Roşia Montană: Die vertuschte Wahrheit

Britische Experten bezeichnen Goldabbauprojekt als kulturellen Vandalismus

Pressekonferenz im Dachstübchen des Architektenordens; von links nach rechts: Sergiu Nistor (ICOMOS), Şerban Sturdza (Pro Patrimonio), Alexandru Dragoman (Institut für Archäologe, rumänische Akademie „Vasile Pârvan“), Ştefan Bâlici (ARA).
Foto: Nina May

Schon wieder Roşia Montană – und kein bisschen langweilig! Während die öffentlichen Proteste auf den Straßen zumindest sonntags weitergehen, kämpfen zivile professionelle Organisationen – Pro Patrimonio, die Vereinigung ARA (Architektur, Restaurierung, Archäologie), Alburnus maior und ICOMOS – an der unsichtbaren Expertenfront um die Aufnahme dieses weltweit einzigartigen Kulturerbes in die Liste der UNESCO. Warum Roşia Montană so wertvoll ist, dass nicht nur Rumänien, sondern die ganze Welt an seiner Erhaltung und Konservierung interessiert sein muss, verrieten Şerban Sturdza (Pro Patrimonio), Ştefan Bâlici (ARA), Alexandru Dragoman (Institut für Archäologie, rumänische Akademie „Vasile Pârvan“) und Sergiu Nistor (Präsident von ICOMOS Rumänien) in einer öffentlichen Diskussion beim Sitz des Architektenordens am 24. Oktober.

10.000 Pfund teure Studie – ignoriert und geheimgehalten

Bereits am 23. September hatte Pro Patrimonio Kulturminister Daniel Barbu im Rahmen einer Pressekonferenz beschuldigt, die Aufnahme von Roşia Montană ins Welterbe der UNESCO zu blockieren und einen Bericht renommierter britischer Experten über die außerordentliche internationale Bedeutung als Kulturerbe der gesamten Menschheit geheimzuhalten. Der unabhängige Expertenbericht war vom Kulturministerium selbst angefordert worden! Aufgrund finanzieller Engpässe hatte sich Pro Patrimonio erboten, diesen mit 10.000 Pfund zu finanzieren, das Ministerium trug nur die Reisekosten. Nachdem Kulturminister Barbu behauptet hatte, einen solchen Bericht nicht zu kennen, äußerte sich einen Tag später sein Vorgänger Kelemen Hunor: Das Dokument befände sich in seinem persönlichen Besitz und gehöre nicht dem Ministerium – weil dieses dafür nicht bezahlt hätte! Er hätte es seinerzeit anfertigen lassen, um für die Aufnahme Roşia Montanăs in die UNESCO-Liste zu argumentieren und bedaure, dass dies nicht möglich sei, weil die lokale Community den Antrag angeblich nicht unterstütze.  
Pro Patrimonio stellt dazu richtig: Die Aufnahme in die UNESCO-Liste ist eine Entscheidung auf rein professionellem Niveau! Unterstützer auf lokaler Ebene gibt es, etwa durch die Vereinigung „Alburnus maior“, also derjeniger, die sich dem Verkauf ihrer Häuser widersetzen. „Der Bericht befindet sich bei mir und den britischen Experten, die ihn verfasst haben“, wird Kelemen weiter zitiert. Er wolle ihn behalten und vielleicht zu gegebener Zeit veröffentlichen...

Die Mühe kann er sich nun sparen! Die Originalfassung der von CgMs, Englands größter unabhängiger Heritage-Consultancy, verfassten Studie von 103 Seiten liegt nun für jedermann zur Einsicht im Internet vor (www.totb.ro/exclusiv-totb-citeste-integral-raportul-specialistilor-straini-despre-importanta-rosiei-montane-pentru-patrimoniul-mondial-a-carui-existenta-a-fost-negata-de-ministerul-culturii/). Die Verfasser in einer Mail an Pro Patrimonio: „Die Autoren unterstützen die Online-Veröffentlichung der Stellungnahme zur Bedeutung von Roşia Montană, die bisher an Geheimhaltung gebunden war, voll.“ Gezeichnet: Prof. Andrew Wilson, Prof. David Mattingly, Dr. Michael Dawson. Drei spezialisierte Archäologen – zwei Hochschulprofessoren, ein Mitglied der britischen Akademie. Ihre Kompetenz dürfte außer Zweifel stehen.

Einzigartig  und im Ensemble schützenswert!

