„Nicht alle wollen multikulturell sein“

Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister in Neukölln, Berlin, über deutsche Integrationspolitik, Roma-Zuwanderung und Lebenslügen

Die Migrationswelle nach Deutschland erlebt einen Höhepunkt. Jetzt sind es überwiegend Migranten aus Rumänien und Bulgarien, die in die Bundesrepublik einwandern. 2012 sind rund 25.000 Menschen aus diesen beiden Ländern nach Berlin gekommen. Es geht um qualifizierte Arbeitskräfte und Studierende, aber auch um arme Familien, darunter viele Roma. Die letzteren ziehen in den Berliner Stadtteil Neukölln, wo viele Migranten leben und die Mieten günstiger sind.

Es ist ein problematischer Bezirk, der 41 Prozent Migrantenanteil hat. 320.000 Menschen aus 160 Ländern leben hier. Nicht immer friedlich. Denn nicht alle wollen unbedingt „multikulti“ sein, so Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister des Bezirks. Durch seine Vielfalt, aber auch Problematik, wurde Neukölln europaweit bekannt – und mit ihm sein Bürgermeister. Der 2012 das Buch „Neukölln ist überall“ veröffentlicht hat, das zu einem Synonym für gescheiterte Integration wurde. Die ADZ-Korrespondentin Ana Sălişte-Iordache hat mit Heinz Buschkowsky über seinen migrantenreichen Stadtteil, über die neue Zuwanderungswelle aus Osteuropa und die problematische deutsche Integrationspolitik gesprochen.

Menschen aus 160 Nationen leben derzeit also im Berliner Bezirk Neukölln. In den letzten Jahren sind auch viele Familien aus Rumänien und Bulgarien hierher gezogen, darunter zahlreiche Roma.

Sprachnachteile,Bildungshandicap, Alltagskriminalität

Der hohe Migrantenanteil ist seit Jahren eine große Herausforderung für Politiker. Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister des Bezirks, hat einiges bewirkt, um den Integrationsprozess der Zuzügler im Berliner Stadtteil Neukölln voranzutreiben. Er hat u. a. Migranten in der Verwaltung eingestellt, muslimische Stadtteilmütter losgeschickt. Um andere Muslimfrauen über deutsche Rechte zu informieren und eine bessere Kommunikation zwischen Migranten und Behörden zu schaffen. Doch es scheint, wie er nun in seinem Buch und in Gesprächen lospoltert, dass all dies nicht viel gebracht hat.

Trotzdem hängt es davon ab, wen man zum Thema befragt. „Wenn Sie sich nur mit Menschen mit einer gelungenen Bildungskarriere unterhalten, dann wird man tatsächlich zum Ergebnis kommen, dass sie alle gut integriert sind und super miteinander klarkommen. Das passiert aber, weil sie sich in einem kultivierten Umfeld bewegen“, sagt Buschkowsky. Dabei muss man aber auch die Kehrseite erwähnen, die vor allem in Neukölln sichtbar wird: „Wenn Sie nach Neukölln kommen, wo 40 Prozent, also fast jedes zweite Kind von Einwanderern, mit massiven Sprachmängeln eingeschult wird, wo 90 Prozent der Eltern der Kinder, die zur Schule gehen, keiner geregelten Arbeit nachgehen, wo Analphabetismus eine recht massive Erscheinungsform ist und Alltagskriminalität eine große Rolle spielt, da werden Sie bei der Frage: ´Sind das gelungene Integrationskarrieren?` nachdenklicher“, so der SPD-Bürgermeister.

Er gibt zu: Es gibt auch Beispiele von erfolgreichen Integrationsgeschichten und -schicksalen. Diese Menschen ziehen aber dann in andere Stadtteile. Weil sie ihre Kinder nicht in diesem Bezirk großziehen wollen. Nach Neukölln kommen dann neue Zuwanderer. Oft sozial bedürftige.

Jede Ethnie mit eigenem  Refugium

Eine gelungene Multikulturalität würde bedeuten, so Buschkowsky, dass es in der Gesellschaft eine Grundsubstanz an Werten gibt, die für alle verbindlich sind. Und von allen akzeptiert werden. Wenn der Wert eines Menschen nicht von seiner Religion abhängt oder davon, ob er eine bestimmte Speise isst oder  nicht, wenn die pluralistischen demokratischen Werte etwas Selbstverständliches für alle sind, dann könne man von einer erfolgreichen Integration sprechen. Diese Grundsubstanz gibt es nicht.

Als Beispiel für eine gute Integrationspolitik nennt Buschkowsky Länder wie Kanada und Australien. Wo es aber kaum integrierte Stadtteile gibt, sondern wo einzelne Ethnien klar voneinander getrennt sind und in unterschiedlichen Bezirken leben. „Man gibt den Kulturen ein eigenes Refugium, ein eigenes Reservat, in der Erkenntnis, dass sie sich eigentlich doch nicht so gut vertragen“, so Buschkowsky. Das müsse man auch bei Neukölln einsehen, wo es sich ebenfalls um unterschiedliche Lebensweisen, Religionen und Gewohnheiten handelt. „In Neukölln müsste das heißen, dass sich alle Einwanderer aus allen 160 Ländern gut vertragen und lieb haben. Das ist aber nicht so. Asiaten haben völlig andere Lebensnormen als Afrikaner, Türken verstehen sich zum Teil untereinander schon nicht und Türken und Araber sind auch nicht die dicksten Freunde. Die Einwanderergesellschaft gibt es also nicht“, fügt er hinzu.

