Mangelgesellschaft

„Im Falle eines Notfalls schlagen Sie bitte mit dem Hämmerchen das Fenster ein”. Täglich muss ich im Bus diesen Satz lesen. Egal in welchem, denn er steht in jedem Bus. Nur - was immer zuverlässig fehlt, ist das Hämmerchen! Statt dessen ein leerer Halter. Wird es von den Fahrgästen ständig geklaut? Hat es der Busunternehmer entfernt, damit genau das nicht geschieht – oder weil er es selber brauchen kann? Der Bus fährt schließlich auch ohne. Gibt es auf dem Bukarester Obor-Markt irgendwo einen Stand, wo man diese Hämmerchen verscherbelt? So manche Dinge bleiben dem Zugewanderten auch nach 15 Jahren Rumänien immer noch rätselhaft...

Mein Gott, 15 Jahre! Schmunzelnd denke ich an meinen ersten Spaziergang im Ci{migiu-Park zurück: Im strahlenden Sonnenschein setzte ich mich mit einem Buch in einen kleinen Biergarten. Sein Getränk muss man dort, wie in Bayern, an einem Kiosk selbst abholen. Ich nehme also die Bierdose entgegen - und bleibe abwartend stehen. „Möchten Sie noch etwas?” fragt die Verkäuferin freundlich. „Nein danke”, erwidere ich leicht verwirrt. Frisch importierte Expats können sich jetzt denken, worauf ich gewartet hätte - das Glas! Gibt’s aber nicht in Rumänien. Bier trinkt man aus der Dose, auch im Park und auch als Dame. Bauarbeiter trinken es hingegen aus der drei-Liter-Plastikflasche - eine Ration, die einen üppigen Brunch ersetzt und bis zum frühen Nachmittag anhält. Zum Abendessen dann das gleiche. Bestimmt haben sich Krankenhäuser längst darauf eingerichtet und hängen solche Patienten an den Tropf mit Aufschrift „Neumarkt“.

Schon bald danach musste ich die nächste typische Rumänien-Erfahrung machen: Der Kanal im Hof meines Mietshauses war übergelaufen und ich wartete auf den Reparaturdienst. Irgendwann kamen sogar gleich drei Männer. Die Hände fest in den Hosentaschen, studierten sie ausgiebig die Misere. „Ich bräuchte eine große Zange”, meinte der erste nach einer Stunde Palaver. Wie – von mir? Naja, kann ja mal vorkommen, dass man sein Werkzeug vergisst, denke ich gutmütig und bringe das Gewünschte. „Und eine Stehleiter”, lautet der nächste Befehl. Mann, haben die Glück, das ich sogar eine besitze! Nicht jede Frau verfügt über ein Hobby-Kanalreparaturset.

Zwei Stunden später bekomme ich die Leiter zurück – von oben bis unten schlammverschmiert! Um einen Putzlappen zu bitten, wäre den Männern wohl zu peinlich gewesen. Auf die Frage nach den fehlenden Gummifüßen dann dreimal unschuldiges Achselzucken: „Die sind da unten steckengeblieben.” Tja, wenn’s nicht die eigene Leiter ist, macht man sich mit der Suche des Verlorenen natürlich auch keine Mühe... Rumänien-Neulinge seien gewarnt: Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Handwerker auch über Werkzeug verfügt. So manch einer kommt, wie man so treffend auf Rumänisch sagt, „ca o floare” - wie ein Blümchen - daher.
Und weil ich gerade so schön am Dahinmeckern bin, gleich noch ein typisches Rumänien-Anekdötchen. Auf dem Markt in Otopeni, mit meinem Schwager aus Deutschland: Der Gute musste mal dringend auf ein gewisses Häuschen und ich zeigte ihm, wo es zu den „Herren“ rein geht. Sekunden später kam er mit hochrotem Gesicht wieder herausgeschossen. „War es nicht sauber?“, erkundigte ich mich in böser Vorahnung. „Doch. Aber ich öffnete eine Tür und - stell dir vor, da saß einer und guckte ganz empört! Dabei hatte der Depp nicht mal abgeschlossen!“ Ich hätte ihn vorwarnen müssen: Man platzt in Rumänien nicht in Kabinen rein, ohne vorher anzuklopfen. Weil nämlich das Schloss an der Innenseite fast genauso zuverlässig fehlt, wie das kleine Hämmerchen im Bus...