„Menschen brauchen Geschichten”

Die kleinste Bühne der Welt zu Gast in Kronstadt

Sowohl privat, als auch auf der Bühne seit über 30 Jahren zusammen: Jörg Baesecke und Hedwig Rost Foto: Younes Soulimani Ryser

Seit 1983 treten die Münchner Hedwig Rost und Jörg Baesecke in Theatern, Klassenzimmern, Kulturzentren und Privathäusern aus ganz Deutschland und halb Europa mit ihrem kleinen Koffertheater auf, der „kleinsten Bühne der Welt“. Auf ihrer nur 24x36 cm Bühne spielen sie kurze Stücke für Kinder und Erwachsene, in denen sie geschickt Sprache mit Musik verbinden und auf ganz unerwartete Weise Objekte zur Geltung bringen. Rost und Baesecke sind sowohl auf der Bühne als auch privat ein Paar und bezeichnen sich selbst nicht als Schauspieler, sondern als Erzähler. Auf Einladung des Deutschen Kulturzentrums kamen die zwei Künstler und ihre Kofferbühne am 11. März  ins Kronstädter Arlechino-Theater und zeigten gleich zwei Vorstellungen für Kinder. Über  einen Sommer-nachtstraum mit Gurken, einen Affen aus München und darüber,  wie wichtig das Erzählen von Geschichten ist, sprachen Hedwig Rost und Jörg Baesecke mit der KR-Redakteurin Elise Wilk.


Herr Baesecke, Sie haben nach Ihrem Studium die Möglichkeit einer juristischen Karriere aufgegeben, um Künstler zu werden. Wie entstand die „kleinste Bühne der Welt“ und woher stammt ihr Name?

Jörg Baesecke: Wir haben uns in Hamburg kennengelernt. Ich studierte Jura, meine Frau Geige am Münchner Konservatorium. Gegen Ende unseres Studiums ließen wir uns für Straßentheater begeistern. Wir traten erst mit  kleinen Stücken gegen die Atomkraftsbewegung auf, dann folgten kurze Geschichten, die wir auf der Straße spielten. Entdeckt wurden wir bei einem internationalen Kinder-und Jugendtheaterfestival. Die Leute vom Theater „Schauburg“ in München, mit denen wir heute noch zusammenarbeiten, sind zu uns gekommen und haben gesagt: „Ihr gehört auf eine richtige Bühne!“.

Das ist wahr, denn auf der Straße erwartet man keine Kunst.  Unsere Stücke waren damals kurz - auf der Straße hat man es sehr eilig - und sind auch heute kurz geblieben. Ich musste mich dann entscheiden, welchen Weg ich gehen will. Und entschied mich fürs Theater. Der Name „Kleinste Bühne der Welt“ stammt auch von unseren Anfängen auf der Straße. Man musste ja die Leute durch etwas aufmerksam machen. Und alle wollen ja sehen, wie die kleinste Bühne der Welt aussieht.

Die Geschichten, die Sie in Kronstadt erzählt haben, wurden auf ganz verschiedene Weise illustriert, keine glich in ihrer Darstellungsform der anderen. Sehr interessant ist auch, dass ganz alltägliche Gebrauchsgegenstände auf originelle Weise zum Einsatz kommen - ein Zollstock wird zum Baum, zum Hähnchen oder zum Fluss, aus Taschentüchern werden Mäuse. Was gibt es noch alles bei Ihnen zu sehen?

J.B.: Wir haben zum Beispiel die Geschichte von Pyramus und Thisbe aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ mit Gurken gespielt.

Haben Sie die Gurken bemalt?

Hedwig Rost: Nein. Wir benutzen die Gegenstände immer, so wie sie sind. In unserem Stück ist der Mond die Scheibe einer Gurke. Der Löwe ist ein Gurkenschäler. Und der König eine Gabel.

Jede Geschichte, die Sie auf der Bühne erzählen, hat ihre eigene Geschichte. Mit Sicherheit auch diejenigen, die Sie in Kronstadt gezeigt haben. 

