Nischenkunstformen und modernes Deutschland-Bild

ADZ-Gespräch mit dem neuen Leiter des Klausenburger Deutschen Kulturzentrums, Ingo Tegge

„Mein Eindruck ist, dass es in Klausenburg eine sehr lebendige Kunst- und Kulturszene gibt, aber auch viele Menschen, die an ungewöhnlichen Kunstformen interessiert sind, also nicht nur an einem klassischen Konzert oder einer einfachen Fotoausstellung. Gerade diesem Publikum gegenüber fühlen wir uns verantwortlich und wollen es erreichen.“ - Ingo Tegge, neuer Leiter des Klausenburger Goethe-Zentrums.
Foto: Goethe-Zentrum

Seit März ist Ingo Tegge der neue Leiter des Deutschen Kulturzentrums in Klausenburg/Cluj-Napoca. Damit trat er die Nachfolge von Fabian Mühlthaler an, der Siebenbürgen in Richtung Kamerun verlassen hat und in der Hauptstadt Yaoundé fortan das dortige Goethe-Institut leitet. Ingo Tegge selbst begann seine Karriere auf dem schwarzen Kontinent in Südafrika. Aus Bremen stammend, studierte er in Berlin Neuere Deutsche Literatur und absolvierte im Anschluss an seinen Magister ein Praktikum beim Goethe-Institut in Johannesburg.

Fasziniert von Land und Leuten sollte es für das Nordlicht danach ins „richtige Afrika“ gehen. Auf Empfehlung des Regional- und Institutsleiters zog es ihn weiter nach Nigeria. Im Rahmen eines Volontariats blieb er für zwei Jahre in Lagos, der Hauptstadt des westafrikanischen Landes, die mit ihren 15 bis 20 Millionen Einwohnern eine „unglaublich lebendige und dynamische Stadt“ ist. Aus dem beschaulichen Stuttgart, wo er zuletzt in einer Unternehmensberatung arbeitete, hat es Ingo Tegge nun in das Herz Transsilvaniens verschlagen. Zum Gespräch traf ihn ADZ-Redakteur Michael Mundt.


Herr Tegge, welche Beweggründe führten dazu, dass Sie sich aus einer Unternehmensberatung heraus auf die Leitung des Deutschen Kulturzentrums in Klausenburg beworben haben?

Nach meiner Zeit in Afrika habe ich zunächst für vier Monate eine kleine Weltreise unternommen, um mich danach beruflich umzuorientieren. Eigentlich war es gedacht, dass die Teilnehmer am Ausbildungsprogramm des Goethe-Instituts in leitende Funktionen übernommen werden, doch wie es bei einer Organisation ist, die sehr stark auch von der Politik abhängig ist, waren eingeplante Gelder nicht mehr vorhanden. Nach meiner Rückkehr in die Bundesrepublik habe ich mich dann im Raum Stuttgart niedergelassen und in einer kleinen Unternehmensberatung angefangen. Doch mir war immer bewusst, dass dies nur eine Zwischenstation sein soll, ich wollte unbedingt wieder in einem anderen Land leben. Wobei ich mich als Norddeutscher in Schwaben schon ein bisschen wie im Ausland fühlte (grinst). Im letzten Herbst, habe ich dann über meine Kanäle zum Goethe-Institut von der frei werdenden Stelle am Klausenburger Goethe-Zentrum erfahren. Ich kannte weder Stadt noch Leute, doch die Stellenbeschreibung klang unheimlich interessant.

Das Goethe-Institut in Bukarest ist allseits bekannt, auch Deutsche Kulturzentren kennt man aus Temeswar, Hermannstadt und Jassy. Doch was ist ein Goethe-Zentrum und wo besteht der Unterschied zu den beiden anderen?

