Neunziger-Nostalgie im Kino

Ein Film übers Erwachsenwerden im Jahr der totalen Sonnenfinsternis

Nicholas Bohor und Ofelia Popii

Kein Smartphone klingelt, niemand gibt Begriffe auf Google ein, Facebook existiert nicht und um Spiele auf dem Computer zu spielen, muss man ins Internet-Cafe. Da spielt man doch lieber mit den Kindern aus dem Wohnblock Fußball. Im Wohnzimmer ist der Fernseher den ganzen Tag lang auf PRO-TV geschaltet. Dort redet man seit Wochen über die totale Sonnenfinsternis vom 11.August 1999. Wird wohl das Ende der Welt kommen? „Es ist der heißeste Sommer seit 1954“, sagt eine Stimme im Radio. Erfrischung verschaffen Granita-Säfte. Das sind knallbunte Getränke mit viel Eis und ein wenig Fruchtaroma, die man im Non-Stop-Laden von gegenüber findet.

Die Handlung des Films „Vara s-a sfârşit“ (deutsch: Der Sommer ist vorbei) in der Regie von Radu Potcoavă, der am 5. Mai in die Kinos kam, spielt im Sommer 1999 und handelt von der Jugend in den 90er Jahren, einem Jahrzehnt, in dem die Welt sich gründlich verändert hat.
 

Britney Spears, Internet-Cafes und Kassetten

Schon am Titel merkt man, dass es ein „Coming-of-Age“ Film ist. Er handelt aber nicht nur vom Ende der Kindheit, sondern auch vom Ende einer Ära. In nur wenigen Jahren wird sich die Welt komplett verändern- und auch unser Leben. Heute sieht man kaum Kinder vor dem Wohnblock spielen. Und die Ferien verbringt man vor dem Tablet-Bildschirm und nicht mehr bei den Großeltern auf dem Land. Rumänien Ende der 90er Jahre, das bedeutete: Poster mit den Backstreet Boys, Plateau-Schuhe, bunte hautenge T-Shirts, Kassetten mit BUG Mafia und Partys mit der Teenager-Mädchenband Andre. Diese Zeit der Walkmans und „Chicago Bulls“- Kappen wurde bisher in keinem rumänischen Film beschrieben. Doch in den Klubs, wo es bis vor einigen Jahren 80er Parties gab, werden jetzt Events organisiert, die als Thema die 90er haben. Die Parties mit einem Musik-Mix, wo Songs von Spice Girls und Britney Spears wild durcheinandergewürfelt werden mit Hits von Roxette, Bon Jovi, Oasis, Blur, Pulp aber auch vielen rumänischen Bands wie N&D, Andre, La Familia, BUG Mafia oder Class, werden sehr gut besucht. Meistens von Leuten, deren Jugend sich in den 90er Jahren abgespielt hat. Das Geschäft mit der Nostalgie hat schon immer geblüht.
 

Der Film einer Freundschaft

Im rumänischen Film waren der Kommunismus und die Revolution von 1989 vor etwa zehn Jahren ein großes Thema. Filme wie „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, „A fost sau n-a fost“, oder „Das Papier wird blau sein“ handelten alle von dieser Zeitspanne. Die Kindheit im Kommunismus thematisiert der Film „Wie ich das Ende der Welt verbracht habe“ in der Regie von Cătălin Mitulescu. Dabei sehen wir die Revolution vom Dezember 1989 durch die Augen des siebenjährigen Lalalilu.

