Rechtsstaat oder nicht?

Rumänien vor dem Referendum zur Justizreform

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Am kommenden Sonntag wird gewählt – europaweit. Dabei geht es in erster Linie um die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments – und um die Frage, wie stark ein möglicher Rechtsruck ausfallen könnte. In Rumänien müssen die Bürgerinnen und Bürger gleich drei Stimmzettel ausfüllen. Neben der Wahl zum Europaparlament steht eine von Staatspräsident Klaus Johannis initiierte Volksabstimmung an, bei der es in zwei separat gestellten Fragen um eine höchst umstrittene Justizreform geht. Die von den rumänischen Sozialdemokraten dominierte Regierung will nämlich bestimmte Korruptionsdelikte im Nachhinein legalisieren – was der Staatspräsident wiederum mit seinem Referendum verhindern möchte; die Fronten zwischen Präsident und Regierung sind verhärtet.


Der Staatspräsident zu Besuch in der Revolutionsstadt: Klaus Werner Johannis besucht die Altstadt von Temeswar. Obwohl der offizielle Anlass des Präsidentenbesuchs ein Universitätsjubiläum und eine Buchvorstellung ist, erinnert der Besuch von Johannis streckenweise eher an eine Art...Wahlkampf:
Ein junger Mann, Mitte 20, will wissen, wie der Präsident die Chancen des Referendums einschätzt. „Hängt von Euch ab, ob Ihr zur Wahl geht“, entgegnet der Präsident knapp. Dabei geht es nach Ansicht vieler bei dieser Volksabstimmung um eine Schicksalsfrage: Bleibt Rumänien ein Rechtsstaat nach europäischen Maßstäben oder nicht?


„Das Parlament hat in den letzten zweieinhalb Jahren eine sogenannte Justizreform durchgeführt, die von allen Seiten kritisiert wurde. Auch ich selbst habe stets dagegen gestimmt, weil ich sie grundsätzlich falsch finde“, so Ovidiu Victor Ganț, Parlamentsabgeordneter der deutschen Minderheit. Die Koalitionsregierung aus der PSD und ALDE haben die Justizreform dank überwältigender Mehrheiten durchgeboxt. „Zum Beispiel hat man alles getan, um vorbestraften Politikern zu helfen, indem Verjährungsfristen verkürzt wurden bei verschiedenen Straftaten“, so Ganț, „...Maßnahmen, die von der Europäischen Kommission kritisiert werden, von der Venedig-Kommission, vom Europarat.“


In Reschitza führt Ana Maria Ro{noveanu, Anfang 30, ihre Besucher in die erste Etage eines grauen Plattenbaus in der Innenstadt. Sie zeigt auf ein großes Bild, das den riesigen Parlamentspalast in Bukarest zeigt, darunter die Aufschrift: „Fără penali în funcții publice!“ Sie gehört der USR an, die das Referendum unterstützt. Andrei Plujar, Ende 20, ist Vorsitzender des USR-Kreisverbandes Karasch-Severin im Westen Rumäniens: „Das ist unser Hauptproblem in Rumänien: Die Korruption! Das einzige Interesse der Regierungspolitiker, die diese Justizreform vorantreiben, besteht darin, sich selbst vor dem Knast zu bewahren!“


Dabei haben die jungen USR-Politiker vor allem einen im Visier: Liviu Dragnea, Präsident der Regierungspartei PSD. Der spricht gebetsmühlenartig von einer erfolgreichen Regierungsarbeit: Das Durchschnittsgehalt sei zum ersten Mal in der Geschichte auf über 2000 Lei gestiegen; also etwas über 425 Euro. Die Kritik an der umstrittenen Justizreform weist er zurück, obwohl er einer der ersten Profiteure wäre: Denn Dragnea wurde bereits wegen Wahlbetruges im April 2016 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt; im vergangenen Jahr kam eine Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs zu dreieinhalb Jahren Haft hinzu; dieses Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Wegen seiner Vorstrafen dürfte Dragnea kein offizielles Regierungsamt bekleiden, gilt aber als Strippenzieher der rumänischen Regierungsarbeit.


Doch gerade auf dem Land genießt Dragnea hohes Ansehen. 18.000 Schafe, 2000 Einwohner: Das Dorf Fârliug im Kreis Karasch-Severin ist ländlich geprägt. Ioan Borduz (PSD) ist dort seit 15 Jahren Bürgermeister und gilt als jemand, der was tut für seine Bürger. Die Kritik an der PSD weist er zurück. „Wir wollen keineswegs den Rechtsstaat abschaffen. Aber ich habe ein Problem mit den Institutionen der Korruptionsbekämpfung: Die sind längst zu einem politischen Instrument geworden, häufig gegen uns. Und das geht nicht. Wir Sozialdemokraten sind einverstanden mit dem Rechtsstaatsgedanken. Aber die Justiz muss Justiz bleiben und darf von niemandem geführt werden.“ Er hält – wie Dragnea – vor allem Staatspräsident Klaus Johannis für unglaubwürdig: „Ich habe anfangs geglaubt, Johannis sei ein Präsident aller Rumäninnen und Rumänen. Und jetzt benimmt der sich wie ein Parteivorsitzender, nicht wie ein Staatspräsident. Aus diesem Grund werde ich das Referendum ignorieren. Wie die Mehrheit meiner hiesigen Mitbürger auch.“ Ein Referendum übrigens, dass keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, das aber je nach Ausgangslage den politischen Druck erhöhen könnte, die umstrittene Justizreform in letzter Minute doch noch zurückzunehmen.