Rückblick und Ausblick zum Thema „Wir sind hier“

Festrede von Benjamin Jósza, Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, auf dem Treffen der Siebenbürger Sachsen am 20. September 2014 in Mühlbach (I)

Foto: George Dumitriu

Wir sind heute zusammengekommen, um einen Meilenstein zu setzen, das Demokratische Forum der Deutschen, unser Forum, wird in Kürze 25 Jahre alt. Dazu aufgefordert, werde ich pflichtschuldig über diese vergangenen 25 Jahre sprechen, aber auch versuchen, einen Blick in die nächsten 25 Jahre zu werfen. Gleichzeitig werde ich über eine Generation sprechen, meine Generation, die zusammen mit dem Forum erwachsen wurde und von der wir alle die Hoffnung hegen, dass sie die Geschicke dieser Organisation in den nächsten 25 Jahren bestimmt.
Dabei muss ich vorab ein Geständnis machen: Ich kann gar nicht über die vollen 25 Jahre der Forumsarbeit referieren, ich bin erst seit 24 Jahren dabei. Wie ich es verpasste, Gründungsmitglied des Jugendforums zu werden, um mich folglich der vollen 25 Jahren rühmen zu können, ist, wie so oft in Siebenbürgen, eine Geschichte für sich.
Am Ende eines langen Schultages, ich besuchte da noch das „Päda“, das Pädagogische Lyzeum in Hermannstadt, kamen einige Klassenkolleginnen aufgeregt zu mir.

„Heute wird das Jugendforum gegründet, kommst Du mit?“
„Jugend..., was?“
„Die Jugendorganisation des deutschen Forums.“
Ich sah hinaus, strahlende Sonne.
„Wegen sowas haue ich mir keinen schönen Tag um die Ohren“, sprach´s und ging in den Park.
Lektion 1: Man sollte dem Wetter keine so große Bedeutung beimessen. Lektion 2: Seinem Schicksal entkommt man nicht.

I.
„Wir sind hier“, das lakonische Motto des diesjährigen Sachsentreffens in Mühlbach, dem Luther zugeschriebenen „hier steh ich und kann nicht anders“ seelenverwandt, sagt in seinen drei Worten alles aus. Alles Nötige.
Um das „wir“ wird viel gerungen in letzter Zeit. Wer sind „wir“? Gibt es überhaupt noch ein „wir“? Wird es dieses „wir“ in zwanzig, dreißig Jahren noch geben?
Früher war das „wir“ einfach zu erkennen. Es handelte sich dabei um eine Dorf- oder Stadtgemeinschaft, die ihre Bräuche, ihre Sitten und ihren Dialekt pflegte. Man definierte sich selber aber auch im Unterschied zu den anderen. Die Rumänen, Ungarn und Roma die man noch unverkrampft Zigeuner nannte, dienten als Referenzrahmen des eigenen Andersseins.
Die heutige Welt ist komplizierter geworden, neudeutsch würde man sagen: multipolar. Wenn wir heute von den Deutschen Siebenbürgens sprechen, so meinen wir zwar wie bisher die Sachsen und die Landler, daneben auch Halbsachsen und Viertellandler. Durlacher und Hanauer selbstverständlich auch. Alle, die das dicke „l“ und gerollte „r“ in ihrer Muttersprache führen. Alle diejenigen, die „dortzus“ sagen, „die Knoche“ oder „du machst mich ganz katholisch“. Und in Siebenbürgen leben. Und in Siebenbürgen leben?

Die Mehrheit der Siebenbürger Sachsen lebt nicht mehr in Siebenbürgen. Das ist einfach so. Gehören sie deswegen nicht mehr zum „wir“? Haben sie mit der Auswanderung ihr Siebenbürger-Sachse-Sein an der Grenze abgegeben und zurückgelassen? Oder waren sie sogar diejenigen, die das Sachsentum quasi durch Mitnahme gerettet haben, aus einem Land, das dem Untergang geweiht war? Auch wenn es für uns jüngere heute merkwürdig klingt, aber Fragen dieser Art bestimmten über ein halbes Jahrhundert den Diskurs, Feindschaften entstanden darob und wurden sorgsam gepflegt.
Heute bin ich froh, dass sich für meine Generation diese Frage, wenn überhaupt, nur noch theoretisch stellt. Die Siebenbürger Sachsen sind allen Unkenrufen zum Trotz eine Gemeinschaft geblieben. Um den Wohnort des Einzelnen müssen sich die Einwohnermeldeämter kümmern, nicht wir.
Siebenbürgen wäre nicht Siebenbürgen ohne den „virus transilvanicus“. Dieser „virus transilvanicus“ ist ein heimtückisches Wesen. Er lauert hinter jeder malerischen Gassenecke, auf jeder naturbelassenen Wiese und befällt unversehens denjenigen, der mit offenem Herzen dieses gesegnete Land besucht. Diese Krankheit, für die es, außer in Siebenbürgen leben, kein Heilmittel gibt, sorgt dafür, dass zahlreiche Besucher immer wiederkehren müssen bzw. dass manche einfach bleiben. So werden in Siebenbürgen Expats im Handumdrehen zu Inpats.

