Letzter Gong für dieses Jahr

Eurothalia mit X-Tensions ging zu Ende

Der Tod liest und grinst: „The Killing Times“. Auch das Publikum lächelte manchmal, die skurrile Atmosphäre wirkt auch ein wenig scherzhaft, schon aber vorwiegend zeremoniös.
Foto: Tommy Bay

Ein Leben auf der Bühne hatte die chilenische Schauspielerin Mária Cánepa hinter sich, als sie 2006 verstarb. 60 Jahre hatte die 84-jährige der Thalia gewidmet. Nun kam sie über Dänemark nach Rumänien, nach Temeswar, mit dem ihrer Person und Persönlichkeit gewidmeten Stück „Ave Maria”, das der bekannte Regisseur Eugenio Barba am Odin Teatret inszeniert hat, und mit ihrer Freundin, der Schauspielerin Julia Varley, als Interpretin. Und dies am letzten Abend des Eurothalia-Festivals.

„Der Tod fühlt sich einsam. Eine Zeremonie für die chilenische Schaupielerin Mária Cánepa“ so der Untertitel der Vorstellung, in der die Bewegungen, die Gestik und die Bühnenausstattung und Kostüme von der Musik, aber auch den Lauten und ab und zu von der röchelnden Stimme der Schauspielerin hervorgehoben werden. Wenig Text, viel Bewegung, keine Mimik – das Gesicht der Schauspielerin bleibt verdeckt, nur ab und zu blitzt eine gewisse Mimik des Schädels: ein Lächeln oder ein Grinsen.

Die einzige Darstellerin muss eine Gestalt auf die Bühne bringen, die zur Hälfte Maria, zur Hälfte den Tod verkörpert, halb Mensch, halb Geist ist. Und dann ein Ritual vollführen, das manchmal ein Lächeln hervorruft, dann wiederum zum Nachdenken anstößt, aber vor allem die Augenbrauen der Zuschauer hebt: Es ist ein giraffenartiges Wesen, das da auf der Bühne erscheint, hoch oben der kahle Schädel, der gekämmt wird, Kleider wechselt, auch solche, die an die traditionellen südamerikanischen Kostüme erinnern, tanzt, sich bewegt, bügelt und Wäsche an die Leine aufhängt, dann relaxt und „The Killing News“ liest. Dabei ist das Bühnenbild von Totenkopfmotiven bespickt.

Eine Idee schwelt über die Bühne: Der Mensch ist von Geburt an dem Tod geweiht. So wird eine Babypuppe in Windeln mit Totenköpfen gewickelt, bekommt dazu ein feines Kleidchen, wird dann aber in ein Bettchen gelegt, das keins ist, sondern eigentlich ein kleiner Sarg. Daraus entspringt wie in einer Magienummer ein kleines Skelett, die Puppe hat sich verwandelt, trägt aber immer noch das Kleidchen, woran man sie erkennt. Als nach einer Stunde das Licht ausgeht, funkelt im Dunkeln nur der kahle, grinsende Schädel.

Alles andere als gewöhnliche Theatervorstellungen hat diese siebte Auflage des Eurothalia-Festivals gebracht, die am Freitag ausgeklungen ist. „Grenzen“ – mit diesem Thema haben sich Theaterhäuser aus verschiedenen Ländern befasst, in den verschiedensten Auslegungen und vor allem in den verschiedensten Interpretationen. Da ging es um Menschen, die an ihren Grenzen stoßen, um viele Tabuthemen oder solche, die im Inbegriff sind, nicht mehr tabu zu sein, um Sexualität und Prostitution, um Freitod, um Tod überhaupt, um den Umgang mit dem Anderen, vor allem mit dem als andersartig empfundenen Anderen. Eines hatten sie noch gemeinsam: die Aktualität der Themen und die starke Verbundenheit zur Realität. So ist nicht nur „Ave Maria“ der Schauspielerin Mária Cánepa gewidmet, die tatsächlich Spuren in der chilenischen Theaterwelt hinterlassen hat, sondern die Schauspieler Markus Schäfer und Markus Wenzel haben die Einundachtzigjährige Margot in ihren letzten Wochen vor dem begleiteten Freitod besucht, mit ihr diese Wochen erlebt und aufgezeichnet, und das Stück „Die saubere Stadt“ geht auf eine Studie zurück – Soziologie und Theater verwickeln sich. Untersucht wurde das Profil und das Leben der Frauen, die Athen sauber machen: vorwiegend Einwanderinnen, die sich und ihre Familien als Reinemachefrauen in der griechischen Hauptstadt und Wiege der Demokratie über Wasser halten. Dann geht es um berechtigte Fragen wie etwa: Wer? oder Warum? Wer macht Athen sauber? Und: Warum bilden Einwanderinnen die Mehrheit der Reinemachefrauen? Und die Gedankenspiele werden weitergestrickt und es geht dabei um Themen wie Immigrantenbilder, um Fremdenfeindlichkeit bis hin zu Ideologien, die schon einmal Menschen kaputt gemacht haben, Ideologien, deren Fratzen wieder über Europa ziehen.

Theater- und Tanzensembles aus Deutschland, Belgien, Italien, Spanien, Griechenland, Dänemark und Rumänien sind in diesem Jahr bei „Eurothalia“ zusammengekommen. An den acht Tagen konnten die Besucher einer Reihe von Vorstellungen, Filmvorführungen, aber auch Workshops beiwohnen. Die diesjährige Auflage hat auch eine Reihe von Veranstaltungen Eurothalia Xtensions beinhaltet, die auf das Werk des Regisseurs Eugenio Barba fußen. Mit dem Projekt Xtensions hat der Verein „Temeswar Kulturhauptstadt Europas 2021“ hiesige Kulturinstitutionen angesprochen und bereits etablierte Festivals und Events auf das Jahr 2021 hin vorbereitet, ihnen eine neue Dimension verliehen.