Realpolitik zugunsten der Gemeinschaft

ADZ-Interview mit Ovidiu Ganţ, dem Kandidaten des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien für die Abgeordnetenkammer

In der Sitzung im September hatte der Vorstand des Deutschen Forums seinen bisherigen Repräsentanten in der Abgeordnetenkammer, Ovidiu Ganţ, als Kandidaten für die Wahlen vom 9. Dezember nominiert. Die Nominierung wurde in der Vertreterversammlung Anfang November validiert. Für Ovidiu Ganţ und das Wahlzeichen des Deutschen Forums – das Herz – kann in allen Wahlkreisen in Rumänien am Wahlzettel für die Abgeordnetenkammer gestimmt werden. Ovidiu Ganţ ist seit 2002 der Vertreter der deutschen Minderheit im Parlament und war vorher ein Jahr lang Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen. Mit Ganţ führte ADZ-Redakteurin Hannelore Baier das folgende Interview.
 
Sie waren 2001 ein Quereinsteiger in die Politik und haben sich in den vergangenen Jahren zum allseits geschätzten und anerkannten Politiker gemausert. Haben Sie noch nicht genug von der Politik im rumänischen Parlament?

Der Quereinstieg stimmt, nicht aber das Datum: Ich wurde 2000 aufgefordert, für das Parlament zu kandidieren, habe die Wahl damals jedoch verloren. Als ich ein Jahr später dann Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen wurde, ahnte ich nicht, wie sich meine Laufbahn entwickeln wird. Ich glaube aber im Rückblick, dass meine Tätigkeit als Unterstaatssekretär sowie Abgeordneter eine gute war. Deswegen: Solang ich gesund und effizient bin, habe ich keinen Grund an einen Ausstieg zu denken.

Es hat Höhen und Tiefen während der beiden Mandate Ihrer parlamentarischen Tätigkeit gegeben. Was würden Sie als Höhe oder besonderen Erfolg einschätzen und was als Tiefe bezeichnen?

Spontan würde ich sagen, dass die Tätigkeit als Europa-Abgeordneter ein Höhepunkt war bzw. die Möglichkeit, im Europäischen Parlament und nicht nur dort, die Europäische Kulturhauptstadt 2007 zu repräsentieren. Ein weiterer Höhepunkt war, dass ich im rumänischen Parlament vor versammelter Mehrheit deren Vereinbarung vorlesen durfte, die den DFDR-Vorsitzenden Klaus Johannis als Kandidaten für das Amt des Premierministers vorschlug.

Tiefen? Es gibt manchmal Enttäuschungen, wenn man feststellt, dass die Tätigkeit nicht gewürdigt, missverstanden oder bar jeder Objektivität kritisiert wird. Attacken aus den eigenen Reihen schmerzen besonders. Was mir sehr leid tut – jedoch nicht mit der parlamentarischen Tätigkeit zu tun hat – ist, dass wir Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich ihres Rumänienbesuches nicht auch in Hermannstadt/Sibiu empfangen konnten. Oder dass es nicht gelungen ist, den Kreisratsvorsitzenden auch nach den Kommunalwahlen von Juni dieses Jahres erneut zu stellen. Enttäuschend ist für mich die Passivität vieler Personen, auch aus den Reihen des Forums, die aber ständig meckern.

Keine Begeisterung löst bei mir die Haltung mancher rumänischer Politiker aus, die immer wieder nationalistische Töne anschlagen, besonders in Hermannstadt, so nach dem Motto: Eine Handvoll Sachsen will die Stadt retten. Diese Leute begreifen einfach nicht, was für eine herausragende Rolle eben diese Handvoll Sachsen für die Stadt und den Kreis gespielt haben und spielen. Umso motivierender ist es für mich als Schwaben, mit diesen Sachsen eine erfolgreiche Mannschaft zu bilden.

Gehört es nicht zu den positiven Erfahrungen auch, dass es gelungen ist, Lobbying  für Hermannstadt zu machen und Finanzierungen loszueisen?

Ich hab vorhin das Non plus Ultra erwähnt. Darüber hinaus hat es noch viel Positives gegeben. Aber mich für Hermannstadt, Temeswar oder Sathmar einzusetzen, finde ich  selbstverständlich. Vielleicht kann man auch das Projekt 18 Kirchenburgen oder jenes in Maria Radna dazurechnen, bei denen es gelungen ist, für Sanierungsarbeiten EU-Mittel zu erhalten. Für das Gebäude des Pädagogischen Lyzeums, das Bischofspalais, den Kindergarten auf der Poplaker Straße, die kleine Lenauschule und nun die große Lenauschule konnte ich Finanzierungen aus dem rumänischen Staatshaushalt loseisen. Wichtig ist desgleichen die ständige Steigerung der Gesamtfinanzierung für das Deutsche Forum insgesamt aus dem Budget Rumäniens, aber dergleichen gehören quasi zum täglichen Geschäft.

