Reichlich Theaterbesucher bei „Eurothalia“

Theaterfestival des DSTT ist auf 2021 vorbereitet

Szene aus „Ibsen: Gespenster“ Margots beliebtestes Objekt ist der Blumenwagen.
Foto: DSTT

„Salz“ in der Regie von Eugenio Barba ist heute angesagt.
Foto: Jan Rüsz

Foto 2: „Western Society“ 21. Jahrhundert im Wohnzimmer und auf der Bühne.
Foto: David Baltzer

Zum ersten Mal ist heuer „Eurothalia“ mit dem „X-Tensions“ genannten Projekt, das vom "Verein Temeswar - Kulturhauptstadt Europas" vorgeschlagen wurde und mit verschiedenen Kulturinstitutionen in der Stadt durchgeführt wird, auf das Jahr 2021 hin vorbereitet. Das Theaterfestival, das vom Deutschen Staatstheater Temeswar ins Leben gerufen wurde und in den bereits sieben Jahren Bestehen ein richtiger Markenname geworden ist, wird mit "X-Tensions" ein sichtliches Aufpeppen erfahren, indem ein ganz Großer der Bühne eingeladen wurde, um im Laufe der Theaterwoche seine Marke auf das Kunstleben hier zu hinterlassen: Der europaweit gefeierte Regisseur Eugenio Barba ist in diesem Jahr zugegen.

Wer Eugenio Barbas Kunst in dieser Woche erleben will, kann dies gleich an zwei Abenden tun. Heute, 21 Uhr, ist eine seiner Inszenierungen in der Industriehalle SC Hydromatic Sistem SRL zu sehen: „Salz“ ist eine Koproduktion „Fondazione Pontedera Teatro“ und „Odin Teatret“. Zum Schluss der reichen Eurothalia-Woche gibt es noch eine Eugenio-Barba-Inszenierung: „Ave Maria“, am Freitag, ab 19 Uhr, im Saal des DSTT, ebenfalls eine Produktion von Odin Teatret“. Eugenio Barba zeigt aber seine Kunst nicht nur, sondern er wird sie auch vermitteln, so sind im Rahmen des Festivals auch Workshops angesagt, zu denen Künstler eingeladen wurden.

Eurothalia hat am Wochenende angefangen und wird am Freitag, dem 13. September, ausklingen. Das Thema dieses Jahres ist „Grenzen“. Mit Eugenio Barba ist „Eurothalia“ noch ein Stück europäischer geworden.
 

Der Vorhang ging auf - Temeswar mitten im Eurothalia-Festival
 

Freitag war der Eröffnungstag und zugleich ein deutscher Tag des Eurothalia-Festivals: Mit zwei deutschen Produktionen ging in diesem Jahr der Vorhang beim schon beliebten und gut besuchten Festival.

„Grenzen“ ist das Thema dieses Jahres und an die sollen die Theaterbesucher stoßen oder sie verschieben: Das Unvorstellbare, das Unaussprechbare, das Unerhörte, Themen wie Freitod, Immigrantenjobs oder der Umgang mit der Sexualität und dem Körper gehören dazu. Welche sind die menschlichen Grenzen, wie machen sie uns zu schaffen, wie und wann stoßen wir daran, aber auch: Wie werden Grenzen verschoben, neu definiert? Denn der Mensch, dieses denkende, soziale und technisch begabte Wesen – je nach Lage mutiert die Definition – versucht doch immer wieder, an diese Grenzen gelangend, sie zu überwinden, darüber hinauszuschauen, seine Kräfte, sein Denken und seinen Körper zu erproben.

