Mal eine ganz andere Art zu lernen

Inklusives Tanzperformance-Projekt am Brukenthal-Gymnasium und in der Behindertenwerkstätte Diakoniewerk

Bei den Darstellern die Freiheit des Ausdrucks zu fördern ist Ziel des Projekts.
Foto: T. Leonhard

Die Figur des Narren künstlerisch und wissenschaftlich ernst zu nehmen, ist das Anliegen des innovativen Tanzperformance-Projekts „Ver/rückungen: Weisheit der Narrheit“ am Brukenthal-Gymnasium. Die Proben mit den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern des Brukenthal-Gymnasiums und Klienten der Behindertenwerkstätte des Diakoniewerks Hermannstadt, Sängern und Instrumentalisten aus der Region sowie die wissenschaftliche Arbeit in Kooperation mit dem Institut für Ökumenische Forschung der Lucian-Blaga-Universität erstrecken sich über neun Monate. Unterstützt wird das Projekt vom Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt, das zugleich auch der Veranstalter des Projekts ist, dem Österreichischen Kulturforum in Bukarest sowie von Christian Burtscher mit einer Privatspende. Weitere Projektpartner sind das Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“, das Institut für Ökumenische Forschung, das Diakoniewerk Gallneukirchen sowie der Verein dia.Logos Sibiu. Die Erstaufführung der eingeübten Tanzperformance ist für den 28./29. Mai in der Johanniskirche in Hermannstadt vorgesehen.

Das künstlerische Konzept begeistert mit dem scheinbar Einfachen: Das individuelle, authentische Bewegungsrepertoire wird gestärkt, der Ort der Aufführung wird einbezogen, Livemusik bringt Schwung in das Geschehen. Diesem auf den ersten Blick einfachen Konzept liegt allerdings viel Überlegung zugrunde. Als Performance baut das Projekt Unerwartetes in die Regie mit ein und lässt sich somit auf einen Spielraum zwischen Geplantem und Spontanem ein. Damit entspricht das Konzept der gängigen Auffassung der Figur, an dem es sich orientiert, der Figur des Narren. Indem sich die Performance auf diese Figur einlässt, werden die spezifischen Verhaltensweisen des Narren erfragt und die Wirkung, die diese Figur auf Menschen hat, wird erforscht.

Ein Narr zu sein, ist schwieriger, als für einen Narren gehalten zu werden. Das innovative Tanzperformance-Projekt bringt neuartige Erfahrungen für die Teilnehmer an dem Projekt. Der Narr gilt als Figur der Freiheit, die das Gewohnte durchbricht, Grenzen überschreitet, von Mut gekennzeichnet ist. Als unkonventionelle Außenseiter lassen Narren Vor- und Nachteile des Alltagslebens erkennen, führen dazu, die gewohnte Ordnung und Struktur als solche zu erkennen und sich damit auseinanderzusetzen, sei es, um sie zu bestätigen oder um sie in Frage zu stellen. Eine ‚Katastrophe‘ im wahrsten Sinne des Wortes für das klassische pädagogische Modell, eine Umkehrung der Grundsätze: sich bewusst außerhalb der Ordnung, der Normen und der Regeln zu versetzen. Aber doch gerade darin bleibt es ein pädagogisches Musterbeispiel. Nicht nur wird dadurch das kritische Auge geschult, sondern es werden auch das Individuelle und die Kreativität gefördert. Zugleich fördert das Projekt zwanglos die Neigung zur Kunst und die künstlerische Ausdrucksweise bei den behinderten und nichtbehinderten Teilnehmern an der Performance.

