„Regentänze“ im Wassertal

Heimattreffen der Zipserdeutschen - diesmal ein Fest der bunten Schirme

Făina: Blick vom Hügel der Kapelle der heiligen Elisabeth

„Edelweiß senior“: zweiter Auftritt im Stadtzentrum

Die Zipser-Jugendtanzgruppe „Edelweiß“ auf der Bühne in Paltin

Sonntägliche Trachtenparade durch Oberwischau zieht alle Blicke an

Pfingstgottesdienst in der katholischen Kirche zur heiligen Anna
Fotos: George Dumitriu

Schnaubend taucht die Dampflok in das wolkenverhangene Tal: links und rechts eine Explosion an Grüntönen. Anmutig wiegen sich Farne im Schutz dicker Stämme, nicken einander mit zarten, eingerollten Köpfchen zu: Ja, die Sonne lässt dieses Jahr ganz schön auf sich warten! Regen prasselt auf das Waggondach und niemand hält heute wie sonst Kameras an ausgestreckten Armen aus den Fenstern, um in einer Kurve die Lok zu knipsen. Aus dem Nebenwaggon schallt es fröhlich: „Hallelu-Hallelu-Halleluja, lobet den Herrn!“ Singend schafft man sich Sonne im Herzen. Wir werden sie brauchen, denn der strömende Regen begleitet uns den ganzen Tag. Das Wassertal macht seinem Namen alle Ehre...
Samstag, 14. Mai - ein Pfingstsamstag für die katholische Kirchengemeinschaft der Zipserdeutschen in Oberwischau/Vişeu de Sus, Maramuresch. Traditionell wird zu diesem Anlass das Heimattreffen „Droben im Wassertal“ gefeiert, in diesem Jahr unter dem Motto: „Brücken in die Vergangenheit öffnen Wege in die Zukunft“.

Mit der Wassertalbahn - der letzten dampfbetriebenen Waldbahn Europas - geht es in die Berge. Ein Gegenzug voller Stämme, dazwischen hocken dick vermummte Arbeiter im Regen, erinnert daran, wie schwer der Alltag der Zipser hier früher gewesen sein muss. Zwischen 1775 und 1820 waren sie als Waldarbeiter aus Österreich, Bayern und Sachsen sowie aus der slowakischen Zips im heutigen Oberwischau angesiedelt worden, um die Holzbestände des 60 Kilometer langen Wassertals auszubeuten. Vor allem vor dem Bau der Wassertalbahn 1931 wurden die Stämme als Flöße zu Tal geschafft. Das jährliche Zipserfest, das auf das 19. Jahrhundert zurückgeht, war ursprünglich als Wettbewerb traditioneller Flößerkunst gedacht. Heute vereint es die in Oberwischau verbliebenen mit den ausgewanderten Zipsern, die die alte Heimat besuchen. Aber auch mit den Schaulustigen, die Gefallen am Tanz- und Trachtenspektakel finden, mit Oberwischauer Bürgern, Touristen und Liebhabern der Wassertalbahn.

Die Natur präsentiert sich jedesmal anders - diesmal von ihrer gewaltigen Seite: Nebelschwaden wabern mystisch über den Seitentälern und der Wind drückt den Dampf der Lok tief in den Wald hinein. Zu Beginn der Strecke säumen Häuser und Gärten die Gleise. Die Systematik der Beete beeindruckt: In der Mitte Zwiebeln, gesäumt von Salat. Vier Reihen Kartoffeln, im Wechsel mit einer Reihe Bohnen. Über den Fluss führen Übergänge aus einem einzigen Baumstamm oder abenteuerlich schwankende Hängebrücken. Kaffeebraun sprudelt die Wasser/Vaser zwischen Felsen, Sandbänken und Treibholz zu Tal. Jemand drückt mir einen Becher in die Hand. Kaffee? Nein, noch besser: ein Schnäpschen! Heiterkeit am Morgen hat noch niemandem geschadet, auch wenn es gleich zum Gottesdienst geht: „Hallelu-Hallelu-Halleluja, lobet den Herrn!“ tönt es fröhlich durch die offene Tür. Beim  Refrain erheben sich die Damen und die Herren setzen sich, bei den Textstrophen ist es umgekehrt. Dirndl und Trachtenhüte wogen abwechselnd auf und nieder.

Făina: Waldgottesdienst

An der oberen Bahnstation Făina halten die Züge. Vermummte Gestalten quellen ins Freie, entfalten bunte Regenschirme. Wie dicke Käfer krabbeln diese schwerfällig den Berg hinauf, wo das winzige, hundertjährige Holzkirchlein der heiligen Elisabeth gut sichtbar in die Landschaft blickt. Dort wartet unter meterhohen Fichten ein improvisierter Freiluftaltar - aus Brettern, mit Folie überdacht. Jemand scherzt: Der Herrgott wäscht unsere Sünden. Seit den ersten Waldarbeiten im 18. Jahrhundert gab es hier eine Unterkunft für Holzfäller, die wochenlang im Wald blieben, wie Stefan Süszer, den jeder „Stefi-Bacsi“ nennt, erzählt. Er kann sich noch gut erinnern: Mit 15 wurde er Flößer, weil er keine Lust mehr auf die Schule hatte. Um 1900 wurde für die Waldarbeiter die Kapelle errichtet, der heiligen Elisabeth von Thüringen, Schutzpatronin der Armen, geweiht.