Eine Frau lächelt anderthalb Stunden lang aus einer Projektion und was in den Videos gezeigt wird, steht zum Teil auch auf der Bühne: Da sind zum Beispiel „Markus & Markus“, die Schauspieler Markus Schäfer und Markus Wenzel, aber auch Objekte erkennt man wieder: den Blumenwagen, die zwei schwarzen Plastiktauben, die Vögel auf der Terrasse abschrecken sollen, die Osterdekoration. Margot, die Frau in den Videos, lächelt und scheint der zufriedenste Mensch auf der Welt. Aber diese Zufriedenheit ist die Zufriedenheit über einen Entschluss, bei denen nicht wenigen Zuschauern ein Schauer über den Rücken laufen wird. Margot, Jahrgang 1933, lebt allein und ist seit langem pflegebedürftig. Als sie von der Bank eine große Geldsumme abhebt, staunt man darüber, aber sie erklärt, dass sie einen längeren Urlaub in der Schweiz machen will. Was auch so stimmt. Denn der Weg in die Schweiz ist der Weg in den „begleiteten Freitod“, für den sich Margot entschieden hat, eben die Entscheidung, die sie so glücklich macht. Feige, habe ihre Mutter früher Menschen genannt, die einen Suizid ausübten, sie fühle sich aber neutral. Die Medizin hat seit Jahren an Margot gebastelt, die Liste ihrer Diagnosen ist lang und hat viel mit Schmerztherapie, auch mit OPs zu tun. Und die Schweiz bietet die legislative Kulisse für das bisher und meistens Unvorstellbare: Dort ist es nämlich „in Ordnung“, den – so hat ihn die Bürokratie genannt – „begleiteten Freitod“ einzuleiten. Und wie trocken heißt es dann „Bist du bereit?“ „Willst du das wirklich?“ „Hast du verstanden, wie das geht?“, als die Perfusion zu rinnen beginnt und das tödliche Natriumpentobarbital eingespritzt wird.

Was veranlasst einen Menschen zu so einem Entschluss? Wie sehen die letzten Wochen eines Menschen aus, der solch einen Akt vollbringen will? Und vor allem: Wie entscheidet der Theaterbesucher: Gelangt das Thema nun an seine Grenzen? Wird er mitfühlen, wird er vielleicht verstehen, wird er vielleicht sogar zustimmen? Oder nicht?

Mit der Studioaufführung Ibsen: Gespenster“, die eigentlich wenig mit Ibsens Werk zu tun hat – lediglich lesen Margot und Markus & Markus einen Ausschnitt aus dem Theaterstück, wobei Margot die Rolle von Osvald übernimmt – hat das Schauspielerduo zumindest stark aufgerüttelt: Da liegt am Ende der Aufführung ein Album mit Fotos aus einem Menschenleben für die Theaterbesucher zur Schau, es ist wieder Margot, die daraus lächelt, als Kind, als junge Frau. Margot hat gelebt, war wirklich, die Geschichte ist eine wahre. Und deshalb vielleicht noch aufrüttelnder, nach dem prosaischen Tod: „Willst du?“ fragt die Frau von der Sterbehilfeorganisation. „Ja, ich will“, sagt Margot. Und: „Danke!“ Perfusion an, Augen zu, noch ein Streicheln auf der Wange von der Frau von der Sterbehilfeorganisation, so ohne Menschlichkeit soll es nicht in den Tod gehen. Und: „Ich habe keinen so freien Menschen gesehen wie sie“, heißt es irgendwann im Stück.

Nach der feierlichen Eröffnung ist das Publikum zu einer weiteren Aufführung einer deutschen Theatergruppe eingeladen worden: „Western Society“, Konzept und Produktion: „Gob Squad“, ist eine multimediale Show, in der es darum geht, wie eine Familie im 21. Jahrhundert zusammen lebt oder dass die Mitglieder auch nebeneinander leben und welches Sagen die Technologie hat.

„Eurothalia“ geht weiter bis Freitag und versucht, den Theaterbesucher an weitere Grenzen stoßen zu lassen. Heute sind das DSTT und das Ungarische Staatstheater Temeswar mit „Moliendo café“ im Festival vertreten. Am Spätabend kann das Publikum einem ersten Werk der Marke Eugenio Barba beiwohnen: „Salz“.

Weitere Vorstellungen finden am Donnerstag statt: um 18:30 Uhr „Das Echo des Schweigens“ mit Julia Varley, eine Produktion des Odin Teatret, im Studiosaal, sowie „MDLSX“, eine Produktion von Motus (Italien), ab 21 Uhr im Saal des DSTT.

Zum Schluss gibt es noch eine Eugenio-Barba-Inszenierung: „Ave Maria“, am Freitag, ab 19 Uhr, im Saal des DSTT, sowie „Gegen Wunsch und Willen“, eine Produktion von Ultima Vez (Belgien), um 21 Uhr, in der Industriehalle.