Zunächst sei festzuhalten, dass wir ein Goethe-Zentrum sind und wir sind ein Deutsches Kulturzentrum, vom Goethe-Institut sind wir allerdings unabhängig. In der Tat ist es ein wenig kompliziert, denn momentan treten wir unter drei Namen auf: Deutsches Kulturzentrum Klausenburg, Goethe-Zentrum Klausenburg und Centrul Cultural German Cluj-Napoca. Diese meinen allerdings alle dasselbe. Im Sinne einer Marketingstrategie ist die Festlegung auf einen Namen, unter welchem wir fortan auftreten werden, eines unser vorrangingen Anliegen. Das Goethe-Institut wiederum ist ein sehr wichtiger und enger Partner und hat das Klausenburger Kulturzentrum im Jahr 2014 mit dem Status eines Goethe-Zentrums ausgezeichnet. Wir sind seitdem ein akkreditierter Kooperationspartner. Das bedeutet, unsere Sprachkurse erfüllen höchste Anforderungen, sodass wir nun auch Sprachprüfungen durchführen dürfen, die uns bisher vorenthalten waren. Außerdem führen wir unsere kulturellen Veranstaltungen in sehr enger Absprache und Koordination mit dem Goethe-Institut durch. Doch getragen wird unser Kulturzentrum von der Rumänisch-Deutschen Kulturgesellschaft Klausenburg e.V.

Wie finanziert sich ihr Kulturzentrum dann?

Die Rumänisch-Deutsche Kulturgesellschaft ist ein gemeinnütziger Verein, der uns sehr unterstützt. Bis zu einem gewissen Grad finanzieren wir uns allerdings auch selbst, insbesondere durch die Sprachkurse. Diese sind ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit. Daneben arbeiten wir mit dem Bukarester Goethe-Institut zusammen und auch dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik. Beide fördern uns immer wieder in beträchtlichem Umfang. Außerdem haben wir viele lokale Kooperationspartner. Diese können aus der Kunst- und Kulturszene kommen oder Firmen sein und schließlich natürlich auch die Stadt selbst.

Sie haben zuvor beim Goethe-Institut in Nigeria gearbeitet. Wie unterscheidet sich die Arbeit in Klausenburg von der in Lagos?

Da liegen Welten dazwischen! Nigeria ist ein spannendes Land, dem ich alles Gute wünsche, doch es ist ein Land der Dritten Welt. Rumänien ist Teil der Europäischen Union und das merkt man deutlich. Von der Ausstattung und der Ausbildung der Lehrer sind wir hier um einige Schritte weiter. Ein großer Unterschied, die Kulturarbeit betreffend, ist die Kulturszene. In Lagos, trotz dieser schier unvorstellbaren Einwohnerzahl, ist die Kulturszene doch sehr klein und es gibt noch viele Felder, die Neuland sind. Das dortige Goethe-Institut war maßgeblich daran beteiligt, die Fotografie auf ein international beachtetes Niveau zu bringen. Mittlerweile gibt es sehr gute nigerianische Fotografen.
Zu meiner Zeit als Volontär haben wir unseren Fokus dann auf die Installationskunst gelegt. In ganz Nigeria, mit seinen über 170 Millionen Einwohnern, gab es nur eine Handvoll Leute, die überhaupt in diese Richtung gearbeitet haben. In Klausenburg ist alles schon sehr viel weiter. Hier muss man keine Aufbauarbeit mehr leisten. Was aller-dings unsere Aufgabe ist, das sind Kunstströmungen zu fördern, die vielleicht noch Nischenformen sind, in der Bundesrepublik allerdings populär und anerkannt. So möchten wir ein modernes Deutschland-Bild transportieren.

Setzen die Kulturzentren in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Schwerpunkte?

Definitiv, und zwar in allen drei Bereichen, sowohl was die Spracharbeit, die Kulturarbeit als auch die Bibliotheks- und Informationsarbeit betrifft. Bei der Spracharbeit ist die strategische Ausgangslage stets eine andere. Insbesondere unter der gebildeteren Bevölkerung Nigerias gibt es ein starkes Bestreben, ins Ausland zu gehen. Es existieren an einigen Universitäten des Landes Germanistikfakultäten und auch an wenigen Privatschulen besteht die Möglichkeit, Deutsch zu lernen, aber diese kosten natürlich viel Geld und sind damit den Wohlhabenden vorbehalten. Der vornehmliche Grund für Nigerianer, die deutsche Sprache zu erlernen, ist der Wunsch, in der Bundesrepublik zu studieren oder zu arbeiten. Auch hier in Klausenburg wollen viele Studenten Deutsch lernen, es gibt aber auch viele Angestellte von deutschen Firmen, die zu uns kommen. Häufig suchen die Unternehmen auch nach Kursen für die ganze Firma, damit die Kommunikation und der interne Ablauf reibungsloser funktionieren.