Aus dem Resümee der Studie geht der außergewöhnliche Wert des gesamten Komplexes Roşia Montană hervor, der eine Aufnahme ins UNESCO-Welterbe rechtfertigt. Das Ensemble der überirdischen sowie unterirdischen Infrastruktur liefert komplexe und einzigartige Einblicke in die Entwicklung des Bergbaus aus vorrömischer und römischer Zeit, über das Mittelalter bis in die kommunistische Ära, einschließlich der Transitionsperioden. Sichtbar wird das Zusammenspiel handwerklicher Traditionen mit lokaler Kultur, Architektur, Stadtplanung, Kunst und Religion in einer multikulturellen Gesellschaft, sowie der technische Transfer über die Jahrhunderte. Künstliche Seen, ein ausgedehntes Galeriensystem, Relikte von Technologien aus verschiedenen Epochen, spirituelle Kultstätten, Grabstätten und Dokumente – etwa die in einem Stollen entdeckten, mit Wachs beschriebenen Holztafeln über Schürfverträge zwischen Römern und Dakern im 1. Jahrhundert – all dies spricht für eine Konservierung der archäologischen Stätte, und zwar unbedingt im Gesamtensemble. Es handelt sich um den wichtigsten und ausgedehntesten historischen Bergbau der Welt, dessen Bedeutung in seiner Gesamtheit über die seiner Teile weit hinausgeht, schließen die Experten. Das Zulassen der Zerstörung auch nur einiger Stätten käme einem irreparablen Fehler gleich. Sollte das Goldprojekt genehmigt werden, machen sich Regierung und RMGC (Roşia Montana Gold Corporation) schuldig am Vandalismus von Weltkulturerbe!

Vieles noch unerforscht – bald für immer verloren?

Gänzlich unerforscht sei außerdem der Einfluss der Daker auf Roşia Montană, also die Phase vor und nach der römischen Besetzung. Aber auch einzelne römische Stätten werden als „sehr bedeutend“ im Hinblick auf weitere Forschungen eingestuft:
-Die religiöse Kultstätte Valea Nanului: Dort existieren völlig atypische Tempel aus der Römerzeit und eine Vielzahl an Göttern, deren Bedeutung sowohl im lokalen wie im europäischen Kontext noch unverstanden ist. Eine vollständige Veröffentlichung der gesamten Stätten wäre sehr wichtig, möglicherweise seien auch noch andere Strukturen und Inschriften unentdeckt geblieben.
-Die römische Siedlung Hăbad, wo die Häuser – auch dies ungewöhnlich – mit Altären versehen sind. Ihre Bedeutung und Beziehung zu vorhandenen Kultstätten ist noch ungeklärt.
-Die unterirdischen römischen Strukturen bei Carpeni, einschließlich überirdischer Gebäude: Die  Sammelbecken für Flüssigkeiten sind weltweit einzigartig und außergewöhnlich. Die Gebäude mit Fußbodenheizung sind bis heute die architektonisch  prestigereichsten aus allen römischen Epochen. Auch hier gibt es viele Unklarheiten, die weitere Forschungen nahelegen.
-Die unterirdischen römischen Strukturen in Cârnic: Hierbei handelt es sich um das größte und komplexeste Galeriensystem des gesamten römischen Imperiums. Mindestens drei Elemente sind weltweit einzigartig: die säulengestützten Arbeitskammern, Galerien mit spiralförmigen Treppen, die vertikalen Schächte. Nur die Verbindungsgalerien zum Auf- und Abstieg gibt es auch in Ţarina (ebenfalls Roşia Montană) sowie in Kosmaj (Serbien). Der gesamte nördliche Teil des Cârnic ist noch nicht erforscht!

Wie erklärt man die Einzigartigkeit, die Andersartigkeit dieser Kultstätten, Gebäude und Galerien aus Roşia Montană im Vergleich zum restlichen römischen Reich? Was war hier besonders? Fragen über Fragen für die Menschheitsgeschichte – bald im Zyanidsee erstickt?
Unzureichend erforscht und ebenfalls als sehr bedeutend eingestuft werden auch die unterirdischen Aktivitäten des 17. - 19. Jahrhunderts. Roşia Montană war zur Zeit des Österreich-Ungarischen Imperiums eine der größten Abbaustätten. Funde wie Holzschienen illustrieren den Stand der  damaligen Technologie. Die meisten Galerien aus dieser Periode sind noch unerforscht und nicht einmal katalogisiert. Dasselbe gilt für den Beginn der Moderne und die Zeit des Kommunismus.
Auch die Bedeutung hydraulischer Systeme, Becken, Kanäle und künstlicher Seen in der Goldverarbeitung sowie der Abbau anderer Metalle wurden noch unzureichend untersucht. Zur Dokumentation der Technologie des Bergbaus schlagen die Experten ein Archivierungssystem ähnlich dem Bergbaumuseum in Bochum, Deutschland, vor.

Die ungehörte Stimme  von ICOMOS

Am 6. Oktober 2013 trafen die Mitglieder des Führungskomitees von ICOMOS in San Jose, Costa Rica, zusammen. In Bezug auf Roşia Montană äußerte man tiefste Besorgnis über die befürchtete Zerstörung dieses außergewöhnlichen Kulturerbes durch das geplante Goldprojekt der RMGC.  Wiederholt wurde an die rumänische Regierung appelliert und es wurden Notmaßnahmen zur Rettung, Konservierung und Restaurierung des Kulturerbes in Roşia Montană gefordert, gemäß den bisher von Rumänien unterzeichneten internationalen Konventionen und Chartas. Erneut wurde auch auf die Bereitschaft von ICOMOS hingewiesen, bei der Umsetzung von Policies und Praktiken zur Rettung des Kulturerbes von Roşia Montană mit einem professionellen Netzwerk zu unterstützen.

