„Nach so vielen Schrecknissen mussten es zwei Kinderbücher sein“

Gespräch mit der Schriftstellerin Herma Kennel

Die aus Pirmasens gebürtige Schriftstellerin Herma Kennel studierte Kunst und politische Wissenschaften.
Foto: Zoltán Pàzmány

Es gibt Dinge, die man einfach tun muss, egal, wie gefährlich sie sind. Darüber erzählt der Roman der deutschen Schriftstellerin Herma Kennel, in dessen Mittelpunkt der 27-jährige Diplom-Ingenieur aus Bukarest Radu Filipescu steht. Wie die Geschwister Scholl im Nazi-Deutschland verteilt der junge Mann im kommunistischen Rumänien Ceauşescus Flugblätter, die zum Widerstand gegen das Regime aufrufen. Der 1995 erschienene Roman von Herma Kennel „Es gibt Dinge, die muss man einfach tun“ schildert die wahre Geschichte des Dissidenten, der von der Securitate gefangen genommen und zu zehn Jahren Haft verurteilt wird. Herma Kennel war vor Kurzem in Temeswar/Timişoara zu Gast, wo sie auf Einladung der Deutsch-Rumänischen Kulturgesellschaft eine Lesung in der Gedenkstätte der Revolution hielt. ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu traf die Schriftstellerin und führte mit ihr folgendes Gespräch.

Frau Kennel, Ihr Roman „Es gibt Dinge, die muss man einfach tun“ erzählt über das Schicksal des jungen Dissidenten Radu Filipescu während des Kommunismus in Rumänien. Wann und wie wurden Sie auf diese Geschichte aufmerksam?

Wir haben von 1979 bis 1983 in Bukarest gelebt, weil mein Mann an der bundesdeutschen Botschaft Leiter der Handelsförderungsstelle war. Unsere Haushälterin wohnte im selben Haus wie Familie Filipescu und erzählte mir oft von dem jungen Radu Filipescu. Im Mai 1983 berichtete sie, dass er Manifeste gegen Ceauşescu verteilt hatte und verhaftet worden war. So habe ich von ihm erfahren, aber ihn nicht kennengelernt.

Sie trafen Radu Filipescu erst ein paar Jahre später. Wie war denn die erste Begegnung mit ihm?

Ich war sehr gespannt, wie die Begegnung sein wird, und zwar im August 1990 bin ich mit einem Dolmetscher nach Bukarest gereist und da haben wir uns kennengelernt. Ich hatte gehofft, dass er sympathisch ist, dass es einfach ist, mit ihm zusammenzuarbeiten, dass er nicht arrogant ist, und das war er überhaupt nicht. Er war sehr natürlich, sehr entspannt, fröhlich, er war ein angenehmer Partner für Interviews.

Was sagte Radu Filipescu, die Hauptgestalt des Romans, nachdem er Ihr Buch gelesen hatte?

Ich habe ihm immer die Seiten geschickt, die ich geschrieben hatte, nachdem sie von einer Übersetzerin übersetzt wurden. Ich habe ihm auch vorher geschrieben, er soll bitte gucken, ob Fehler drin sind, was korrigiert werden muss, denn es musste ja alles richtig geschrieben werden. Es waren wenige Dinge, die geändert werden mussten. Meistens war er mit dem, was ich geschrieben hatte, einverstanden.

Wie kam Ihr Roman in Deutschland bzw. in Rumänien an?

In Deutschland kam er eigentlich sehr gut an. Die Leute sagten, jetzt erfährt man, wie das in Rumänien unter Ceauşescu gewesen war, was ein junger Mensch da durchleben musste. Wir hatten eine Lesereise über die Konrad-Adenauer-Stiftung gehabt, lasen an Schulen und die Schüler waren sehr, sehr ergriffen von Radu Filipescus Geschichte. Er war ja bei den Lesungen dabei, wir sind zusammen gereist. Ich habe eine kurze Passage gelesen aus meinem Buch und dann stand eben Radu Filipescu im Mittelpunkt. Die Schüler konnten Fragen stellen und waren doch sehr betroffen, was ein einzelner Mensch, ein junger Mann, unternehmen konnte und welchen Mut er hatte. Es war ja eigentlich ein lebensgefährliches Unterfangen gewesen. Viele sind dabei auch verhaftet worden und man hat sie nie wiedergesehen.

Auch in Rumänien kam das Buch sehr gut an. Es erschien 2009 in rumänischer Fassung im Polirom-Verlag. (Anm. d. Red.: Das Buch trägt den Titel „Radu Filipescu. Jogging cu Securitatea“ und wurde von Nora Iuga ins Rumänische übersetzt)

In Ihren Romanen setzen Sie sich meist mit Zeitgeschichte auseinander. Von wo kommt denn dieses Interesse für Zeitgeschichte?