Ihnen wird von zahlreichen Personen vorgeworfen, Sie hätten im vorigen Jahr für die Rentenkürzung gestimmt.

Ich habe nicht für die Rentenkürzung gestimmt, das muss ich ausdrücklich sagen. Die Renten wurden nicht als solche gekürzt, sondern das rumänische Parlament hat eine zusätzliche Besteuerung der Renten genehmigt, indem ab einer gewissen Summe eine Gesundheitssteuer abgeführt wird – was inzwischen aber rückgängig gemacht wurde. Es geht also eher um die Kürzung der Gehälter im öffentlichen Dienst, aber auch diese Kürzung wurde durch die Vertrauensfrage bewirkt und nicht durch Abstimmung. Wir – d. h. der Vorstand des Forums – war damals der Meinung, nicht für den Misstrauensantrag zu stimmen. Die Stimme hätte auch nichts gebracht, weil die Regierung mit dem Antrag sowieso durchgekommen wäre. Umgekehrt aber: Indem wir die Vereinbarungen mit der damaligen Regierungskoalition unter Premier Boc bis zum Schluss eingehalten haben, wurde unsere Ernsthaftigkeit bewiesen, sodass nun alle Parteien mit uns koalieren wollen. Auf der Seite der Regierung zu sein bedeutet, Anliegen für unsere Gemeinschaft positiv erledigen zu können. Ich glaube, es ist richtig, eine Realpolitik zu führen, nämlich, aus dem, was man nicht verhindern kann, das maximal Mögliche herauszuholen.

Die letzte Legislaturperiode und besonders deren beide letzten Jahre waren sehr spannungsgeladen. Wie kommt man als Abgeordneter einer kleinen Minderheit mit dem politischen Pingpongspiel zurecht?

Ich war nicht bloß Abgeordneter der deutschen Minderheit, sondern auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender und als solcher bei vielen wichtigen Entscheidungen dabei. Ich glaube, unsere Haltung – in Bukarest und auch sonst ist bekannt, dass ich die deutsche Gemeinschaft zwar repräsentiere, im Rücken aber den Landesvorsitzenden Johannis und den Landesvorstand habe – hat dazu geführt, dass im Moment alle großen Parteien im Parlament Respekt vor der deutschen Minderheit und ihren Abgeordneten haben, weil wir uns immer korrekt verhalten haben. Das war nicht immer einfach. Dadurch aber, dass ich mich in schwierigen Fragen mit dem Landesvorsitzenden konsultieren konnte, wurden die richtigen Entscheidungen getroffen, sodass wir im Moment gegenüber allen politischen Partnern gut positioniert sind.

Sie sind der gewissenhafteste Abgeordnete, d. h. Sie waren bei allen Abstimmungen im Parlament dabei, laut der Statistik des Instituts für Öffentliche Politik (IPP). Warum schwänzen Sie nicht auch, wie das zahlreiche Ihrer Kollegen tun?

Erstens: Ins Parlament zu gehen ist mein Job, den mache ich, wie jeden anderen, seriös. Zweitens: Wenn du nicht mit abstimmst, warum bist Du dann im Parlament? Drittens glaube ich, dass es als Vertreter der deutschen Minderheit eine Selbstverständlichkeit ist, bei allen Abstimmungen zu erscheinen. Aber nicht nur dann, sondern auch im Plenum, in den Ausschusssitzungen. Deswegen wurde ich doch von den Wählern ins Parlament geschickt!

Sie haben eine Tournee durch das ganze Land unternommen, um sich mit Forumsmitgliedern zu treffen. Wie steht es um das Deutsche Forum? Was wurde bei diesen Treffen angesprochen?

Ich glaube, man kann die Lage als gut einstufen insofern, als die Sitze vorhanden sind, die Leute also haben, wo sich zu treffen. Die Gespräche waren gut besucht, weil auch generelle Probleme angesprochen wurden. Es ist in der Tat ermüdend gewesen, das ganze Land zu bereisen, aber bedingt durch die parlamentarische Tätigkeit komme ich sonst ja nicht überall hin. Ein harter Kern ist in allen Foren vorhanden. Das sind diejenigen, die sich als Deutsche und Mitglieder dieser Gemeinschaften fühlen und etwas für sie tun wollen. Diejenigen, die ein Visum brauchten oder Pakete erwartet haben, haben wir auf dem Weg verloren. Ansonsten glaube ich, ist auch in Ortschaften mit wenig Forumsmitgliedern das Image des Forums positiv.