Neukölln ist überall

Laut Buschkowsky ist „Multikulti“ zu einem politischen Kampfbegriff geworden. Der allerdings gescheitert ist, nicht nur in Neukölln, sondern auch in ganz Deutschland. Wo zur Zeit 16 Millionen Menschen, also rund 20 Prozent der Bevölkerung, Einwanderer sind. Immer wieder seien zwei „Lebenslügen“ aufgetischt worden, die einen produktiven Integrationsplan verhindert haben. Einerseits die Behauptung, dass die Einwanderer saisonbedingt kommen und nach einer bestimmten Zeit in ihre Heimatländer zurückkehren.

Daher müssen sich die Politiker nicht weiter um sie kümmern. Andererseits die Hoffnung, dass die multikulturelle Gesellschaft das Zusammenleben der Menschen von allein regelt. Treffen viele Kulturen aufeinander, so breche aus jeder Kultur nur das Gute hervor und es entstehe als Symbiose eine neue menschliche Gesellschaft: die multikulturelle Gesellschaft. Aber: „Es wurde außer Acht gelassen, dass es Menschen gibt, die gar nicht multikulturell sein wollen. Sie sagen, wir sind stolze Türken – und wollen es bleiben. Wir sind stolze Araber – und wollen es bleiben. Solche große Lebenslügen haben dazu geführt, dass es in Deutschland vierzig Jahre lang keine strukturierte konventionelle Integrations- und Einwanderungspolitik gegeben hat.

Die beliebteste dritte Lüge ist: Wir haben alles im Griff. Es gibt nur das Zufallsprinzip: Wer es zufällig bis zur Landgrenze schafft“, sagt Buschkowsky. Buschkowskys Schlussfolgerung: „Neukölln ist überall“. So wie er auch sein Buch über den umstrittenen Bezirk betitelt hat. „Es gibt viele Neuköllns, sie heißen nur anders“, sagt er.

„Abschiebung innerhalb der EU? Wie geht das denn?“

Die „Armutseinwanderung“ aus Rumänien und Bulgarien, über die in den letzten Monaten viel in den deutschen Medien berichtet wurde, sei für Buschkowsky allerdings ein altes Thema, das bereits vor Jahren in den Vordergrund hätte treten müssen. „Ich warne seit zwei Jahren davor“, sagt Buschkowsky.

Wie geht man jetzt damit um? Einige Politiker sind für ständige Kontrolle und Abschiebungen der Ausländer aus Osteuropa. Buschkowsky findet, das sei keine Lösung. Zum einen, weil es sich immerhin um EU-Bürger handelt: „Abschiebung? Innerhalb der EU? Wie geht das denn? Es gibt Leute, die gar nicht verinnerlicht haben, was EU eigentlich bedeutet“, sagt er. Der Bürgermeister weist darauf hin, man solle sich jetzt mit den Migranten beschäftigen, die schon in Deutschland sind. Hauptprobleme sind zurzeit, neben dem Lebensunterhalt und dem Gesundheitsbereich, die Wohn- und Bildungssituation. „Wir sollten lieber zusehen, dass wir die Kinder in die Schule bringen, damit uns nicht das Gleiche passiert wie mit Einwanderern vor 50 Jahren“, so Buschkowsky.

Viele Familien leben nur vom Kindergeld. Alleine das Kindergeld in Deutschland ist weitaus mehr, als sie in ihren Heimatländern zum Leben zur Verfügung haben. „Zum Teil haben sie dort auf Müllhalden gelebt. Da ist das Leben selbst in einer überbelegten Drei-Zimmer-Wohnung mit 20 Personen, die jeweils 10 Euro pro Tag zahlen, immer noch besser und komfortabler als zu Hause.

Deshalb zahlen diese Familien Abzockern auch bis zu 2000 Euro, um einen Antrag für Kindergeld stellen zu können oder 500 Euro für die Begleitung zu einer deutschen Behörde, weil sie selbst oft nicht lesen und schreiben können und die Sprache nicht richtig beherrschen. Da macht man mit dem Geld der Armen noch richtige Geschäfte“, fügt der Bürgermeister hinzu. Manche Familien kommen mit 14-jährigen Kindern, die noch nie in der Schule waren und noch nicht alphabetisiert sind. „Wo tue ich ein solches Kind überhaupt hin? In die Grundschule, mit den Kleinen? In die Mittelschule, wo es vielleicht wegen mangelnden Sprachkenntnissen gehänselt werden kann? Wo kann ich ihm ein soziales Umfeld geben, das es nicht kaputt macht?“, so Buschkowsky.

Vor allem das Thema Bildung soll mehr in den Fokus rücken. Denn die Zukunft von Neukölln werden gerade diese Kinder bilden. Heinz Buschkowsky, der selber in Neukölln geboren und aufgewachsen ist, beobachtet die Tendenzen und ist sicher: Die Zuwandererraten werden im Stadtteil und in ganz Berlin auch weiter steigen. Er hat sein gesamtes politisches Leben in diesem Bezirk verbracht und vertritt seit Jahren provokante Thesen zum Thema Integration.