Mit der Kamera auf den Spuren der Stadtschreiberin

Junge Filmemacher erkunden Kronstadt

Dr. Ingeborg Szöllösi, Maximilian Bosch, Nils Wiedau und Thomas Bühring in Kronstadt (v.l.n.r.)

Die jungen Filmemacher drehen in der Nähe des Weißen Turmes
Foto: privat

„Vielleicht ist diese Stadt eine Zeitung. Verloren von den größten der sagenhaften Hünen, fallen gelassen im Karpatenknie zwischen Burzen-Ebene, Bergrückengrün und Felsenkronen. Eine Zeitung, gelesen, ja, doch ausgelesen nicht. Auf der Frontseite dieser Zeitung steht, verblichen, in eleganten, alten Lettern: Kronstadt. Daneben, schlank wie ein ungarisches Messer:Brassó. Und oben, flächig, frisch gedruckt: BRASOV“
Mit diesen Sätzen beginnt Paula Schneiders Blogeintrag vom 31. Juli. Seit Anfang Mai hält die Schriftstellerin aus Deutschland ein Online-Tagebuch, in dem sie ihre Eindrücke von der Stadt unter der Zinne festhält. Viele Fotos schmücken ihre Berichte – oft entdeckt sie während ihrer Spaziergänge Details, die Stadtbewohner gar nicht registrieren. Bis Oktober ist Schneider Stadtschreiberin von Kronstadt. Eine vom Deutschen Kulturforum östliches Europa berufene Jury entschied sich für die bereits mehrfach ausgezeichnete Autorin.

Auch eine filmische Reportage über ihren Aufenthalt in der Stadt unter der Zinne wurde Ende Juli gedreht. Dafür waren zwischen dem 21. und dem 26. Juli die Schüler Nils Wiedau und Maximilian Bosch vom Babelsberger Filmgymnasium in Begleitung von Thomas Bühring (bfg filmproductions) und Dr. Ingeborg Szöllösi (Südosteuropa-Referentin des Deutschen Kulturforums östliches Europa) zu Gast in Kronstadt. Für Nils und Maximilian war es das erste Mal in Rumänien. Obwohl andere Schüler ihre Ferien genießen, machten sich die beiden mit viel Enthusiasmus und Freude an die Arbeit. Nach fünf Tagen Dreharbeiten in Kronstadt kehrten sie nach Berlin zurück und begannen mit dem Schneiden und Bearbeiten des Filmmaterials. Im Oktober, wenn Paula Scheiders Aufenthalt in Kronstadt endet, wird auch ihr Werk fertig sein.

Eine Privatschule für Filmbegeisterte

Dass man Film an der Hochschule studieren kann, weiss jeder. Aber dass es auch Filmgymnasien gibt, ist vielen unbekannt. Seit  2006 gibt es den Schwerpunkt Film am Babelsberger Filmgymnasium. Heute beherbergt die Schule fast 500 Schüler und rund 60 Lehrer.  Schüler können am Filmgymnasium einen von drei Schwerpunkten wählen. Zu Beginn der siebten Klasse entscheiden sie sich entweder für den Bereich Tanz, bilingualer Unterricht mit Zielfremdsprache Englisch oder eben den namensgebenden Filmschwerpunkt.
„Es ist eine besondere Schule, die seit wenigen Jahren exisitert. Uns wird ein breites Fundament von filmischem Wissen vermittelt, aber das bedeutet nicht, dass anderer Unterricht ausfällt. Der Filmunterricht findet zusätzlich statt“, erklärt Maximilian. Dabei werden die Schüler und Schülerinnen mit allen Sparten des Films vertraut gemacht:  Schauspiel, Drehbuch, Kameratechnik, Kamerahandhabung, Licht, Schnitt, Ton und Produktion. Nicht alle Absolventen wählen anschließend ein Filmstudium.  Auch Nils nicht. Obwohl ihn der Film schon seit der Grundschule fasziniert hat. Als Kind hatte er sich auf den DVDs immer das „Making of“ angeschaut. Später will er aber Betriebswirtschaftslehre studieren. Sein KollegeMaximilian hat sich für einen Beruf in der Filmbranche entschieden. „Film hat mich schon immer interessiert, und zwar die technische Seite. Mein Berufswunsch ist Mediengestalter für Bild und Ton“. Bis dahin arbeitet er wie ein richtiger Profi. „Unsere Schülerfirma, bvg Film Productions, geleitet von Uwe Fleischer, bekommt verschiedene Aufträge. Viele davon von der ICESTORM Entertainment GmbH. Zum Beispiel haben wir ältere Filme für neue Geräte angepasst und sogar Making Of- Videos geschaffen. Und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum drehen Schüler unseres Gymnasiums jedes Jahr einen dreißigminütigen Film über die Stadtschreiber“, sagt Maximilian.