Die Zahl der Neusiebenbürger nimmt durch Zuzug langsam aber stetig zu. Es sind vornehmlich Deutsche, Österreicher oder Schweizer, die das Land nicht mehr loslässt. Aber auch einzelne Amerikaner sind schon gesichtet worden. Diese bereichern unsere Gemeinschaft durch neue Impulse, sie gestalten unsere Gemeinschaft mit, und sollten mit offenen Armen empfangen werden. Unser „wir“ hat schließlich eine lange Tradition im Aufnehmen neuer Teilhaber.
Schließlich ist da noch die große Gruppe der Schüler, die unsere deutschen Schulen besuchen und sie dadurch aufrechterhalten. Viele von ihnen betrachten sich dem „wir“ zugehörig, und ohne sie wären große Teile unseres Brauchtums, wie Tanzgruppen, Blaskapellen oder Chöre, nicht denkbar. Sie setzen sich für Traditionen ein, für unsere Traditionen und prägen diese auf ihre Art. Die Herausforderung der nächsten Jahre wird sein, diejenigen dieser Gruppe, die das wollen, in das „wir“ einzubetten, ohne dass dieses „wir“ zu einem „sie“ wird.
Dieses hier beschriebene „wir“ hat nicht nur einfach existiert, sondern – lassen Sie es mich mit gebührender Bescheidenheit sagen – es hat Wunder gewirkt. Wenn wir eine Bilanz der vergangenen 25 Jahre ziehen sollen, so haben wir einiges vorzuweisen:
Zahlreiche Ehrenamtliche halten das Kulturleben der Siebenbürger Sachsen aufrecht, Chöre, Tanzgruppen, Blaskapellen sind unverzichtbarer Bestandteil unserer Tätigkeit. Jedes Jahr erscheinen zahlreiche vom Forum finanzierte Bücher. Allein in Hermannstadt gibt es vier deutsche Verlage, vier gute deutsche Verlage. Dem Forum ist es gelungen, die einzige deutsche Tageszeitung Südosteuropas zu bewahren, die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“, in deren Mantel sowohl die Kronstädter „Karpatenrundschau“ als auch die „Banater Zeitung“ erscheint. Die „Hermannstädter Zeitung“ informiert auch 25 Jahre nach der Wende pünktlich ihre Leser von nah und fern über die Hermannstädter Ereignisse.

Die politische Tätigkeit des Forums ist nicht minder erfolgreich: Es ist in den vergangenen 25 Jahren gelungen, erlittenem Unrecht Wiedergutmachung zuteil werden zu lassen. Unsere ehemaligen Russlanddeportierten erhalten eine Rente für die Jahre der Verschleppung, es gibt mehrere Gesetze, die die Eigentumsrückgabe regeln, auch die des Kirchen- und Gemeinschaftseigentums. Obwohl in manchen Punkten durchaus verbesserungsbedürftig, sind dieses Gesetze, die in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks und jetzigen Mitgliedern der EU immer noch undenkbar sind.
Das Forum hat sich nach und nach eine funktionierende Verwaltung aufgebaut und kann seine Tätigkeit weitgehend aus Mitteln des rumänischen und deutschen Staatshaushaltes finanzieren – dafür gebührt den Entscheidungsträgern der beiden Länder unser aufrichtiger Dank! Wir sind ein beachteter Ansprechpartner unter den anderen Minderheiten Rumäniens geworden und ein geachteter Ansprechpartner in der rumänischen Öffentlichkeit. Man traut uns was zu. Dieses Kapital gilt es, zu bewahren und auszubauen.

Darüber hinaus sind Dinge wahr gemacht worden, von denen wir vor 25 Jahren nicht zu träumen gewagt hätten: Wir stellen in Hermannstadt seit 14 Jahren den Bürgermeister, derselbe der sich gerade anschickt, das Präsidentenamt Rumäniens zu erobern, sowie seit zehn Jahren die überwiegende Mehrheit der Stadträte. In Kronstadt sitzen jeweils zwei Vertreter im Kreisrat und Stadtrat, gleich viele wie der zahlenmäßig ungleich stärkere Ungarnverband stellt. Wir haben Bürgermeister und Lokalräte in zahlreichen kleineren Ortschaften. Wir haben einen Abgeordneten im rumänischen Parlament und einen Abgeordneten im Bundestag.
Teile des „wir“, sind starke Partner unseres Forums. Als Erstes würde ich die evangelische Kirche A. B. in Rumänien nennen, die sich nicht nur auf die Verkündung von Gottes Wort beschränkt, sondern auch aktiv für den Erhalt des wertvollen Kulturgutes, unseres wertvollen Kulturgutes, kämpft. Hier sei stellvertretend für alles andere die Restaurierung der 18 Kirchenburgen aus EU-Mitteln zu nennen, dessen Nachfolgeprojekt schon in den Startlöchern steckt. Wir haben HOG, die sich aktiv in die Sanierung des Kulturerbes, UNSERES GEMEINSAMEN KULTURERBES, einbringen und das Gemeindeleben mitgestalten. Wir haben eine Stadtgemeinde in Nordsiebenbürgen, Bistritz, die in nie vorher erlebter Solidarität gemeinsam aufstand und die Folgen des verheerenden Kirchenbrandes im Jahr 2008 beseitigte.
Die Aufzählung könnte noch seitenlang weitergehen, meine Damen und Herren, und vielleicht sollte sie es, um allen zu zeigen: Die vergangenen 25 Jahre waren nicht verloren sondern eine Erfolgsgeschichte sondergleichen.

(Fortsetzung in unserer morgigen Ausgabe)