Dementsprechend sind auch die Wünsche spezieller, denn ein rumänischer Ingenieur, der schon Deutsch spricht, möchte beispielsweise auch noch ein spezifisches Vokabular erlernen. In Lagos haben alle unsere Lehrer die deutsche Sprache selbst erlernt. Sie leisteten gute Arbeit und waren auch relativ gut im Umgang mit der deutschen Sprache. Allerdings nicht vergleichbar mit Klausenburg. Hier merkt man, dass die Menschen teilweise schon seit ihrer Jugend Zugang zu deutschsprachigen Medien hatten, auch wenn sie die Sprache vielleicht erst später erlernten. Dementsprechend ist es hier deutlich einfacher, Sprachkurse auf hohem Niveau anzubieten. In Bezug auf die Didaktik und Methodik gibt es allerdings kaum Unterschiede.

In der Kulturarbeit ist es nicht unsere Aufgabe, eine etablierte Szene mit Dutzenden hochwertiger Ausstellungen zu klassischer Malerei zu unterstützen. Unsere Hauptaufgabe ist es, wie schon angesprochen, Plattformen für Nischenkunst zu schaffen, die für Deutschland typisch sind. Ich denke da zum Beispiel an die Kunstform des Poetry-Slams, die in Deutschland insbesondere unter Studenten sehr beliebt ist. Sie spielt eine große Rolle dabei, die junge Generation für Literatur und Poesie zu begeistern, da sie mit Performance verbunden ist. Poetry-Slam bedeutet Dichterwettstreit, zwei Kontrahenten treten gegeneinander an, wie bei einem Rap-Battle, das ist spannend, macht Spaß und zieht die Leute an. Eine andere Kunstform ist Graffiti, und zwar nicht im Sinne von Vandalismus, sondern in der Form von Wandgemälden. Gerade in Bezug auf den britischen Künstler Banksy ist diese Kunstform in Deutschland, aber auch in England und vielen anderen Ländern, bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In Klausenburg habe ich bisher das Gefühl, dass es hier nicht wirklich stattfindet, und wenn doch, dann eher als Vandalismus. Beides sind auch Kunstbereiche, die ich gerne unterstützen und fördern möchte. Sowieso bringt in der Kulturarbeit jeder Leiter seine eigenen Vorstellungen am stärksten ein. Ich habe Neuere Deutsche Literatur studiert und damit natürlich auch einen gewissen Draht zu Literatur und zum Poetryslam.

Hatten Sie schon die Möglichkeit, einen Poetry-Slam in der Stadt zu besuchen?

Die hatte ich leider noch nicht. Mir wurde aber bereits gesagt, dass es eine kleine rumänisch- sowie ungarischsprachige Szene gibt. Das ist schon mal ein Vorteil, denn wenn man diese Kunstform in einer Stadt fördern möchte, in der die Leute davon noch nie gehört haben, dann ist es natürlich viel schwieriger, ein Publikum zu finden. Klausenburg ist eine akademisch geprägte Stadt voller Studenten und Universitätsmitarbeiter und der Erfahrung aus Deutschland nach ist dies das klassische Publikum. Mein Wunsch wäre es, dass deutsche Slam-Poeten kommen, wir Workshops veranstalten und ein größeres Poetry-Slam-Event organisieren. Dabei gibt es natürlich gewisse Herausforderungen. Ein großes Thema ist, wenn es um Literatur geht, die Sprache. Es gibt zwar Künstler, die Deutsch sprechen, aber bei Weitem nicht jeder und nur wenige deutsche Slam-Poeten sprechen Rumänisch. Derzeit bin ich noch am Überlegen, wie wir diesem Problem begegnen können. Meine Kolleginnen hatten auch schon tolle Ideen, zum Beispiel die einer Doppelperformance. Man bringt also einen deutschen und einen rumänischen Künstler zusammen und lässt sie gemeinsam etwas erarbeiten, das ermöglicht es auch, mit beiden Sprachen zu spielen.

