Oben der Himmel, unten der Abgrund

Mircea Noaghiu – einer der besten Kronstädter Alpinisten

Mircea Noaghiu meistert einen Überhang. Foto: Virgil Nastasi

Mircea Noaghiu, früher Bergkletterer, heute (unter anderem) Buchautor und Dichter. Foto: der Verfasser

Salvamont Kronstadt in den ersten Jahren – von links: Richard Schuller, Constantin Codrea, Mircea Noaghiu, Valentin Garner, Werner Gehann und der Arzt Ioan Aurel Sbârcea
Foto aus dem Band „Tributul hazardului“

Mircea Noaghiu wohnt hoch oben, im elften Stockwerk eines Hochhauses. Von dort hat er einen seltenen und schönen Rundblick auf die Berge: links der Krähenstein/Ciucaș, weiter rechts der Hohenstein/Piatra Mare und der Schuler/Postăvarul, im Vordergrund die Zinne/Tâmpa. Er kennt sie sehr gut und liebt sie. Auch heute wandert der 79-Jährige noch, trotz einer nicht einfachen Hüftoperation vor gut sechs Jahren. Nach dem chirurgischen Eingriff musste er praktisch wieder gehen lernen. Es war nicht leicht. Aber einfach vor dem Fernseher seine Zeit zu verbringen – das wollte und konnte er nicht. „Der Glaube, der Durchhaltewillen, die Schmerzen und der Schweiß werden mich auf dem Weg zur Genesung begleiten, um wenigstens zum Teil wieder der Mensch zu sein, der ich einmal war. Und ich hoffe, jetzt gegen Ende meines Weges, wieder dem Berg bei sich zu Hause zu begegnen.“ Noaghius Worte sind in seinem 2014 erschienenen Band „Tributul hazardului“ zu lesen. Es ist ihm gelungen, denn mit 73 bestieg er noch den Ätna, wie wir aus demselben Band erfahren.

 

Erstes Klettern auf der Zinne

Begonnen hatte alles, so erinnert er sich bei unserem Treffen, mit dem Schwänzen einer Sportstunde. Als zwölfjähriger Junge suchte er die Bewegung, das Neue, „den Weg zu den Höhen“. Das war zunächst die Zinne, wo er auf einem Felsenabhang auf die Klettergruppe des Majors Nicolae Hagiu stieß – den Leiter des Militärkatheders an der Kronstädter Hochschule, wo Klettern als „angewandte Sportdisziplin“ gelehrt wurde.

Nina Vasiliu (nachmalige Landesmeisterin im Klettern), Monel Vătășan und Ticu Hașeganu waren unter den jungen Kletterern. Major Hagiu sah sofort, dass der kleine Mircea alles mitbrachte, was einen guten Kletterer ausmacht, und ermunterte ihn, allerdings anfangs zum Entsetzen der Mutter, mit dem Klettern fortzufahren. Die ersten richtigen Klettertouren sollte Noaghiu bald darauf mit Norbert Hiemesch vom Sportverein Voința unternehmen.

Mircea Noaghiu brachte es zum Meister in diesem Sport. Was aber seine Leistungen noch steigerte, war die langjährige Tätigkeit als Trainer der Alpinisten-Abteilung im Sportklub der Kronstädter Universität (CSU). Unter seinem Vorsitz konnte dieser Verein vor allem in Disziplinen wie Orientierungslauf, Sportschießen und eben Bergsteigen eine Spitzenrolle im rumänischen Sport spielen.

Besonders stolz ist Noaghiu auf die Mädchen, die im Klettern gleich mehrere Landestitel für den CSU gewinnen konnten. „Teodora Truță war ein Naturtalent, das es nicht nochmals geben wird“, sagt ihr Trainer. Sie, Viorica Mateescu, Felicia Enache und die anderen Kolleginnen verdienten zu Recht den Beinamen „das Balletkorps“ - so elegant und geschmeidig agierten sie auf den Felswänden. Mädchen seien ernster und gewissenhafter, er habe darum lieber und besser mit ihnen gearbeitet als mit den Jungen, die mal immer wieder über die Stränge schlugen. Aber wenn dieselben Mädchen richtig zickig wurden … dann hatte er dennoch seine liebe Mühe!

