Leserecke

Im Schatten der Akazienbäume (II)

Ich weiß schon, das Ritual ist mir inzwischen bekannt, wir werden irgendwo stehen bleiben und meine Mutter wird der Kunst des Wählens und Feilschens dreisprachig verfallen. Sie ist dort auf dem Markt bekannt. Sie sucht ihre Verkäuferinnen aus Neuarad und Petschka. Sie wird begrüßt, angehalten, gelockt und mit bestem Banater Gemüse verführt. Nie hat sie vergessen, auch in den Zeiten der finanziellen Einschränkungen, mir „etwas Besonderes“ zu kaufen. Im Frühling waren es Spargel und Erdbeeren, im Frühsommer ein Bund Kirschen, im Herbst Trauben, Zuckermelonen oder Maiskolben und im Winter Sauerkraut. Die Faszination, die von einem überfüllten Markt ausstrahlt, ist enorm. Es ist, als ob man in das mythologische Füllhorn eintauchen würde. Meine „persönlichen“ Verkäuferinnen empfangen mich mit einem breiten Lächeln. Sie wussten, dass ich sie bevorzuge. So auch die Prunkel-Tante, die in unserer Nachbarschaft, in einem Konglomerat von niedrigen gelben Häusern, die Innenhöfe begrenzten, wohnte.

Erstaunlicherweise fand ich nur ihr Sauerkraut saftig und salzig genug für meinen Geschmack. Ab und zu kam es vor, dass ich zu ihr nach Hause lief, um Sauerkraut zu kaufen und ich frage mich auch jetzt, wie ich wohl das schwere Holztor öffnen konnte.

Der Josefstädter Markt belegte die Mitte der Straße und setzte sich jenseits der Straßenbahnlinien fort. Dort waren die schwäbischen Frauen mit Käse und Wurst.

Die Ware wurde immer sorgfältig mit weißen Tüchern bedeckt und es war ein Genuss, den Duft einzuatmen.

Wir liefen nie über die Brücke. Sie stand wie eine unterbewusste Grenze zum Nichts da. Vor der Brücke war meine unabhängige Welt zu Ende. Aber was für eine Vielfalt verbarg meine Welt, meine Straße! Ihre Breite und Länge überwältigte mich und es schien mir morgens, während ich zum Kindergarten lief, dass die Akazienbäume nur für mich ihre Schatten auf das staubige Pflaster warfen und dass die Spatzen nur für mich ihr Zwitschern emporsandten.

Ich war ganz bestimmt ein glückliches Kind. Der Kindergarten verbarg sich in einem alten, unscheinbaren Gebäude. Das Tor war niedrig und eng wie für Kindergestalten geschaffen. Vor ihm befanden sich die Wurststände und das machte ihn mir viel sympathischer. Die Kindergärtnerinnen waren über den ersten Frühling und in meiner Erinnerung, freundlich. Dort habe ich Freundschaften für ein Leben geknüpft.

Aquarell: Kirsch- und Nussbäume

Man sagt, im Herbst sei Temeswar am schönsten. Dann verfärben sich die Bäume nach einem trockenen, dürren Sommer, in den Farben des Regenbogens. Entlang des Flusses kann man stundenlang die angelegten Parks durchqueren; sich selbst fern halten von dem Staub und Lärm von „Iosefin“ bis zur „Fabrik-Stadt“. Auch der Garten bot mir im Herbst die viel ersehnten Früchte. Der mächtige Nussbaum klopfte förmlich an meinem Fenster, und ich musste nur meine Hand ausstrecken, um die feuchten, kühlen Wundertüten aus ihrer grünen Schale zu befreien. Es war wirklich unwichtig, dass sich dabei meine Finger dunkel verfärbten und dass ich tagelang schrubben musste, bis sie wieder sauber wurden. Der große Zauber wurde aber vom Birnbaum verbreitet. Versteckt in der hintersten Ecke des Gartens, umgeben von Brombeersträuchern, reckte er sich zum Himmel empor. Weit, viel zu weit oben schaukelten goldfarbene, saftige, riesige Kaiserbirnen. Ich fühlte mich an jener Stelle winzig klein und voller Sehnsucht. Wie der Wanderer am Fuße einer Kathedrale. Vereint in der Winzigkeit, beschäftigte ich mich mit dem Ameisenvolk an der Wurzel des Tempels. Ich buddelte Gräben und baute Brücken aus getrockneten Stängeln und Halmen, ich stellte rätselhafte Fallen und staunte über die Lösungsfähigkeit dieser unermüdlichen Insekten.

(Fortsetzung folgt)