Die Besorgnis von ICOMOS fußt auf den jüngsten Aussagen des rumänischen Premiers und des Kulturministers sowie weiterer Offizieller, die das Goldprojekt der RMGC allein auf der Basis wirtschaftlicher Argumente betrachten und unterstützen. Befürchtet wird, dass im Falle einer Genehmigung desselben, Roşia Montană als Auslöser für weitere Zerstörungen von Kulturerbe –  etwa im Westgebirge/Munţii Apuseni oder in Südost- und Zentraleuropa – zugunsten kommerzieller Interessen fungieren könne.

Auch ICOMOS betrachtet Roşia Montană aufgrund seiner Entwicklung als Bergbaustätte über drei Jahrtausende von prähistorischer bis in die moderne Zeit als kulturelle Landschaft von außerordentlicher Bedeutung. In Betracht gezogen wurden hierfür: die offizielle Position der Rumänischen Akademie, die Argumente professioneller Vereinigungen wie Pro Patrimonio, der internationalen, europäischen sowie rumänischen Architektenvereinigung, der rumänischen Architektenkammer und ARA; die Empfehlung der Nationalen Kommission für historische Monumente zur Aufnahme ins Welterbe der UNESCO (2011), die in diesem Jahr beschlossene Aufnahme in das „7 Most Endangered Programme“ von Europa Nostra mit Finanzierung der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Entwicklungsbank und – nicht zuletzt – die massive Unterstützung durch die rumänische Öffentlichkeit.

ICOMOS kommt in seiner Resolution vom 6. Oktober zu folgendem Schluss: Roşia Montană ist ein bedeutendes Zeugnis für die technische Entwicklung der Menschheit, dringend sei die Konservierung dieses Kulturerbes nötig. Über 10.000 Experten aus aller Welt, vereint in ICOMOS, unterstützen die Aufnahme in das UNESCO-Erbe.
Sergiu Nistor, Präsident der Vereinigung in Rumänien, berichtete, dass RMGC sogar versucht hätte, die Expertise der ICOMOS zu finanzieren. In einer Resolution sei daraufhin festgelegt worden, dass so etwas nicht geschehen darf.

Selektive  Wahrheit

ARA-Vertreter Ştefan Bâlici erinnert, dass die Dokumente für die Aufnahme Roşia Montanăs in die UNESCO-Liste bereits 2010 vollständig im Kulturministerium eingereicht worden seien. 2011 wurden diese von der zuständigen Expertenkommission eindeutig befürwortet. Fehlte nur noch die Unterschrift des Ministers... bis heute!
Alexandru Dragoman kritisiert: Es gab zahlreiche kritische Stimmen zum Goldabbauprojekt der RMGC seitens bedeutender Experten, auch aus dem Kulturministerium. Doch wurden diese ignoriert, aus der Kommission ausgewechselt und lediglich Meinungen selektioniert, die das Projekt der RMGC unterstützen.
Am 14. September hatte ARA einen offenen Brief an den Kulturminister verfasst, unterzeichnet von 40 renommierten nationalen Experten (www.simpara. ro). Darin wird nicht nur die Unterzeichnung des Dossiers gefordert, sondern auch der Rücktritt von Kulturminister Barbu, der öffentlich erklärt hatte, das Goldprojekt stelle kein Risiko für das Kulturerbe dar. Aus dem Ministerium kam dazu keine Stellungnahme. Statt dessen wurden vier der unterzeichnenden Experten entlassen...

Hinzu kommt die bewusste Unterschlagung der englischen Expertise – wenn auch nicht bezahlt, so doch angefordert vom Kulturministerium und finanziert mit öffentlichen Geldern. Pro Patrimonio könne und wolle dies nicht hinnehmen, erklärt Şerban Sturdza. Selektives Schweigen aber auch aus dem Parlament: Die Vereinigung Europa Nostra, die im November mit einer Expertenkommission nach Roşia Montană reisen wird, um Vorschläge zur nachhaltigen Entwicklung der Zone aus europäischen, norwegischen und isländischen Fonds zu unterbreiten, hat an jedes Parlamentsmitglied einen Brief geschickt. Resultat: Keine Reaktion, von keinem einzigen Adressaten, so Vorstandsmitglied Maria Berza! Die Organisation bietet konkrete Maßnahmen und Finanzierung, ihre Vorschläge werden am 5. Dezember in Brüssel präsentiert. Doch wer soll die Experten zum Lokalaugenschein empfangen? Bisher sind einzig und allein zivile professionelle Vereinigungen aus Rumänien – etwa Pro Patrimonio und ARA – Gesprächspartner von Europa Nostra. Voraussichtlich wird dies auch beim Besuch im November nicht anders sein. Behandelt man so eine renommierte europäische Organisation?
Wir haben ein Recht auf Information, so die Verfassung. Dies gilt auch für Roşia Montană! Es muss etwas faul sein im Staate, wenn man es für nötig hält, unbequeme Wahrheiten einfach unter den Teppich zu kehren...