hakan A. für seinen Kommentar ganze 116 „Likes“ bekommen, der somit zum beliebtesten Leserkommentar des Artikels gewählt worden ist. Sage doch einer, dass Integration nicht funktioniert!