Mit wissenschaftlichem Blick zwischen den Zeilen gelesen

Neue Doktorarbeit über die ADZ verrät interessante Aspekte

Zwei Diagramme aus der Dissertation von Ioana Cusin zeigen die statistische Häufigkeit der Berufe der Interviewpartner sowie eine Gliederung nach deren sprachlicher Herkunft für das Jahr 2018.

Eigentlich dürfen wir ein bisschen stolz sein: Es gibt eine neue Doktorarbeit über die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ (ADZ). Was ist so besonders an dem kleinen Nischenblatt der deutschen Minderheit in Rumänien, dass sich Sprachwissenschaftler dafür interessieren? Die ADZ ist die einzige deutschsprachige Tageszeitung in Südosteuropa. Sie besteht – wenn auch früher unter dem Namen „Neuer Weg“ und als Propagandamittel der Kommunisten gegründet – seit nunmehr 70 Jahren. Damit dokumentiert sie die Veränderungen der rumäniendeutschen Sprache wie kaum ein anderes Medium. Inzwischen vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) herausgegeben, ist sie zudem von den Trends der Mainstream-Presse abgekoppelt. Politischen Druck, mit dem sich andere Medien hierzulande konfrontieren, kennen die ADZ-Redakteure nicht. Dies wirkt sich auch auf die Themenwahl aus: Es gibt einen Schwerpunkt, der die ADZ von herkömmlichen Tageszeitungen deutlich unterscheidet, überrascht die Verfasserin der Doktorarbeit.

Ioana Cusin, selbst ehemalige ADZ-Mitarbeiterin, hat sich im Rahmen ihrer Dissertation zum Thema „Das Interview in der deutschsprachigen Tageszeitung ‚Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ)‘“, betreut von Prof. Dr. Ioan Lăzărescu an der Bukarester Fakultät für Fremdsprachen, Lehrstuhl für Germanistik, auf knapp 300 Seiten mit den obengenannten und weiteren Aspekten wissenschaftlich befasst. Am 27. Dezember letzten Jahres verteidigte sie ihre Arbeit vor einer Prüfungskommission, der unter anderem Prof. Dr. Hermann Scheuringer vom Forschungszentrum Deutsch in Mittel-, Ost und Südosteuropa (FZ DMOS) an der Universität Regensburg angehörte. Cusins Arbeit wurde mit „sehr gut“ bewertet. Ihr Doktorvater Lăzărescu schlägt eine Publikation vor, um sie auch Linguisten, Journalisten, Kulturvertretern und Deutschlehrern zugänglich zu machen. Besonderes Augenmerk wurde unter anderem auf die Untersuchung von Komponenten der Mündlichkeit im geschriebenen Text gelegt – dazu gehört auch die dialektgefärbte Umgangssprache mit rumäniendeutschen, deutschen, österreichischen und schweizerischen Einflüssen. Dies, argumentiert Lăzărescu, verleiht der Arbeit Wert und Anwendbarkeit auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen: Linguistik, Journalismus, Didaktik, Kulturtheorie.

Was geben Interviews zwischen den Zeilen preis?

„Das Thema Interview habe ich gewählt, weil ich mich für Menschen und Kommunikation interessiere“, motiviert Ioana Cusin. So schließt sie etwa aus der gelegentlich vorkommenden Du-Anrede auf Nähe zwischen Interviewer und Befragtem oder erkennt an der Verschiedenheit der Texte, dass es für die Redakteure der ADZ keine Stilvorgaben gibt, was bedeutet, dass die von der Herkunft der Verfasser geprägten Ausdrucksweisen erhalten bleiben. Als Minderheitenzeitung nimmt sie zudem mehr als andere deutschsprachige Medien eine allgemein sprachbewahrende Rolle ein. Dies äußert sich in der Bevorzugung deutscher Begriffe vor Anglizismen – wiederholt wird z. B. der Begriff „Gespräch“ statt „Interview“ verwendet.

Scheuringer schreibt in seinem Gutachten: „Auch und wohl besonders über das Mittel des – bisweilen auch nur fiktiven oder virtuellen – Gesprächs“ (damit meint er E-Mail Interviews, die aus Zeitmangel oder wegen fehlenden Reisemitteln gelegentlich vorkommen) „vermag die ADZ in ganz besonderer Charakeristik sowohl kulturraumverbindend zu wirken als auch ganz regional, manchmal durchaus konservativ-bewahrend.“ Hinter den von Cusin speziell untersuchten „Künstlerinterviews“ zeige sich eine „ganz besondere Kulturraumspezifik“, so der Sprachforscher.

Identitätsstiftend, spracherhaltend – doch Raum für neue Impulse

Die von der Autorin analysierten Interviews stammen aus drei Etappen innerhalb der letzten 25 Jahre. Sie schließen auch die regionalen Wochenbeilagen der ADZ – die „Banater Zeitung“ und die „Karpatenrundschau“ – ein. Die erste Etappe, 1993-1994, reflektiert die Emanzipation der Zeitung nach der Wende, weg vom Propagandamittel der kommunistischen Diktatur. In der zweiten Phase, 2010-2015, fanden wichtige strukturelle Veränderungen statt. Die dritte Etappe, 2017-2018, zeigt den Status Quo der Gegenwart: die „Etablierung als wichtige Tageszeitung in der publizistischen und journalistischen Landschaft Rumäniens“, wie Lăzărescu in seiner Begründung zur Annahme der Doktorarbeit feststellt.

Beleuchtet werden darin Fragen wie: Entfernt sich die ADZ von ihrem Spezifikum als Minderheitenzeitung? Verfolgt sie sprachlich und kulturell eine globalisierende Tendenz? Welchen Einfluss haben deutsche Medien auf die ADZ? Inwiefern vermittelt die in den Interviews verwendete Sprache Nähe und Distanz zwischen Befrager und Befragtem, zwischen Zeitungsmacher und Leser? Untersucht wurden hierfür sprachliche Merkmale, die als Indikatoren für soziale Nähe und Gruppenzugehörigkeit fungieren.

Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass die ADZ keine typische Tageszeitung ist, deren Berichterstattung die klassischen Themenbereiche deckt, sondern sich durch ein besonderes Engagement auszeichnet: Kulturthemen bilden einen zentralen Punkt in der gesamten Berichterstattung – die ADZ ist eigentlich eine „Kultur-Tageszeitung“. Neben einer generell spracherhaltenden Tendenz sei das Rumäniendeutsche als identitätsstiftender Faktor zu erkennen, der jedoch einem ständigen Wandel unterliegt. Die Vielfalt der Themen und Ansprechpartner liefern darüber hinaus auch neue Impulse zum Ausbau des interkulturellen Dialogs.