Nachwuchssicherung in Rumänien

ADZ-Interview mit Marcel Wüst, Leiter des Betriebs für Filtergewebe in Schäßburg

Der Schweizer Marcel Wüst, der Betriebsleiter von „Sefar SRL“ in Schäßburg.
Foto : Hannelore Baier

Marcel Wüst möchte nicht am Schreibtisch fotografiert werden. Er sei kein Manager, der vom Chefsessel aus Befehle erteilt, womöglich telefonisch, sagt er. Davon kann der Besucher sich bald selbst überzeugen. Es sind nun vier Jahre, seit der 32-jährige Schweizer die „Sefar SRL“ in der Tulpenstraße/Str. Lalelelor leitet. Das Unternehmen befindet sich in einem Neubau weit draußen in dem von den Schäßburgern gemeinhin als „Bărăgan“ bezeichneten Stadtteil, vom Mühlenham/Cătunul Viilor nur durch die Große Kokel/Târnava Mare getrennt. Mit Ingenieur Marcel Wüst sprach ADZ-Redakteurin Hannelore Baier.


Was ist die „Sefar SRL“?

Die „Sefar SRL“ ist eine Tochtergesellschaft der „Sefar AG“ in der Schweiz. Dort besitzt die AG auch heute noch den größten Standort und die größte Produktion, doch hat sie mittlerweile weltweit auch in über 25 Ländern Betriebe. Die Firma Sefar produziert Filter und bietet den Kunden mit ihrer jahrelangen Erfahrung kompetente Filtrationslösungen an. Die Fertigprodukte sind jegliche Art Filter und die reichen von Filtern für die Lebensmittelindustrie oder den Kohlenbau über Wasser-, Öl- und Benzinfilter bis hin zu Blutfiltern für die medizinische und die Pharmaindustrie. In den zu der AG gehörenden Betrieben werden sowohl die Filtergewebe erstellt als auch die mannigfaltigen Fertigprodukte für die verschiedenartigsten Kunden.

Was umfasst die Produktionspalette des Unternehmens in Schäßburg/Sighişoara?

In der Produktionshalle in Schäßburg wird Filtergewebe gewebt. Wir kaufen synthetische Garne bei der Firma am Nachbargelände ein, produzieren Gewebe, veredeln diese und senden die Geweberollen an unsere Konfektionsbetriebe weltweit. Zurzeit sind damit 140 Mitarbeiter beschäftigt. Die Produktionsstätte ist bereits sehr eng, weshalb an einen Ausbau gedacht wird.

Seit wann ist Sefar in Rumänien und warum wurde Schäßburg als Standort ausgewählt?

Die Firma Sefar hat in Rumänien 2006 mit einer Pilotphase begonnen, wofür man sich bei einer anderen Firma eingemietet hatte. Parallel dazu wurde der eigene Produktionsstandort gebaut, der 2007 fertig war und im Mai jenen Jahres in Betrieb ging. Die Entscheidung, nach Schäßburg zu kommen fiel, bevor ich im Unternehmen war. Wie ich erfahren habe, standen als mögliche Staaten zum Einrichten einer Weberei Bulgarien, die Ukraine und Rumänien zur Auswahl. Man hat sich für Rumänien entschieden.

Danach war für das Unternehmen klar, dass es nach Siebenbürgen gehen wird, allein schon wegen der hier anzutreffenden deutschen Sprache und der Mentalität. Diese ist in Siebenbürgen näher an jener des Schweizer Unternehmens als man sie im Süden oder Osten des Landes antrifft. In Siebenbürgen standen dann Hermannstadt/Sibiu, Kronstadt/Braşov und Schäßburg zur Auswahl. Die Entscheidung fiel auf Schäßburg, selbst wenn es ein wenig auf dem Lande liegt, weil die Textilindustrie hier Tradition besitzt, es in der Stadt bekannte Webereien gegeben hat, und man sich dachte, dass die benötigten Fachkräfte leichter gefunden werden.

Wurden die Spezialisten gefunden?

Ja, wir haben sie gefunden. Dadurch aber, dass wir eine gewisse Größe erreicht haben, wird es nun immer schwieriger, weitere Fachkräfte zu finden, und daher sind wir bemüht, unsere jungen Mitarbeiter selbst auszubilden und aufzubauen.

Seit wann sind Sie in Schäßburg?

Ich bin 2007 als Textil- und Wirtschaftsingenieur in das Unternehmen in der Schweiz eingetreten. Nach neun Monaten wurde mir die Möglichkeit angeboten, nach Rumänien zu kommen und dieses Produktionswerk zu leiten. Diese Chance habe ich sofort wahrgenommen und nun sind es vier Jahr, seit ich in Rumänien bin. Zwischen-zeitlich habe ich auch ein weiteres Wirtschaftsstudium absolviert und dem-nächst auch den Master of Business Administration (MBA) für General Management in der Tasche.

Ist es nicht langweilig in der Kleinstadt?

Nein, es wird einem nicht langweilig in Schäßburg. Ich finde die Leute sehr offen und nett. Verglichen mit der Schweiz oder Deutschland sind die Freizeitmöglichkeiten hier zwar begrenzt, man hat nicht unbedingt ein Hallenbad oder eine Tennishalle vor der Haustüre, aber wenn man die Freizeit gern draußen, im Freien verbringt, Joggen geht oder Fahrrad fährt, kann man das auch in Schäßburg sehr gut tun. Es wird einem nicht langweilig wenn man offen ist und nicht stur sagt, ich brauche jetzt eine Tennishalle, um meine Freizeit zu vertreiben.