Zu viele Berghütten in Berg-Gaststätten umgewandelt

In den frühen 1950er Jahren konnte Noaghiu noch miterleben, wie riskant es damals war, in den Bergen zu wandern, vor allem in den Gebieten, wo die Securitate nach antikommunistischen Widerstandskämpfern suchte. Ältere Leute trauten sich kaum zu wandern und umgingen solche Gebiete. Noaghiu selbst erinnert sich an ein Erlebnis, über das er heute schmunzeln kann. Damals war ihm aber nicht danach zumute.

Auf einem Ausflug begegnete er einem Mann, der nach Kleidung und Aussehen ein Hirte sein konnte. Der Mann sprach ihn an und fragte höflich, ob er nicht einen „Knopf“, also eine Tablette, bei sich hätte, die seine Zahnschmerzen lindern könne. Mircea hatte - und half gerne. Dann stutzte er, als der vermeintliche Hirte nach einem anderen, weniger bekannten Arzneimittel nachfragte, das gegen Kopfschmerzen verwendet wurde. Noaghiu entschuldigte sich höflich und entfernte sich schnellen Schrittes von dem Hirten, der wohl genau so viel von Schafzucht verstand wie er selbst.

Später folgten die Jahre des Massentourismus, wo unter dem Logo ONT von den Gewerkschaften veranstaltet, Gruppenausflüge stattfanden, nach dem Motto: Die Arbeiterklasse entdeckt die Schönheiten des Vaterlandes. Das war an und für sich nicht schlecht, denn die Zahl der Bergtouristen stieg schlagartig. Aber zu oft kam es vor, dass gut die Hälfte der Wanderer solche Betriebsausflüge für Saufgelage in Schutzhütten missbrauchte. Für den Bergfreund Noaghiu ist es schade, dass auch heute die wenigen verbliebenen, echten Berghütten zu oft in Berg-Gaststätten umfunktioniert werden.

Aber das sei die Folge des freien Marktes: Getränk verkaufe sich am besten; damit fahren die Hüttenwarte Gewinne ein. Wenn sie sich strikt an ein Alkoholverbot halten, wenn nach der Sperrstunde wirklich Schluss gemacht wird – dann ärgern sich die „treuen Kunden“ und meiden solche Schutzhütten, die nur von Wanderern allein kaum ihr Überleben sichern können.

Eine andere störende Tatsache sei, dass man auf vielen Wanderwegen nicht mehr in Sicherheit sei. Plötzlich können Mountainbikes hinter einer Krümmung auftauchen oder Motorräder teilen sich den engen Pfad mit den Wanderern. Nicht zu sprechen von der Lärmbelastung, die das Wild verscheucht und verunsichert. Da wäre die Berggendarmerie gefragt, meint der Kronstädter Bergsteiger, der auch Mitglied des Siebenbürgischen Karpatenvereins ist.

Die Geburtsstunde des Kronstädter Salvamont-Dienstes

Mircea Noaghiu war auch in die Gründung der ersten Struktur betreffend Bergrettung in den rumänischen Karpaten eingebunden. Begonnen hatte diese vor gut 50 Jahren in Kronstadt. Norbert Hiemesch hatte Zugang zu Berichten und Presseartikeln aus Deutschland, in denen die deutsche Bergwacht als Organisation und deren Arbeitsweise vorgestellt wurde. Diese Materialien wurden übersetzt und an die rumänischen Gegebenheiten angepasst.