Bei den pädagogischen Ansprüchen soll es somit keineswegs bleiben. Die Performance „Ver/rückungen“ gliedert sich in die zeitgenössische, bereits gut verbreitete Tanzkunst ein und will auch künstlerisch zu diesem Genre beitragen. Methodisch und ästhetisch wird zeitgenössischer Tanz mit Mitteln der Site specific performance (engl. ortsspezifischen Aufführungen) verknüpft. Auch wird mit Elementen des bereits etablierten Community dance (engl. Gemeinschaftstanz) und Danceability (engl. Tanzbarkeit) gearbeitet. Als Vorbilder des Projektes gelten „Tanz die Toleranz“ der Caritas Wien, das Community Dance Projekt „Pasărea de foc“ (2009) von Royston Maldoom in Bukarest, die Arbeit des Vereins „Ich bin o.k.“ in Wien sowie die Arbeit der Amici Dance Theatre Company von Wolfgang Stange.

Das laufende Projekt setzt zugleich gesellschaftlich Zeichen wie die Inklusion behinderter Personen. Das Unterschiedliche, mitunter Fremde, die Andersartigkeit behinderter Personen will mit der Inklusion nicht aufgehoben, sondern gerade betont werden. Es geht gerade nicht darum, Behinderung einer vermeintlichen Normalität einzugliedern. Vielmehr wird die Einzigartigkeit des Einzelnen betont und dabei gerade auch das Fremde, das Verschiedene geltend gemacht. So schreibt die Leiterin des Projekts, Teresa Leonhard, in ihrer Projektdarstellung: „Inklusion heißt Raum zu schaffen für das Fremde, für den grotesken Körper, für den Anders-Denkenden, für Verletzlichkeit und Tragik. In der Begegnung entstehen Zwischen-Räume, die Dialog und Lernen ermöglichen und erkennen lassen: Jeder ist im anderen Raum ein Fremder. Kunst ist im Besonderen geeignet, Experimentierfelder der Begegnung zu inszenieren, sich auf das bereichernde Spiel mit dem Fremden einzulassen und im Dialog miteinander sowie von den Narren zu lernen, um schließlich auch Aspekte des Narren in sich selbst zu wecken.“

Teresa Leonhard unterrichtet seit Herbst letzten Jahres Musik und Tanz am Brukenthal-Gymnasium. Sie stammt aus Linz und promovierte 2012 an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Bereits während ihres Studiums befasste sie sich mit der Musik- und Bewegungserziehung. Das Performance-Projekt bringt die pädagogischen Aspekte mit der Forschungsarbeit in Bereichen der Ästhetik, Philosophie, Theologie und Kunst zusammen. Gerade als Performance setzt das Projekt auf Polyästhetik – ein Konzept, in dem das Zusammenspiel mehrerer Sinne die Wahrnehmung bestimmt und diese auch gleichzeitig in der Darstellung berücksichtigt werden.

Als Tanzstück ist die Aufführung, so die Leiterin, collageartig zusammengestellt. Auch musikalisch wird Livemusik von eingespielter Musik ergänzt. Bewegung, Tanz, Stimme, Sprache, Klang, Musik, Projektion, Materialien, Requisiten werden im Stück mit aufgenommen und ohne durchgehenden logischen Handlungsaufbau zusammengefügt. Dadurch ergeben sich vielmehr Konstellationen als eine erzählte Geschichte. Wird bei den Darstellern die Freiheit des Ausdrucks gefördert, so sind Aspekte wie die musikalische Zusammenstellung aufs genaueste durchdacht. Musik von Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart sowie Philipp Caudella, ehedem Musiker an der katholischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt, nicht zuletzt aber auch Klänge des byzantinischen Ritus und des Zeitgenossen Werner Schulze (Komponistenporträt in Hermannstadt, Mai 2016) sollen auf die bestehenden kulturellen Beziehungen zwischen Rumänien und Österreich verweisen.

Das langjährige Interesse der Leiterin des Projekts an transdisziplinären Arbeiten in sakralen Räumen sowie an dem Zusammenspiel von Kunst und Theologie spiegelt sich in der Wahl des Aufführungsortes wieder. Wie die mit Gästen und Zuschauern gefüllte Johanniskirche die geübte Performance bestimmt, wird sich allerdings erst bei der Aufführung zeigen. Es bleibt spannend.