Orthodoxie und rumänische Spiritualität

Religionswissenschaftler untersucht Identitätsdiskurs im Rumänien der Zwischenkriegszeit

Nicolai Staab: „Rumänische Kultur, Orthodoxie und der Westen. Der Diskurs um die nationale Identität in Rumänien aus der Zwischenkriegszeit“, Frankfurt am Main, Peter Lang Verlag 2011, 380 S., ISBN 978-3-631-60357-4, 62,80 Euro (=Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des orthodoxen Christentums, Bd. 5)

Eine der spannendsten Epochen der rumänischen Politik, Kultur und Geschichte ist die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts. Nach der Vereinigung des „Altreichs“ mit Siebenbürgen und dem Banat stand der neue Staat vor der Herausforderung, seine Identität zu bestimmen. Politisch durch das Königshaus der Hohenzollern-Sigmaringen und die bestimmenden Parteien nach Westeuropa ausgerichtet, galt es, die politische Orientierung mit der die Nation prägenden orthodoxen Mehrheitskonfession und Kulturprägung zu vermitteln. Bedeutende Theologen, Philosophen und Intellektuelle von Dumitru Stăniloae über Lucian Blaga bis hin zu Mircea Eliade waren wesentliche Beteiligte dieses Identitätsdiskurses über die Spiritualität der Rumänen. 

Es ist eine spannende Frage: Wie stark bestimmt die orthodoxe Spiritualität die Mentalität und Identität des rumänischen Volkes? Die Verbindung von Religionszugehörigkeit und ethnischer oder nationaler Identität wird in der historischen und sozialwissenschaftlichen Ost- und Südosteuropaforschung seit geraumer Zeit thematisiert. Der vorliegende Band von Nicolai Staab geht die Fragestellung von religionswissenschaftlicher Perspektive aus an. Ziel der Arbeit ist es, „die Rolle von Religion, und im Speziellen der Orthodoxie, als inhaltliches Element im nationalen Identitätsdiskurs des zwischenkriegszeitlichen Rumäniens zu untersuchen. Dabei ist insbesondere zu prüfen, inwiefern Religion zu einer Sakralisierung der nationalen Selbstbilder durch die behandelten Intellektuellen herangezogen wurde“ (S. 28).

Die Fragestellung wird vor allem an den Theologen Dumitru Stăniloae und Nichifor Crainic, den Philosophen Nae Ionescu und Lucian Blaga und dem Religionswissenschaftler und -philosophen Mircea Eliade behandelt. Damit kommen die relevantesten Intellektuellen der rumänischen Zwischenkriegszeit zu Wort, die sich zu diesen Fragen geäußert haben. Die Studie belegt, in welch hohem Maße diese Intellektuellen die Orthodoxie als identitätsstiftend und -prägend für das eigene Volk verstanden haben. Ein guter Rumäne sei eben orthodox, wobei auch die griechisch-katholischen Rumänen bei manchen in ihrer byzantinischen Prägung als „gute Rumänen“ akzeptiert werden. Die Orthodoxie kommt dabei als doppeltes Identitätsmerkmal in den Blick, das die Rumänen in der Sicht dieser Intellektuellen konfessionell und dann auch ethnisch von anderen unterscheidet. 

In der Sprache und Terminologie zeigt der Autor manche Schwächen, die zwar auffallen, aber nicht wirklich stören. Wenn etwa Stăniloae oder Crainic von „spiritualitatea poporului român“ sprechen – Stăniloae sogar in einem eigenen Buchtitel (1992) –, dann kann man dies getrost im Deutschen mit „Spiritualität“ übersetzen und braucht nicht auf die vage deutsche Formulierung der „Geistigkeit“ ausweichen. Und die Sachsen sind eben als „Siebenbürger Sachsen“ bekannt, nicht als „Siebenbürgische Sachsen“. 

