Maulwürfe im Bundestag?

Gespräch mit Dr. Georg Herbstritt, Historiker und Mitarbeiter der Jahn-Behörde (BStU) in Berlin

Georg Herbstritt
Foto: William Totok

Gutachten der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) zum Einfluss der Stasi auf den Deutschen Bundestag

Dr. Georg Herbstritt ist der Verfasser einer umfangreichen Studie über die Bundestagsabgeordneten, die in der Zeit von 1949 bis 1989 für den ostdeutschen Staatssicherheitsdienst gearbeitet haben. Die Studie trägt den Titel: „Der Deutsche Bundestag 1949 bis 1989 in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR”.  Das Gespräch mit Dr. Georg Herbstritt führte William Totok.

Du hast über zwei Jahre lang an einem Gutachten über die Verbindung der Stasi zu Bundestagsabgeordneten gearbeitet. In wessen Auftrag wurde diese Expertise erstellt?

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, hat im Oktober 2010 die Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) damit beauftragt, ein solches Gutachten zu erarbeiten. Lammerts Beauftragung wurde von allen Fraktionen im Bundestag befürwortet.

Warum wurde dieses Gutachten gerade jetzt erstellt?

Ein solches Gutachten war schon längst überfällig. Denn schon seit vielen Jahren kursieren Gerüchte, wonach die Stasi spürbaren Einfluss auf den Bundestag und seine Abgeordneten genommen habe. Es war an der Zeit, diesen Gerüchten überprüfbare Fakten entgegenzusetzen.

Hat die Untersuchung frühere Spekulationen, in denen von einer beachtlichen Unterwanderung des Parlaments durch Stasi-Agenten die Rede war, bestätigt?

Die Untersuchung hat diese Spekulationen zurechtgerückt. 1972 hat die Stasi tatsächlich in das Parlamentsgeschehen eingegriffen: Damals hat sie zwei Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion bestochen, um den Sturz des SPD-Kanzlers Willy Brandt bei einem Misstrauensvotum zu verhindern. Das war aber ein Einzelfall, der seit Langem bekannt ist.
Das vorliegende Gutachten zeigt allerdings auch, dass die Stasi den Bundestag und seine Abgeordneten intensiv ausspioniert hat. Als Spione nutzte sie vor allem die Mitarbeiter der Abgeordneten – etwa Sekretärinnen und Referenten, und sie hörte in großem Umfang die Telefongespräche der Abgeordneten mit. Ob und wie die DDR-Führung dieses geheime Wissen genutzt hat, müsste nun erforscht werden. Ich habe keine Belege gefunden, dass die Arbeit des Bonner Parlaments von der Stasi spürbar beeinflusst worden wäre – außer eben 1972.

Wie viel Bundestagsmitglieder haben in der Zeit von 1949 bis 1989 tatsächlich für die Stasi gearbeitet?

Zwischen 1949 und 1989 haben nachweislich neun Abgeordnete für die Stasi gearbeitet. Das heißt, es gab fast immer einen oder auch mehrere Abgeordnete, die für die Stasi spionierten. Ferner liegen zu elf Abgeordneten der 1950-er und 1960-er Jahre Hinweise auf Verbindungen zur Stasi vor. Aber es ist bei ihnen nicht sicher, ob sie tatsächlich IM (Inoffizielle Mitarbeiter) waren. Von einer „Stasi-Fraktion” kann keinesfalls die Rede sein.

In dem knapp 400 Seiten umfassenden Material, das jetzt auf der Internetseite des Bundestages abrufbar ist, wird auch der Name des Securitate-Überläufers Ion Mihai Pacepa genannt. Wieso taucht dessen Name in diesem Kontext auf?

Pacepa hat nach seiner Flucht in die Bundesrepublik 1978 einen Bundestagsabgeordneten als Securitate-Informanten bezeichnet. Das ging damals durch die Presse. Ich habe die Archive von Stasi und Securitate überprüft. Es gibt keine Unterlagen, die Pacepa stützen. Pacepa ist allerdings dafür bekannt, Gerüchte und Halbwahrheiten zu verbreiten. So auch in diesem Falle.

In einem umstrittenen Buch des Amerikaners Larry Watts wirst Du mit dem Hinweis auf übertriebene Aussagen Pacepas zitiert. Dadurch versucht Watts, seinen konspirologisch angehauchten Thesen eine größere Legitimität zu verleihen, Thesen, die darauf hinaus laufen, Pacepa als KGB-Agenten darzustellen, der im Auftrag der Sowjets in den Westen geschleust wurde, um den Unabhängigkeitskurs Ceauşescus zu diskreditieren. Was hältst Du von solchen Behauptungen?

Ich halte auch diese Behauptungen nur für Gerüchte, denen ich keinen besonderen Wert beimesse. Wenn Pacepa diesen Auftrag gehabt hätte, so müsste man konstatieren, dass er gescheitert wäre.

Vielen Dank für diese Ausführungen.