Eine einmalige Gelegenheit für Kronstadt

Das Stadtschreiber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa, das im Jahr 2017 zum neunten Mal vergeben wird, soll das gemeinsame kulturelle Erbe der Deutschen und ihrer Nachbarn in jenen Regionen Mittel- und Osteuropas, in denen Deutsche gelebt haben und heute noch leben, der breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Außerdem soll es außergewöhnliches Engagement für gegenseitiges Verständnis und interkulturellen Dialog fördern. Es ist als Wanderstipendium konzipiert und findet jedes Jahr in einer anderen Ortschaft statt. „Eigentlich findet das Projekt nur in europäischen Kulturhauptstädten aus Osteuropa statt. 2017 ist jedoch ein besonderes Jahr- wir feiern 500 Jahre seit Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug. Von Kronstadt aus hat sich die Reformation im südosteuropäischen Raum verbreitet. Deshalb haben wir uns in diesem Jahr für die Stadt unter der Zinne entschieden. Es ist also eine einmalige Gelegenheit für Kronstadt“, sagt Dr. Ingeborg Szöllösi. Die Aufgabe von Paula Schneider ist es, sich in ihrem Internettagebuch mit dem historischen Kulturerbe Kronstadts und ihrer Region literarisch auseinanderzusetzen, über spannende Begegnungen und Erlebnisse zu berichten, Sehenswertes zu zeigen und Kontakte zu knüpfen.

Fasziniert vom Kontrast zwischen Alt und Neu

Während ihres fünftägigen Aufenthalts hatten die Filmschüler leider keine Gelegenheit, die Umgebung von Kronstadt zu erkunden. Sie haben von morgens bis abends in Kronstadt gefilmt. Dabei haben sie einen ersten Eindruck von der Stadt erhalten. „Ich reise viel mit meiner Familie. Ich bin besonders an der Geschichte und Kultur anderer Länder interessiert. Alte Gebäude, so wie in Kronstadt faszinieren mich“, meint Nils. Auch sein Kollege findet die Stadt unter der Zinne sehr spannend. „Man hört ja dauernd Klischees und Vorurteile über Osteuropa. Ich habe jedoch vor, sie abzubauen. Hier ist es sehr schön und es herrscht eine tolle Atmosphäre. Es war ein bisschen schwierig, uns an das rumänische Geld zu gewöhnen. Es sieht so ähnlich aus wie Spielzeug-Geld, wie Monopoly-Scheine“, sagt Maximilian.
In den fünf Tagen haben die beiden Paula Schneider an ihren Lieblingsorten gefilmt. „Einen Tag haben wir in der Stadt ohne sie gedreht. An den anderen Tagen hat sie die Drehorte bestimmt. Ihr gefällt es an der Zitadelle am Schlossberg und  am Weißen Turm. Am Stadion neben der Weberbastei fasziniert sie, wie Alt und Neu sich miteinander verbinden“,  meint Ingeborg Szöllösi.

Die Stadtschreiberin findet die Hollywood-ähnliche Inschrift „BRASOV“ auf der Zinne interessant, die hat das Filmteam durch das Schnurgässchen auf die Neugasse geführt, wo sich eines der ältesten Häuser Kronstadts befindet, ihnen die Einschusslöcher von der Revolution 1989 im Hotel „Corona“ auf der Purzengasse gezeigt. „In unserer Dokumentation haben wir uns viel an ihrem Blog orientiert. Sie dokumentiert alles sehr fotografisch, sie liest die Botschaften an den Hauswänden, wo alte Wappen neben frechen Graffittis stehen. Sie hat ein Postkästschen gefunden, auf dem der Name Godot steht, eine Anspielung auf Becketts <Warten auf Godot>. Auf den Wänden findet sie Slogans und Sprüche auf Deutsch und Englisch, es ist der Kontrast zwischen Neu und Alt, der sie fasziniert, und das wollen wir auch im Film festhalten“, sagt  Szöllösi. Im Film sprechen außer Paula Schneider auch der Historiker Thomas [indilariu und Petra Antonia Binder, die die Blogeinträge der Schriftstellerin ins Rumänische übersetzt.
Am Ende der fünf Drehtage gibt es 5 Stunden Filmmaterial. Daraus sollen Nils und Maximilian, unterstützt von anderen Kollegen, in diesem Sommer eine dreißigminütige Filmreportage machen. Im Oktober wird ihr Film im Kinosaal des Filmgymnasiums Babelsberg zum ersten Mal gezeigt. Danach wird der Film auch auf Youtube geladen.



Auf dem Youtube-Kanal der Schule findet man fiktionale Filme und Dokumentarfilme von Schülern des Filmgymnasiums, sowie kurze Filmclips aus dem Schulleben. Hier der Link dazu: https://www.youtube.com/channel
Der Blog von Paula Schneider ist unter folgender Adresse abrufbar: http://stadtschreiberin-kronstadt.blogspot.ro/