Reformation gestern, heute und morgen

Debatte zum 500-jährigen Jubiläum in Bukarest

Dr. Daniel Zikeli, Bischofsvikar der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und Mitglied des Rumänisch-Deutschen Forums für bilaterale Zusammenarbeit; Dr. Johann Schneider, Regionalbischof in Halle-Wittenberg; Radu Preda, Theologe und Direktor des Instituts zur Erforschung der kommunistischen Verbrechen/IICCMER (v.l.)

Professor Gabriel Horaţiu Decuble, Leiter des Germanistiklehrstuhls an der Universität Bukarest, und Thomas Şindilariu, Vertreter des Deutschen Kulturforums östliches Europa (v.l.)
Fotos: Aida Ivan

Zum 500-jährigen Jubiläum von Luthers Reformation haben das Rumänisch-Deutsche Forum für bilaterale Zusammenarbeit und das Deutsche Kulturforum östliches Europa unlängst eine Debatte in der Bukarester Nationalbibliothek organisiert. An der Veranstaltung haben sich Dr. Johann Schneider, Regionalbischof in Halle-Wittenberg, Gabriel Horaţiu Decuble, Leiter des Germanistiklehrstuhls an der Universität Bukarest, Dr. Daniel Zikeli, Bischofsvikar der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und Mitglied des Rumänisch-Deutschen Forums für Bilaterale Zusammenarbeit, sowie Thomas Şindilariu, Vertreter des Deutschen Kulturforums östliches Europa, beteiligt. Das Gespräch hat Radu Preda, Theologe und Direktor des Instituts zur Erforschung der kommunistischen Verbrechen (IICCMER) moderiert.

Gesprochen wurde nicht nur über Luthers Reformation, sondern auch über deren Wirkung auf Kultur und Sprache. Nicht vergessen wurden aktuelle Aspekte, wie der Umgang mit dem Islam in Europa und der Nutzen der Reformation für Menschen heutzutage, die sich in manchen Regionen von Religion und Gott abgewendet haben. Zu guter Letzt wurde die Frage gestellt, wie sieht die Zukunft aus? Die Teilnehmer am Gespräch waren sich einig, dass es zwar Echos in den rumänischen Medien zu dem 500-jährigen Jubiläum gab, doch haben diese anscheinend keine hohe Sichtbarkeit erreicht.

Der Moderator richtete am Anfang die Aufmerksamkeit des Publikums auf die zwei Ausstellungen, die im selben Raum gezeigt wurden. Vorgestellt wurden diese von Thomas Şindilariu: Die erste präsentierte die Auswirkungen der Reformation auf ganz Mittel- und Osteuropa, die zweite kreiste um die religiöse Reformation in Siebenbürgen. Wiederkehrende Themen waren das kulturelle Erbe der Reformation und das 100-jährige Jubiläum nächstes Jahr, das die große Vereinigung von Bessarabien, dem Buchenland, Siebenbürgen mit dem Altreich markiert – ein weiterer Anlass, die Bedeutung einer vielfältigen Gesellschaft, die durch Minderheiten bereichert wird, hervorzuheben.

Radu Preda unterstrich die Bedeutung der Reformation nicht nur aus religiöser Perspektive, sondern auch aus Sicht des gesellschaftlichen Fortschritts. Um das Thema zu vertiefen und zu verstehen, was für Spuren und Lebensmuster die Reformation hinterlassen hat, unterstrich Radu Preda den Kontakt zwischen den Gelehrten der Reformation und der orthodoxen Kirche. Er erwähnte einen Versuch vor Jahrhunderten, eine gemeinsame Front gegen die islamische Expansion zu bilden.

Bischof Johann Schneider erinnerte an die Ablässe, durch die die katholische Kirche über mehrere Hunderte von Jahren hinweg gefördert wurde. Luther habe nicht geahnt, was er auslösen würde, so Bischof Schneider. „Indem man die Proportionen wahrt, muss man zwischen Luther als Theologen und der Reformation an sich unterscheiden, die in einer völlig unerwarteten Weise ein bedeutendes politisches Ausmaß erwarb. Das war Luthers Absicht nicht“, sagte Radu Preda, der anschließend die Wichtigkeit von kultureller Vermittlung betonte, um zu verstehen, was geschehen ist. Wesentlich sei die kulturelle Vermittlung auch in Bezug auf den Kontext in Siebenbürgen. An dieser Stelle erwähnte Preda die kulturellen Schichten, die im Laufe von Jahrhunderten in Siebenbürgen einen Nährboden gebildet haben und dieses Gebiet zu einer andersartigen Gegend gemacht haben: „Wo konnte man mehr Toleranz als in Siebenbürgen finden?“, fragte der Theologe.

