Plüschosphäre

Aus welchem Paralleluniversum ist diese Sphäre angerollt?

Der mysteriöse Knilch ist ein Bilch – genaugenommen eine Haselmaus.
Fotos: George Dumitriu

Es gibt Momente im Leben, die das Herz so sehr erwärmen, dass man sie mit aller Welt teilen muss! Ein solcher ereignete sich an einem nebligen Samstagmorgen, als mir beim Verteilen eines Erdhaufens im hinteren Ende des Gartens plötzlich ein Bällchen vor die Füße rollte. Perfekt rund und so groß wie ein Tennisball, flauschig weich und so beige-grau wie das Schilf am Ufer des Seeausläufers. Keine Ahnung, woher es gekommen war. Vom Himmel gefallen? Aus einem Erdloch gerollt? Vom Baum gepurzelt? Als ich es hochhob, kam es mir ungewöhnlich warm vor – und eher schwer für ein Gebilde, das nur aus den hauchzarten weichen Wedeln von Schilf zu bestehen schien. Behutsam trug ich es ins Haus, damit mein alles knipsender Göttergatte für die Ewigkeit festhalte, was sich da so geheimnisvoll eingekapselt haben mag.

Später, wieder im Garten: Vorsichtig, sehr vorsichtig, um den Inhalt nicht zu (zer)stören, zupfte ich Faser um Faser auseinander, während George seine Telefonkamera in Schussbereitschaft brachte. Durch das winzige Loch sah man endlich – Fell. „Du, da ist eine Maus drin“, flüsterte ich meinem Mann zu. „Dann rufen wir die Katze“, konterte er lakonisch, und schon flötete er zuckersüß in den jungen Frühlingsmorgen: „Soraaaaya!“ So ruft man mich nur, wenn ein Leckerbissen ansteht, schloss diese messerscharf und kam postwendend angewanzt: „Mau? Mau?“
Im Gras lag das Bällchen mit dem halb enthüllten Mäusehintern. Warum rührte sich das Tierchen nicht? Lebte es überhaupt noch? Sorayas Interesse hielt sich in Grenzen. Was sich nicht bewegt, finden Katzen blöd. Mit dem Finger stupste es George an, sodass das Schilf zu zittern begann. Die Katze schnupperte kurz, hielt inne, schnupperte nochmal – und dann passierte etwas Unglaubliches: Sie schleckte dem Tierchen liebevoll und ausgiebig über den Rücken, als ob es ein Katzenbaby wäre! Anschließend rollte sie sich vor meine Füße und wollte gestreichelt werden. Doch inzwischen tat sich endlich etwas in der mysteriösen Plüschosphäre. Das Fellchen hatte sich einmal um die eigene Achse gedreht, zwei schwarze Knopfäuglein lugten aus der Öffnung und heraus sprang... Ja, was wohl? Da muss ich im Bio-Unterricht gefehlt haben. „Du, das ist keine Maus!“ rief ich meinem Mann zu, packte die Mieze am Schlafittchen, die beleidigt maunzte, und trug sie rasch davon.

Dann studierten wir das seltsame Wesen, das noch relativ schlaftrunken auf der Wiese saß. Alle Niedlichkeit der Welt schien sich in ihm zu vereinen. Possierlich und allerliebst weckte es schlagartig Beschützerinstinkte. Das rötliche Fell, die dicken Backen, der weiße Bauch, die hauchzarten Öhrchen erinnerten an einen Hamster – doch der plüschige Schwanz? Ein Mauswiesel vielleicht? Nein. Oder eine Art Hörnchen? Egal, erst mal musste es zurück in den Schutz seiner natürlichen Umgebung, und zwar mitsamt dem Nest.
Stunden später. Per E-Mail erfuhren wir von einem naturkundigen Freund, der mit Fotos bombardiert worden war, was es mit dem plüschigen Knilch auf sich hatte. Es ist ein Bilch! Eine Haselmaus genaugenommen, mit dem Siebenschläfer verwandt, und in Deutschland heuer „Tier des Jahres“! Sieben Monate verpennt dieser Schnarchsack in seinem kugeligen Kuschelnest, am Baum hängend oder in Erdhöhlen, und auch sonst bekommt man ihn, weil nachtaktiv, eher selten zu Gesicht. Im Dunkeln turnt die Haselmaus in Sträuchern herum, labt sich an Früchten, Knospen, Nüssen und Insekten und zeigt uns an, dass die Natur dort noch in Ordnung ist. Oder war, bis sich so komische Eindringlinge – einer mit Gummistiefel und Schaufel, der andere mit Knipskasten – unverhofft in seinem Reich zu schaffen machten. Tja, wir hatten gedacht, das sei unser Garten. So kann man sich irren. Dem „Tier des Jahres“ wollen wir seinen Lebensraum natürlich nicht streitig machen.