Der Alpinist Alexandru Floricioiu vom Sportverein „Dinamo“ des Innenministeriums verfügte über die notwendigen Kontakte, wie auch der Vorsitzende des Kronstädter Jägerverbandes, Aristide Stavros, der zu den Parteigenossen auch über gemeinsame Jagden sehr gute Beziehungen pflegte. So konnte in Kronstadt - erstmals in Rumänien - eine „Salvamont“-Filiale gegründet werden, die zeitweilig unter der Leitung von Noaghiu stand.

Außer Namen wie Hiemesch, Schuller, Sbârcea müssen in diesem Zusammenhang auch Leute wie Ionel Coman oder Ilarion Leonte genannt werden, selbst wenn diese sich später zurückgezogen haben. Weil die Dinge nicht immer so liefen, wie es sein sollte, bemerkt Noaghiu und meint damit vor allem die Einbeziehung und Bevorzugung von Leuten, deren Verdienste weniger mit der Bergrettung zu tun hatten. Hinzu kam, dass es zwischen den Salvamont-Filialen zu einer Rivalität kam, die vor allem bei den Salvamont-Rallyes (Wettkämpfe mit Sommer- und Wintervarianten) ausarteten.

Außerdem war es nicht immer übersichtlich und richtig, wie die Gelder zugeteilt und Trainings- und Schulungslager nachträglich abgerechnet wurden. Noaghiu war nicht der Mensch, der dies alles kommentarlos akzeptierte, und so gab es immer wieder Reibereien mit Parteiaktivisten und Vorgesetzten.

Veteran des Kronstädter Alpinismus

Mircea Noaghiu ist Teil der Geschichte des Kronstädter Alpinismus. Er hat zusammen mit Norbert Hiemesch, Robert Welkens, Gerald Lexen, Alexandru Floricioiu und vielen anderen auf alten und neuen Kletterrouten Gipfel bezwungen, Rekorde aufgestellt und zur Erkundung der Berge Rumäniens beigetragen. Darüber kann er stundenlang erzählen und auch Bücher schreiben. Bisher hat Noaghiu seine Eindrücke und Erfahrungen in den Bergen in mehreren Bänden festgehalten; zwei davon weisen ihn sogar als einfühlsamen und expressiven Dichter aus, dem Humor und Selbstironie nicht fehlen.

Beim Klettern werden Mut, Ausdauer, Kraft, Technik, Gleichgewichtssinn und vieles mehr vorausgesetzt – nicht zuletzt volles Vertrauen in die Partner, die ja die sprichwörtliche Seilschaft bilden. Leider, und das musste Noaghiu auch miterleben, ist die Realität nicht so idyllisch, wie es die schönen, spektakulären Aufnahmen an einer Kletterwand vermitteln. Denn Ehrgeiz und die Jagd nach Medaillen und Rekorden verleiten manche zu Übertreibungen und Unehrlichkeit. Vor Jahren wäre es undenkbar gewesen, falsche Angaben über Klettererfolge zu machen.

Mit der Zeit musste als zusätzliches Kriterium zur Erstellung einer Rangordnung neben dem Punktesystem des Schwierigkeitsgrades auch das Geschwindigkeitsklettern eingeführt werden. Die Kletterroute wird vorgegeben, „Abkürzungen“ sind verboten. Etwas geht dabei verloren, wenn nur der Erfolg zählt, wenn die von der Stoppuhr festgehaltene Zeit wichtiger wird als das eigentliche Klettern, meint Noaghiu. Aber das gehöre nun mal zur heutigen Gesellschaft, wo Höchstleistung und Geschwindigkeit dominant sind.

Übertrieben findet Mircea Noaghiu auch die Klagen mancher Leute, die die Felshaken an einem Berg als unästhetisch betrachten. Metall im Felsen sei fehl am Platz. „Sehen diese Nörgler nicht auch die massiven Abholzungen, die Steinbrüche oder die Umweltverschmutzung in den Bergen?“ regt er sich auf. Gleichgültig und gelassen scheint der Kronstädter Bergsteiger-Veteran nicht geworden zu sein.