Nach mehr als zehn Jahren kommt „Der Sommer ist vorbei“, in dem über die Freundschaft zwischen den beiden Vierzehnjährigen Mircea und Alex (gespielt von Dan Hurduc und Nicholas Bohor) die Rede ist. Sie treffen sich im Sommer der gelben Sonnenfinsternis-Brillen und den 2000-Lei Geldscheinen aus Plastik (auch mit der Sonnenfinsternis), der Kassetten mit BUG Mafia, der südamerikanischen Telenovelas und der hysterischen Nachrichten vom PRO-TV-Sender. Die beiden Jungen sind sehr verschieden. Mircea lebt in der Kleinstadt Cernavodă mit seinen etwas strengen Eltern, sein Interesse gilt der Astronomie und sein einziger Freund ist ein 60-Jähriger, der in der Nähe des Busbahnhofs lebt. Alex kommt aus Bukarest, seine Eltern sind geschieden, sein Vater in Italien. Da niemand auf ihn aufpassen kann, muss er die Ferien bei seiner Großmutter in Cernavodă verbringen. Nachdem Alex sein Freund wird, öffnet sich für Mircea eine Welt voller Kassetten mit rumänischem HipHop, McDonalds und BMX-Fahrrädern. Als der Vater von Alex nicht wie versprochen aus Italien zurückkehrt, um mit seinem Sohn ans Meer zu fahren, treffen die zwei Freunde einen Entschluss. Sie wollen die Entführung von Alex inszenieren, um an Geld zu kommen. Es fängt wie ein naives Kinderspiel an, endet aber in einer Tragödie. 
 

Ein Tag mitten im Sommer, an den sich alle erinnern
 

Die Kindheit war auch in anderen Filmen ein beliebtes Thema für den Regisseur Radu Potcoavă (Jahrgang 1978). Sein Kurzfilm „Ich heiße Costin“, der beim Internationalen Filmfestival „Transilvania“ (TIFF) gezeigt wurde, erzählt die Geschichte eines Fünfjährigen aus Bukarest, der auf einmal behauptet, er würde Costin heißen und 37 Jahre alt sein. Er erzählt seinen Eltern, dass er in seinem 30 Kilometer entfernten Heimatdorf von einem Nachbarn ermordet wurde. Seine Leiche hätte der Nachbar hinter der Dorfschule begraben. Zuerst glauben die Eltern des Kindes, es hätte die Geschichte im Kindergarten gehört. Der Junge besteht aber darauf, dass sie ins Dorf von Costin fahren. Dort stellt sich heraus, dass der Kleine in allen Details recht hatte. Interessant ist, dass der Film aus wahren Begebenheiten inspiriert ist. Angeblich soll es in der Türkei mehrere Fälle von „wiedergeborenen“ Kindern geben. Allein in den vergangenen zwanzig Jahren sollen in Antakya über achthundert Fälle von Wiedergeburt dokumentiert worden sein. Die Kinder fangen plötzlich an, über den Tag zu sprechen, an dem sie gestorben sind. Oder sie führen ihre Eltern zu dem Haus, in dem sie in ihrem früheren Leben gewohnt haben.

Der Film „Der Sommer ist vorbei“ hat praktisch zwei Teile: ein Teil vor der Tragödie und der andere danach. Während der erste Teil in allen Zuschauern, die in den 90ern Kinder waren, Erinnerungen auslöst, sind manche Handlungen im zweiten Teil unverständlich und haben wenig Logik (es gibt eine Schwachstelle im Drehbuch). Wenn man jedoch von manchen Aspekten absieht, ist „Der Sommer ist vorbei“ ein guter und vor allem nötiger Film. Die Handlung endet abrupt am 11. August, dem Tag der Sonnenfinsternis.

Fast jeder, der älter als 30 ist, kann sich noch an den Sommertag vor 18 Jahren erinnern, an dem es plötzlich um 14 Uhr dunkel wurde. In Rumänien erfreute sich schon Wochen voraus die Sonnenfinsternis, die man am besten in Râmnicu Vâlcea sehen konnte, einer großen Popularität und entsprechender Medienresonanz. Dabei konnte die Nachfrage nach den früh ausverkauften Sonnenfinsternis-Brillen vom Handel bis zuletzt nicht gedeckt werden. Das Naturschauspiel ist sehr selten und man erlebt es wohl nur einmal im Leben: die nächste Sonnenfinsternis wird am 3. September 2081 stattfinden.

In Kronstadt läuft der Film im „Cinema One“-Kino, wird aber auch in der Patria-Kinemathek auf dem Programm stehen.