Ihr Bildnis auf dem Altar - schmale Taille, lockiges Haar - macht einen seltsam weltlichen Eindruck. Es ist der österreichisch-ungarischen Kaiserin Sissi nachempfunden, die das Wassertal einmal besucht haben soll, verrät Clara Mihnea. Zu dem Ort hat sie - wie viele Zipser - eine ganz besondere Beziehung: „Schon meine Großmutter hat mich zur Kirchweih immer mit hinauf genommen, nach dem Gottesdienst picknickten wir hier im Grünen.“ Pfarrer István Kinczel beginnt mit der Predigt: Das Wetter soll uns vor Augen führen, wie schwer die Arbeit der Vorfahren manchmal gewesen sein muss. Clara fühlt sich an ihren Großvater erinnert: Dessen Kollege hatte ihr einmal erzählt, wie er bei einem Wolkenbruch vor lauter Wasser kaum noch Luft bekam und panisch in der Hütte Zuflucht suchte, wo sich Claras Großvater aufhielt. Doch als dieser den triefnassen Kameraden erblickte, meinte er nur lakonisch: „Hat es etwa zu tröpfeln begonnen?“

Paltin: feucht, aber fröhlich

Der Regen hält uns auch in Paltin - der unteren Bahnstation - die Treue. Hier findet der fröhliche Teil des Festes mit Musik, Tänzen und kleinen Aufführungen der Kinder aus der Schule „Liceul tehnologic Vişeu de Sus“ unter Anleitung ihrer Lehrerin Ildiko Dombos statt. Die geplante Floßfahrt - „Stefi-Bacsi“ hatte im Vorjahr noch selbst vorgeführt, wie es geht - fällt buchstäblich ins Wasser. Die Redner und Tänzer drängen sich auf einer überdachten Holzbühne zusammen, die Gäste unter Zelten, auf denen sich Wasserblasen bilden, die unter großem Gespritze abgelassen werden. Der Vorsitzende des Zipserforums, Leopold Langtaler, erhebt seine Stimme gegen das Prasseln. Beschirmte Tanzgruppen warten auf ihren Einsatz: „Regenbogen“ aus Großwardein/Oradea mit der unerschütterlich fröhlichen Choreografin Otilia Kellermann, „Gute Laune“ und „Gemeinsam“ aus Sathmar/Satu Mare, erstere unter der Leitung von Karl Heinz Rindfleisch, zweitere unter Gabriela Rist.

Die roten Schürzen der Tänzerinnen retten die Fotografen vor dem tristen Grau! Mit tollkühnen Sprüngen und einem schmissigen Schuhplattler erwärmt die Zipser-Tanzgruppe „Edelweiß“ die Stimmung. Nun muss man „junior“ hinzufügen, denn seit sechs Wochen gibt es auch eine gleichnamige Tanzgruppe „senior“. In himmelblauen Dirndln und schwarzen Hüten mit farbig abgestimmten Bändern und Federn (am selben Morgen einem nachbarlichen Pfau entrissen) fiebern sie ihrer Premiere entgegen. Dreimal die Woche haben sie geübt, erzählt Clara Mihnea, deren Sohn auch in der Jugendgruppe tanzt. Horst Zavaczki, deren Leiter, sorgte mit den jungen Leuten für den letzten Schliff. „Das war die schönste Phase“, lacht sie und erzählt, wie die Burschen mit den Frauen und die Mädchen mit den Männern tanzten, manchmal Mütter und Väter mit ihren Kindern. Sohn Markus, der in Klausenburg studiert, hatte es sich nicht nehmen lassen, extra zum Mittanzen nach Hause zu kommen.
Die Bistritzer Blaskapelle „Harmonie“ hält tapfer die Stellung, nass ist nicht nur deren Fahne. Auf der Heimfahrt wird man im Waggon den Ofen anheizen. Doch bis dahin wird gesungen und getanzt!

Einsatz für die Gemeinschaft

Am Sonntag lässt sich der Herrgott erweichen: die Himmelsschleusen bleiben zu. Trockenen Fußes defiliert der prächtige kleine Trachtenzug vom Sitz des deutschen Forums in der Zipserei durch die Stadt bis zur katholischen Kirche der heiligen Anna. Nach dem Gottesdienst wird noch einmal getanzt,diesmal für die Oberwischauer. Zum Anlass des jährlich stattfindenden Nationalen Literatur - und Folklorefestes „Armonii de primăvară“ erklimmen die Zipser Tänzer und ihre Gäste  die Festbühne. Nicht fehlen darf das längst  berühmte Pocharai-Standl, wo typische Zipser Mehlspeisen feilgeboten werden. Nächtelang haben die Frauen dafür gebacken. Auch Margit Süszer, die Gattin von „Stefi-Bacsi“, gehört zu den Freiwilligen. „Eigentlich kann ich ja nicht mehr so recht - aber der Leo hat mich so schön gebeten!“ gesteht sie. Volontariat - „in unserer Gegend sonst keine Tradition“, bedauert Clara Mihnea - ist ein verbindendes Element in der Gemeinschaft der Zipser.

Von der Jugend-Tanzgruppe erzählt sie, ihre Aktivitäten gingen weit über das Tanzen hinaus: Ob Müllsammeln am Fluss oder Saubermachen bei alleinstehenden alten Frauen, ob Holzhacken für bedürftige Senioren im Winter - das Holz liefert der Pfarrer persönlich aus, oder Spendensammeln für Brennholz und Weihnachtspäckchen. Sogar den Friedhof der Zipser, wo die Gräber vieler Ausgewanderter verwahrlosen, haben sie auf Vordermann gebracht. „Das muss man unterstützen,“ meint Clara, und so ist es selbstverständlich, dass auch einige Eltern die Aktionen begleiten. Bewegt fügt sie hinzu: „Ihre Energie und Verbundenheit rührt mich. Gestern haben sie die ganze Nacht gefeiert - und waren trotzdem pünktlich um sieben Uhr im Forumshaus, um beim Frühstückmachen zu helfen!“