Welche Erfahrung haben Sie mit den rumänischen Behörden gemacht?

Mit den Behörden der Stadt habe ich bis jetzt positive Erfahrung gemacht. Als westlichem Unternehmen wird uns jedoch von den Mehrwertsteuer- und Finanzkontrolleuren sehr stark auf den Zahn gefühlt – und das sind nicht immer erfreuliche Erfahrungen. Den anderen Schweizer Unternehmern hier geht es jedoch genauso. Ich treffe deren Repräsentanten bei den regelmäßigen Austauschveranstaltungen der Schweizerisch-rumänischen Wirtschaftskammer, wo wir Mitglied sind.

Sie erwähnten vorhin Ausbaupläne. Wie weit sind sie gediehen?

Als mit dem Bau dieser Produktionsstätte begonnen wurde, war bereits klar, dass hier weiter ausgebaut werden soll. Eine zweite Phase war also von vornherein eingeplant. Durch die Wirtschaftskrise 2008/2009 hat sich deren Umsetzen jedoch hinausgezögert. Heute sind wir an einem Punkt, wo wir den Ausbau als möglich erachten, doch muss zuerst im Mutterunternehmen evaluiert werden, welcher Produktionsressort nach Schäßburg verlagert werden soll, ehe der Ausbau beginnt. Im Moment erfolgt diese Abklärungsphase.

Erweitert werden soll die Weberei, zu entscheiden gilt, welches Sortiment zu der Produktion in Rumänien dazukommen wird. Im Moment produzieren wir jegliche Filter für den Bergbau, für Aluminiumproduzenten und Industriefilter für die Bierproduktion, für Müllereibetriebe sowie die groberen Filter für die Pharmaindustrie. Die feineren Filter, darunter Wasser-, Benzin-, Öl- oder Blutfilter, werden zurzeit in der Schweiz gewoben.

Sie erwähnten, dass die Fasern vom Nebengelände geliefert werden.

Ja, da befindet sich der Faserproduzent, eine italienische Firma. Mit diesem Garnlieferanten wurde und wird auch an anderen Standorten zusammengearbeitet und er ist mit uns nach Rumänien mitgekommen.

Werden Sie nach dem Ausbau die nötigen Mitarbeiter finden?

Das hoffe ich. Meine Diplomarbeit für den Executive MBA an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich schreibe ich über die Nachwuchssicherung in Rumänien.

Die meisten jungen Leute wollen ins Ausland gehen...

Ja, die Erfahrung, dass die jungen Ingenieure das Ausland bevorzugen, habe ich auch gemacht. Auf der einen Seite ist der Wunsch, ins Ausland zu gehen, verständlich, auf der anderen Seite aber erschwert er vor allem den Unternehmen in Kleinstädten die Möglichkeit, junge Nachwuchskräfte zu gewinnen. Die Universitäten sind in den Großstädten, in Hermannstadt, Klausenburg/Cluj, Jassy/Iaşi, und die Leute aus diesen Städten auf das Land zu holen, ist schwer.

Die jungen Leute gehen ins Ausland, weil sie dort besser verdienen.

Und junge Ingenieure bevorzugen eine unqualifizierte Arbeit im Ausland einem Ingenieursposten in Rumänien. Diese Erfahrung habe ich erst kürzlich mit ausgebildeten Textilingenieuren aus Hermannstadt gemacht, die ich anstellen wollte. Sie hatten zugesagt und riefen dann zwei Wochen vor Arbeitsbeginn an, es täte ihnen leid, sie müssen absagen.

Auf meine Frage, was sie denn vorhaben, erhielt ich die Antwort, sie gehen nach Deutschland, Erdbeeren pflücken, weil sie dabei mehr verdienen. Ich riet ihnen, doch an die Zukunft zu denken, dass sie sich in zwei-drei Jahren in der Firma hocharbeiten und dann den entsprechenden besseren Lohn erhalten können. Das interessiere sie nicht, sie wollen jetzt das Geld verdienen, und nicht in drei Jahren, sagten sie mir. Diese Einstellung zeigt, welchen Stellenwert das Geld in Rumänien hat.

Wahrscheinlich brauchen sie das Geld jetzt, um zu überleben.

Was mich in Rumänien stört, sind jene Personen, die in höhere Ämter im Staat oder in einer Firma aufsteigen und nur noch an das eigene Bereichern denken, aber nicht mehr an ihre Mitbürger. Ich finde es unmöglich, dass die Staatsführung nicht mehr unternimmt für die normalen Bürger, dass die Heizkosten zum Beispiel so subventioniert werden, dass sie im Winter nicht die Hälfte oder noch mehr des Durchschnittseinkommens ausmachen und den Leuten mehr Geld zur Verfügung steht. Durch die schwierigen Umstände wandern viele Rumänen ins Ausland aus und suchen ihre Chancen dort. So gehen jedoch für den rumänischen Arbeitsmarkt viele Fachkräfte und für den rumänischen Staat Steuereinnahmen verloren.