Was für Fragen wurden bei diesen Treffen an Sie herangetragen?

Es geht immer wieder um die Bemühen zum Erhalt der Identität, der Sprache, der Kultur, aber auch Fragen zur Bildung oder betreffend Gehälter und Renten. Die Leute wollen wissen, wie wir uns nach den Wahlen politisch positionieren werden – und darauf kann ich im Moment nicht antworten. Was ich kann, ist mitzuteilen, dass wir zu allen Parteien auf Äquidistanz stehen und dementsprechend handeln werden. Gefragt wird aber auch, wie EU-Gelder erhalten werden können für manche Projekte. Natürlich kommen Leute auch mit privaten Anliegen, wie Rückerstattungsfragen, Problemen mit der Lokalverwaltung und gar der Justiz, in letztgenanntem Bereich aber kann ich nicht helfen.

Ein Problem, das immer wieder in den Forumskreisen aufkommt, ist das Gesetz 221/2010.

Das Gesetz gibt es konkret zurzeit nicht. Man sollte die Situation sehr genau analysieren, bevor man entscheidet Geld auszugeben, um vor Gericht eine Entschädigung einzuklagen. Das Gesetz ist in einigen Teilen als verfassungswidrig erklärt worden, das Parlament hätte die Aufgabe gehabt, diese binnen 45 Tagen zu erneuern, hat das aber nicht getan, weil der politische Wille nicht vorhanden war, aus dem schlichten Grund: Es fehlt das Geld, um die Entschädigungen zu zahlen. Trotzdem habe ich zwei Änderungsanträge eingereicht, sodass auch die ehemaligen Russlanddeportierten unter Inzidenz des Gesetzes fallen, falls es auf die Tagesordnung kommen wird. Im Moment jedoch ist Stillstand und ich bin skeptisch, dass sich das in der nächsten Zeit ändert.

Sie haben durch Ihre Kontakte zur Regierung vermittelt, dass sich deutsche Firmen in mehreren Landesteilen niederlassen ...

Das Schaffen von Arbeitsplätzen sollte zu den Hauptanliegen der rumänischen Politik gehören, zumal es um den Haushalt nicht besonders rosig steht. Es sind deutsche Firmen an mich mit der Bitte herangetreten, Treffen mit hohen Vertretern der rumänischen Regierung zu vereinbaren, um über mögliche Investitionen zu sprechen. Meine Aufgabe ist, diese Gespräch zu vermitteln, aber damit ist dann auch Schluss, d. h. es ist nicht meine Aufgabe, auch exekutive Probleme zu lösen. Die rumänische Regierung ist danach gefragt, ein positives Ergebnis zu erreichen, sodass die Investitionen zustande kommen.

Haben Sie konkrete Vorhaben für die nächste Legislatur?

Die Agenda schreiben uns die großen Parteien vor und die Regierung. Sollte es aber ein Gespräch betreffend Erneuerung der Verfassung geben, möchte ich unbedingt dabei sein. Meine Meinung zur Staatsform ist klar: parlamentarische Republik mit einem Zwei-Kammern-Parlament, wobei der Senat mehr und mehr die Vertretung der Regionen übernehmen sollte und die Überschneidungen mit der Abgeordnetenkammer beseitigt werden. Anstrebenswert ist auch eine Verwaltungsreform in dem Sinne, dass die Regionen nicht nur am Papier existieren, sondern auch Kompetenzen und Ressourcen erhalten. Wenn Rumänien weiterhin so zentral verwaltet wird wie bisher, sehe ich geringe Chancen weiterzukommen zum Beispiel in der Frage des Abrufens von EU-Geldern. Was die deutsche Minderheit und ihre Problematik betrifft, hoffe ich auf weitere Projekte für EU-Finanzierungen. Ich glaube, es bleibt wichtig, weiterhin zu kämpfen, um endlich Lehrbücher in deutscher Sprache zu haben. Selbstverständlich werde ich mich weiterhin einsetzen, um die Finanzierung für unsere Projekte zu sichern, und aktiv bleiben in den bilateralen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Deutschland. Ich bin der Überzeugung, dass Deutschland für Rumänien in allen Hinsichten der wichtigste Partner bleiben wird.