Die Begriffe „Orthodoxismus“ und „orthodoxistisch“ für „ortodoxism“ (als Tendenzsteigerung von „ortodoxie“/Orthodoxie) bzw. „ortodoxist“ (in Steigerung von „ortodox“) sind Wortschöpfungen des Autors, die auch auf den ersten Blick sprachlich nicht gefallen. Orthodoxe Theologie sieht die eigene Konfession normalerweise nicht in Verbindung mit einem „-ismus“ wie Katholizismus oder Protestantismus. Aber es bleibt kaum eine andere Wahl der Übersetzung. Wenn orthodoxe Autoren selbst zur Abgrenzung von anderen innerrumänischen Identitätsmustern oder ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit der anderen Volksgruppen im Staat auf solche Formulierungen zurückgreifen, dann ist es auch legitim, dies so zu übersetzen, selbst wenn dies im Deutschen unschön klingt.

Wer sich strikt für Thema und Ergebnisse interessiert, mag die ersten Kapitel des Bandes bis S. 73 überblättern. Die hier gebotene (etwas lang geratene) Darstellung der Methodik und Absicht dieses Bandes wird vor allem Wissenschaftstheoretiker interessieren. Ab Kapitel 3 folgt die hervorragende Darstellung und Analyse zum Thema. In der Hinführung lässt sich der Autor zu sehr von durchaus wichtiger, aber einseitiger Sekundärliteratur wie Lucian Boia und Olivier Gillet leiten. Letzterer kommt als Mitarbeiter eines religionskritischen Instituts in seinem Werk „Religion et nationalisme: l’ideologie de l’Église roumaine sous le regime communiste“ (1997) zu gerne zitierten, aber sehr vorhersehbaren Ergebnissen, die im Einzelfall hinterfragbar sind.

Die gesamte Analyse wie verschiedene Einzelbeobachtungen sind weiterführend und innovativ. Grundlegend ist Staabs These: „Jenseits der konfessionellen Grabenkämpfe wurde der christliche Glaube im Allgemeinen als wesentlicher Bestandteil der Nation angesehen und wurde bald in die Thesen zur Abstammung der Rumänen integriert.“ (S. 107) So nimmt es nicht wunder, wenn Religion und Konfession in den Identitätsdiskurs der Zwischenkriegszeit involviert wurden, wie Staab detailgenau herausarbeitet. Dass diese Haltungen auch zu vehementer Kritik und Ablehnung des universalistischen Katholizismus und des rationalistischen Protestantismus führte, wird deutlich.

Feste Überzeugung vieler ist dabei die Meinung, dass das rumänische Volk nicht christianisiert worden sei, sondern „christlich geboren“ worden sei. Nach Crainic ist die orthodoxe Spiritualität den Rumänen „angeboren“ und wie „Blut, Sprache und Lebensraum Teil ihrer Identität“ (vgl. S. 117 ff). Gleichzeitig gelte die „Kontinuität aus Latinität und Orthodoxie“. Ähnlich äußern sich Stăniloae, Nae Ionescu und die anderen Vertreter der damaligen Eliten. Religion wird hier als „Bestandteil einer nationalen Kultur“ verstanden (S. 155), die sich in orthodoxem Gepräge als Bemühen um das Schaffen autochthoner Werte versteht. Auch die Mioriţa-Ballade spielt eine große Rolle bei dieser Identitätsbildung.

Der Band bietet eine exzellente Analyse, bei der auch Gegenentwürfe wie der von Emil Cioran (1911-1995) referiert werden, der den Nationsbegriff wie die Orthodoxie kritisch sieht. Der klar abgegrenzte Untersuchungszeitraum erklärt, warum späte, aber wichtige Werke wie etwa Stăniloaes „Uniatismul din Transilvania, încercare de dezmembrare a poporului român“ (Bukarest 1973) oder „Reflexii despre spiritualitatea poporului român“ (Craiova 1992) nicht berücksichtigt werden. Der Band bietet jedem an rumänischer Kulturgeschichte und Mentalität interessierten Leser eine ausgezeichnete Darstellung.