Als wir 1979 nach Rumänien kamen, was es einfach die Liebe zu dem Land, zur Landschaft, zu den Menschen, die mein Interesse weckte – das hatte nichts mit der Politik zu tun, denn das steht auf einem anderen Blatt. Mich hat die Politik, die hier betrieben wurde, die Diktatur, sehr betroffen gemacht. Ich fragte mich immer, wie können die Menschen da leben, wie kann man da durchkommen. Die Liebe zu Rumänien hat mich eigentlich bis heute begleitet. Wir haben uns dann mit der Geschichte des Landes beschäftigt, und bis zum heutigen Tag ist das Interesse dafür erhalten geblieben.

Sie lebten vor der Wende einige Jahre in Rumänien. Hatten auch Sie Probleme mit der Securitate?

Ich hatte keine Probleme mit der Securitate, aber ich habe sie immer im Stillen gefürchtet. Es gab viele Gerüchte diesbezüglich, ob sie nun stimmten oder nicht, das kann ich nicht sagen. Wir waren durch den Diplomatenstatus sozusagen geschützt. Ich wusste, dass unsere Wohnung während unserer Abwesenheit betreten wird. Wir hatte einmal auch den Beweis, denn es fehlten zwei Whisky-Flaschen. Das ist keine Tragödie, aber es hat mich immer unbehaglich gestimmt, weil ich wusste, da sind fremde Männer in unserer Wohnung und wer weiß, wo die sich überall kundig machen wollen. Ich musste ständig daran denken, wie es denn einem rumänischen Staatsbürger ergehen würde, der dem noch viel mehr ausgesetzt ist als wir es sind...

Und obwohl es schwierige Zeiten gab damals, kehrten Sie später immer wieder nach Rumänien zurück. Was lockte Sie denn hierher?

Diese Ursprünglichkeit in der Natur, auch die Menschen, die Natürlichkeit. Diese Natürlichkeit ist in den Großstädten etwas verloren gegangen. Wir haben dann noch anderthalb Jahre in Bukarest gelebt, 2008-2009, und es hat sich schon sehr geändert, es war alles hektischer, hastiger, man hatte weniger Zeit füreinander, den Verkehr empfand ich als sehr störend, aber ich konnte mir trotzdem vorstellen, in Bukarest zu leben. Es war einfach die Liebe zum Land, die hatte uns gepackt. Wie in jedem Land gab es auch in Rumänien negative Dinge, aber das Positive überwog.

Sie haben als Schriftstellerin mit Kinderbüchern begonnen und heute schreiben Sie mal ein Kinderbuch, mal ein Buch für Erwachsene. Wie schaffen Sie diesen Übergang von dem einen zum anderen?

Ein halbes Jahr, nachdem ich das Buch über Radu Filipescu geschrieben hatte, hatte ich die Freude, ein heiteres Kinderbuch zu schreiben. Nachdem ich solch schreckliche Dinge geschildert hatte, musste es etwas Heiteres, etwas Unkompliziertes sein, etwas für Kinder. Das allerletzte Buch für Erwachsene, das ich geschrieben hatte, war die Geschichte einer tschechischen Widerstandsgruppe 1944 -1945, die von der Gestapo verfolgt und vernichtet wird. Das war das Schlimmste, worüber ich je geschrieben hatte, und danach schrieb ich gleich zwei humorvolle Kinderbücher. Eines dieser Kinderbücher war „Der verschwundene Löwe von Prag“ und als wir in Bukarest wohnten, da hatte ich die Idee, ich könnte ein Kinderbuch mit dem Titel „Der Hund von Bukarest“ schreiben. Ich hatte einen Straßenhund kennengelernt und den auch gefüttert und medizinisch behandeln lassen und da habe ich eben diese Geschichte geschrieben, eine ganz tolle Geschichte, wofür ich derzeit einen Verlag suche. Nach so vielen Schrecknissen mussten es zwei Kinderbücher sein.

Sie sind nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Malerin. Wodurch können Sie besser Ihre Gefühle ausdrücken, durch Literatur oder durch Malerei?

Lieber durch die Literatur. Ich male sehr langsam.

Wie erleben Sie Rumänien heute, mehr als 20 Jahre nach dem Sturz des Kommunismus?

Es ist ein völlig verändertes Land. Die Menschen haben sich geändert, zum Positiven, aber auch zum Negativen. Zum Beispiel in Bukarest oder in der Großstadt ist alles hektischer geworden. Geblieben ist bei mir aber die Liebe zum Land. Im ländlichen Raum findet man noch das alte Rumänien, wenn auch nicht mehr hundertprozentig, aber doch die alte Architektur, die hoffentlich auch erhalten bleibt. Ich hoffe, dass das, was der Abreißwut Ceauşescus entgangen ist, nicht dem Bauboom der neuen Zeit zum Opfer fällt, und die alten, schönen Gebäude und Denkmäler restauriert werden.