Und standen Sie selbst schon einmal bei einem Poetry-Slam auf der Bühne?

(lacht) Nein, selbst habe ich nie an einem Slam teilgenommen. Ich bin aber auch Kulturmanager und nicht Kulturschaffender. Das ist ein großer Unterschied.

Sie haben erst im März die Stelle als Leiter des Kulturzentrums übernommen. Die diesjährigen Veranstaltungen wurden also noch von Fabian Mühlthaler initiiert?

Das Schöne ist, ich konnte schon einen gewissen Einfluss auf die Programmgestaltung nehmen. Üblich ist es, bei einem Wechsel am Jahresende, dass der Vorgänger die wesentlichen Projekte schon festgelegt hat. Auch deswegen, da ein ganz wichtiger Faktor des Jobs ist, die lokalen Gegebenheiten zu kennen. Das heißt, Fabian Mühlthaler hat vieles vorgegeben, aber wir standen in sehr engem Austausch und ich freue mich sehr, dass er mich bei der Jahresplanung hinzugezogen hat und wir gemeinsam Themen festlegen konnten. So wird es gegen Jahresende zum Beispiel einen Poetry-Slam geben. Darüber hinaus veranstalten wir jährlich zwei Filmreihen. Das Thema für die erste Filmreihe schärfen wir gerade noch einmal. Hier möchte ich mit „Subkulturen“ ein weiteres Anliegen einbringen, welches mir am Herzen liegt. Es lässt sich sagen, dass Fabian Mühlthaler die wesentlichen Bausteine festgelegt  hat und ich zusammen mit meinen Kolleginnen nun die Detailarbeit übernehme. Neben etablierten Veranstaltungen wie Clujotronic, ein Festival für elektronische Kunst, welches ich gerne weiterführen möchte, werde ich ab Ende des Jahres gewiss auch eigene Veranstaltungen angehen. Daneben sind wir bei vielen Veranstaltungen und Festivals bereits ein traditioneller Partner.

Wie lange beabsichtigen Sie, hier im Herzen Transsilvaniens zu bleiben?

Grundsätzlich wird bei dieser Art leitender Stelle immer zwischen drei und fünf Jahren geplant. Im ersten Jahr muss man noch viel ausprobieren, man muss überhaupt erst einmal ankommen, sich mit der Stadt und den Menschen vertraut machen und die verschiedenen Kunstszenen, aber auch die Partner kennenlernen. Für das zweite Jahr bestimmt man dann auch selbst das Programm, welches in Abstimmung mit dem Goethe-Institut und anderen Organisationen erarbeitet wird. Es gibt Fälle, da bleiben die Leiter der Kulturzentren über einen sehr langen Zeitraum, was durchaus sinnvoll sein kann. Doch oft ist es gar nicht so schlecht, wenn nach vier oder fünf Jahren neue Ideen reinkommen. Bisher fühle ich mich in Klausenburg allerdings unglaublich wohl und wenn es nach mir geht, bleibe ich erst mal sehr, sehr lange.

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Auf Initiative des damaligen deutschen Botschafters Anton Rossbach und des früheren Rektors der Babeş-Bolyai-Universität, Andrei Marga, wurde das Deutsche Kulturzentrum im Jahr 1994 ins Leben gerufen. Zugleich wurde der Trägerverein, die Rumänisch-Deutsche Kulturgesellschaft Klausenburg, gegründet. Anliegen ist die Förderung der deutschen Sprache und Kultur, der Kulturaustausch sowie die Unterstützung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland. Seinen Sitz hat es in der Universităţii-Straße gegenüber der Universität.