Horaţiu Gabriel Decuble erklärte, dass Luthers Bibelübersetzung zwar nicht die erste, aber die beste war. Luther „hat einen Vorteil im Gegensatz zu den anderen, die die Bibel ins Deutsche übersetzt haben: Er schreibt auf Ostmitteldeutsch. Er macht also eine Synthese aus zwei Varianten der deutschen Sprache, denn die aus dem Norden konnte man im Süden nicht verstehen und umgekehrt. Diese Variante der deutschen Sprache konnten alle im ganzen Land verstehen“, präzisierte Decuble und fügte hinzu, dass das der Kern und die Grundlage der modernen deutschen Sprache war. Veranschaulicht hat er Luthers Erfindung von neuen Wörtern oder die neue Sinngebung bei älteren Lexemen anhand von Beispielen.

Bischofsvikar Daniel Zikeli verglich die Reformation mit einem Ozean – so groß und komplex sei sie auch und man müsse zahlreiche Elemente aus kultureller, politischer, wirtschaftlicher, religiöser Perspektive in Betracht ziehen, um ein vollständiges Bild von dem herzustellen, was im 16. Jahrhundert passiert ist. „Der Ausgangspunkt von Martin Luther war ein theologischer Aspekt. Er hat sich eine existenzielle Frage gestellt: ‚Was ist meine Verbindung zur Göttlichkeit?‘“

In Bezug auf die Gegenwart erklärte Bischof Johann Schneider, dass Wittenberg, Halle und Eisleben sich in einer postkommunistischen Gegend befinden, wo das kulturelle Gedächtnis verloren gegangen ist. „Ein großer Teil Ostdeutschlands hat keine Verbindung zu der Kultur vor den 30er Jahren. Dem deutschen Sozialismus ist es gelungen, einen endgültigen kulturellen Schnitt herbeizuführen“, und setzte später fort: „Heute auf europäischer Ebene ist die Frage, ob man eine gute Beziehung zu Gott hat, keine Frage. Manche würden sagen, ‘ich bin Gott nie begegnet und Gott spielt keine Rolle in unserem Leben‘. Der Name Gottes ist im sozialen und kulturellen Kontext in Ostdeutschland kontaminiert.“ Bischof Schneider fand, dass die wichtigste Frage in Deutschland jetzt die nach der kulturellen Identität ist. Was bedeutet kulturelle Identität? Gibt es sie ohne eine religiöse Verbundenheit? „Ein großer Teil der Menschen in meiner Region würde ja sagen“, sagte der Bischof.

Was kann die Reformation heutzutage anbieten und wie kann sie einen „postreligiösen“ Menschen bewegen, fragte Radu Preda in die Runde und bezog sich auf die sich ausbreitende Anwesenheit des Islams, die manchen Sorge bereitet: „Wenn wir, als christliche Theologen, dieses Thema nicht aufgreifen, und Tiefen und Grenzen zeigen, dann bleibt es in den Händen der Politiker, die es in populistische Parolen verwandeln, mit denen sie die Wahlen gewinnen“, so Preda. „Wie können wir, als Theologen, einen Beitrag zur Aufklärung dieser Ängste erbringen, die eher aus einer kulturellen Identität kommen? Und das, ohne die Situation zu versimpeln, ohne zu romantisieren oder zu poetisieren“. Johann Schneider erläuterte, dass die religiöse Freiheit die Grundlage der deutschen Gesellschaft, Kultur und des Gesetzes ist. Die meisten Menschen, die sich über die Anwesenheit des Islams beschweren, haben keinen Kontakt mit Muslimen. Sie bekommen Informationen aus den Medien und durch politische Instrumentalisierung. Der Bischof meinte, das Problem ist nicht religiöser Natur, sondern es hat mit Bildung und Kultur zu tun. Ob der Islam eine Gefahr für Deutschland sei? „Nein, wir selber sind die Gefahr, weil wir nicht in die Kirche gehen. Wenn wir uns als Christen treffen würden, dann hätten wir kein Problem mit anderen Religionen“.

Im Gespräch wurde auch auf die Zukunft eingegangen. „Sicher ist nur die Zukunft, die Vergangenheit ändert sich ständig. Das weiß ein Historiker am besten“, sagte Thomas Şindilariu. Er wies anschließend auf die Verbindung zwischen der Vielfalt der Moderne und dem kulturellen Erbe in Siebenbürgen hin: In Berlin arbeitet man jetzt an einem Projekt namens House of One. Es ist ein geplantes interreligiöses Gebäude, das unter seinem Dach eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee beherbergen soll. „Im 16. und 17. Jahrhundert war das in unseren Gebieten die Normalität fürs Zusammenleben, die konfessionelle Freiheit war ein Grundrecht in Siebenbürgen“, erläuterte der Historiker. „Die Lektion der Reformation wird für uns nächstes Jahr sichtbarer sein. Spricht man von Gebietseinheit, dann meint man keine Einebnung der Identität“, ergänzte Preda und erwähnte das Buchenland, Siebenbürgen, das Banat oder die Dobrudscha als Regionen mit verschiedenen Minderheiten. Radu Preda schlussfolgerte, dass durch die Auswanderung der Sachsen und Schwaben Rumänien ärmer wurde: „Wir müssen diese Art der Interaktion der Nachbarschaften wieder erlernen. Wir wissen nicht, was wir verlieren, wenn wir die Leute um uns nicht kennen“.