J.B: Ja, jedes unserer Stückchen hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Die Münchner Stadtsage „Der Affe auf dem Dach“, die wir  anhand von Bildertheater erzählen und die auch in Kronstadt zu sehen war, spielt  im Jahr 1283 und handelt von der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Kaiser Ludwig von Bayern und einem Affen. Als München im Jahr 1996 eine Städte-Partnerschaft mit Harare aus Zimbabwe begründete, wollte unser  Ober-Bürgermeister unbedingt eine deutsche Theateraufführung in der afrikanischen Stadt zeigen. Da das kleinste Theater der Welt sehr gut ins Fluggepäck passt, wurde ich gebeten, die Delegation der Stadt zu begleiten. Bei der Suche nach einer Geschichte, in der sich München und Afrika begegnen, stieß ich auf die Sage vom Affen im alten Hof. Ich habe sie in 32 teilweise beweglichen Scherenschnittbildern dargestellt. Die Geschichte wurde also zum ersten Mal auf Englisch erzählt, 8000 km von zu Hause entfernt.

Wie haben die Afrikaner darauf reagiert?

J.B.: Sie reagieren anderes als wir. Das konnten wir auch später  in Johannesburg oder Kairo bemerken. Das Publikum dort reagiert mehr auf die Akustik als auf den Inhalt. Wenn ich mit tiefer Stimme gesprochen habe, haben alle gelacht.

Wieviele Stücke umfasst Ihr Repertoire?

J.B: Es sind mehr als 100 kleine Inszenierungen, zwischen 2 und 20 Minuten lang. Daraus stellen wir verschiedene Programme zusammen, die passend zu einem Thema oder Anlass sind.

H.R: In 30 Jahren hat sich schon manches angesammelt.

Woher nehmen Sie den Stoff für Ihre Stücke her? Gibt es auch Geschichten, die Sie selbst erfunden haben?

J.B: Es sind alles Stoffe aus der mündlichen Überlieferung: Sagen, Märchen, Geschichten. Manchmal ist es auch geschichtlicher Stoff - wir haben zum Beispiel ein Stück über die Entdeckung Amerikas gemacht, oder eins über den Roten Oktober, das wir mit Streichhölzern gespielt haben. Lenin war ein großes Kaminstreichholz!

H.R: Wir erfinden selbst keine Geschichten, weil es die besten Geschichten in den Märchen gibt. Shakespeare hat sich auch ganz stark an Märchen gehalten. In allen seinen Stücken bemerkt man, dass Märchen eingeflossen sind. Meiner Meinung nach sind die ganz großen Schriftsteller so gut, weil sie die traditionellen Geschichten gut kennen. In den Märchen ist alles versteckt.

In Kronstadt haben Sie für Kinder gespielt. Man weiß, dass die Kinder von heute von Technologie umgeben sind, wobei die Eltern immer weniger Zeit haben. Wie reagieren die Kinder auf Märchen? Wird ihnen überhaupt zu Hause noch vorgelesen?

J. B: Das Erzählen ist eine schöne Art, sich den Kindern zuzuwenden. Sie brauchen Geschichten. Eben weil sie von Technologie umgeben sind. Heutzutage gibt es ja den billigsten Babysitter, das ist das Tablet PC. Kinder bekommen das Tablet in die Hand und sind für einige Stunden still.

H.R: In den gebildeten Familien wird den Kindern schon vorgelesen. Aber leider läuft in den meisten Familien nur der Fernseher. Die Kinder brauchen Zuwendung. Aus den Märchen können sie lernen. Zum Beispiel lernen sie aus der Geschichte mit den drei kleinen Schweinchen, dass sie das Böse erkennen und sich mit der Gefahr auseinandersetzen müssen.

Kommt es vor, dass Sie nach Ihren Aufführungen Ideen oder Anregungen von den Zuschauern bekommen, die Sie dann in Ihren Stücken verwenden?

J.B.: Nicht sehr oft. Aber zum Beispiel waren wir 2012 in Hermannstadt zu Gast in „Casa Calfelor“, der Herberge der Wandergesellen. Dort haben wir das Märchen „Ein Baum wächst in den Himmel“ mit den Meterstäben gezeigt. Am Ende haben uns die Handwerker beigebracht, wie man einen Meterstab mit einem  Schlag zu einem siebenzackigen Stern verformt. Den Trick haben wir dann  angewendet. Und auch in Kronstadt auf der Bühne gezeigt.

Anscheinend sind nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, von Märchen fasziniert.

HR: Menschen brauchen Geschichten. Das wird sich nie ändern.

Herr Baesecke, Frau Rost, wir danken Ihnen für das Interview!