Noch ein guter Tag für das Banat

Dem aus Sanktanna stammenden Stefan W. Hell wurde der Nobelpreis für Chemie zugesprochen

Ein Forscher mit weiter fesselnden Vorhaben: Stefan Hell

Der Nobelpreis für Chemie ging in diesem Jahr an Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, sowie an die beiden US-Forscher Eric Betzig und William Moerner.
„Heute ist ein guter Tag für uns. Ein weiterer Angehöriger unserer Gemeinschaft wurde mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Stefan Hell aus Sanktanna ist Träger des Nobelpreises für Chemie 2014.“ Das Zitat stammt aus dem Anschreiben von Dietmar-Peter Leber an die Leiter von Orts- und Kreisverbänden der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Deutschland, aber auch an deren „Sympathisanten“. Streng genommen ist der aus dem nördlich der Marosch gelegenen Sanktanna stammende Prof. Dr. Stefan W. Hell (52), seit 2002 Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, der auch am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg forscht, kein Banater, doch die Sanktannaer rechnen sich generell nicht zum (geografischen und historischen) Partium, sondern zum Banat und deshalb darf nach der Bekanntgabe des Nobelpreis-Komitees von einem „zweiten Nobelpreis für einen Banater Schwaben, nach Herta Müller (2009)“ gesprochen werden. Und von „unserem Banater Landsmann aus Sanktanna“, der seine Banater Herkunft nie verleugnete.

Ein Vollblutforscher in der Optik

„Ich war gerade dabei, eine wissenschaftliche Veröffentlichung fertigzustellen und abzuschicken“, zitiert ihn der Sanktannaer HOG-Vorsitzende Josef Lutz in seinem Ankündigungsschreiben an die Sanktannaer, „als der Anruf vom Präsidenten der Norwegischen Akademie der Wissenschaften auf meinem Handy einging. Ich war total überrascht und freue mich natürlich riesig über diese Auszeichnung. Das ist eine große Anerkennung, nicht nur für mich, sondern für alle meine Mitarbeiter, die gemeinsam an der hochauflösenden Lichtmikroskopie gearbeitet haben.“  Die Jury des Nobelpreiskomitees schrieb in ihrer Begründung, der 52-jährige Stefan Hell werde „für seine bahnbrechenden Entwicklungen, die zur Fluoreszenzmikroskopie mit Nanometerauflösung führten und neue Anwendungen in der Biologie eröffneten“, geehrt. In ihren Publikationen nutzten Hell und sein Team gelegentlich die treffende Bezeichnung „Lichtblicke in die Nanowelt“ für das, was sie taten.

Im Gratulationsschreiben des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, „an den im Banat geborenen Stefan W. Hell zum Nobelpreis für Chemie“ kommt ein hohes Lob für die Temeswarer deutsche Nikolaus-Lenau-Schule vor: „Nach dem Nobelpreis für Literatur an Herta Müller ist Stefan W. Hell bereits der zweite ehemalige Schüler des Nikolaus-Lenau-Gymnasiums, der mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, was die hohe Qualität der deutschsprachigen Schule in Temeswar, aber auch des gesamten deutschsprachigen Schulwesens in Rumänien belegt.“ Der frischgebackene Nobelpreisträger hat die deutsche Grund- und Allgemeinbildende Schule in Sanktanna absolviert und war bloß in der neunten Klasse in der Lenau-Schule, weil seine Familie 1978 nach Deutschland ausreiste, weshalb fairerweise auch die Solidität der Grundausbildung des künftigen Nobelpreisträgers in Sanktanna unterstrichen werden muss, zumal Ende der 1970er Jahre die Aufnahmeprüfungen an die 9. Klasse der Lenau-Schule nicht gerade einfach zu bestehen waren und diese solide Grundschulausbildung eine wichtige Voraussetzung für das Bestehen war.

Einblicke in die lebende Zelle

Stefan W. Hells Innovationen haben die optische Mikroskopie revolutioniert und die Grundlagen der STED-Mikroskopie geschaffen. Damit hat er das 1873 formulierte Gesetz von Ernst Abbe über die Untergrenze der Sichtbarkeit der Objekte als falsch dargestellt. Objekte in einer Annäherungsdistanz von der Dimension etwa eines Zweihundertstels einer Haaresbreite (etwa 200 Millionstel eines Millimeters) können in einem Bild nicht mehr unterschieden werden, postulierte Abbe die Grenze der Mikroskopie für das 19. Jahrhundert. Das Zellinnere kann also, laut Abbe, nicht sichtbar gemacht werden. Fast alle Zellbausteine sind in Wirklichkeit zehn- bis hundertmal kleiner. Mit dem STED-Mikroskop, das Stefan W. Hell erfunden und weiterentwickelt sowie bis zur Produktionsreife gebracht hat, konnte die Abbesche Grenze bis auf 20 Nanometer unterschritten werden. Um das Zehnfache.

Mit Hells Mikroskop – „eine bahnbrechende Entwicklung der Lichtmikroskopie und ihrer Anwendungen im biologischen Umfeld“ – konnten 2008 erstmals von Hirnforschern die Bewegungen einzelner Synapsenbestandteile in lebenden Nervenzellen sichtbar gemacht und beobachtet werden.
Lichtmikroskopie und das Anfärben von Zellen und Geweben mit fluoreszierenden Molekülen zwecks sichtbarer Hervorhebung waren schon lange bekannt und angewendet worden. Sie waren seit den 1980er Jahren in Verwendung, als Hell noch in Heidelberg studierte. Doch auf weniger als 200 nm konnte man damit nicht in die Winzigkeit von Gewebe und Zellen eindringen. Hells Idee war, die Fluoreszenzmoleküle am Rand von 200 nm-Lichtflecken durch gezieltes Ausschalten zum Leuchten zu bringen. Das verkleinert „den studierten Fleck“, die „abgeregten“ Moleküle am Rand sind nun dunkel und nur noch die in der Mitte können fluoreszieren.

Weitere Forschungseisen  im Feuer

Durch die „erzwungene Dunkelheit“ konnte die Auflösung von 200 nm auf 20 nm reduziert werden. Der technisch gestützte, neugierige und forschungshungrige menschliche Blick konnte ins Molekül- und Zellinnere vordringen. Die Detailschärfe von Strukturen in lebenden Zellen wird bis zu zehnmal besser. Dafür dann das Kürzel der STED-Mikroskopie (von: Löschung durch stimulierte Emission = Stimuladet Emission Depletion).
Gegenwärtig arbeitet der Nobelpreisträger für Chemie (aus dem vorher Erklärten wird offensichtlich, dass es sich ausdrücklich um interdisziplinäre Forschungen handelt) an der Entwicklung neuartiger Fluoreszenzfarbstoffe, die mit weniger Energie an- und abgeregt werden können und die Auflösung weiter erhöhen sollen. Das ist wichtig bei der Erforschung lebender Zellen, weil die Laserstrahlung, die man gemeinhin dazu nutzt, schädlich ist und bis zur Zelltötung, meist aber zu Zellschädigungen führt.

Für die Verbesserung der optischen Mikroskope gibt es noch keine Alternative. Deshalb arbeitet Stefan W. Hell auch an der Verbesserung seiner STED-Miroskopie, die er zu kombinieren sucht mit seiner früheren Erfindung, dem 4-Pi-Mikroskop, wodurch die Tiefenauflösung noch weiter verfeinert und Blick und Einsicht noch tiefer in die lebende Zelle vordringen können. Ein neueres Forschungsgebiet des von Ideen nur so sprühenden Max-Planck-Forschers sind neuartige Kristalle, die sich zwischen einem fluoreszierenden und einem nichtfluoreszierenden Zustand bewegen, sogar hin- und herschalten lassen, und die möglicherweise ein neues Medium für schnelle Datenspeicher sein könnten. Stefan W. Hell ist verheiratet, hat eine Tochter, Therese, und die Zwillinge Jonathan und Sebastian. Er pendelt zwischen den Forschungs- und Universitätseinrichtungen in Göttingen und Heidelberg. Die Familie lebt in Göttingen.