Rumäniendeutsche und Nationalsozialismus

Kritische Aufarbeitung nimmt Fahrt auf – vermehrt Workshops und Veröffentlichungen zum Thema

Projektion eines Bildes von Marcel Janco aus der Ausstellung in der Casa Filipescu-Cesianu

Im Januar mehren sich die Gedenktage. In diesen Zeitraum fällt der Beginn der Deportation der Rumäniendeutschen nach Russland 1945, die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Bukarest  1941 oder der internationale Gedenktag für den Holocaust anlässlich der Befreiung der Konzentrationslager von Auschwitz 1945, die uns mahnen in einer Zeit des neu erstarkenden Nationalismus, dass die Beschäftigung mit diesem Teil unserer Vergangenheit wichtiger denn je ist. In Bukarest gab es eine Gedenkwoche, die sich mit Mitteln der Kunst, des Theaters oder Films wohl für viele erstmals mit den Pogromen, die die Eiserne Garde in Bukarest verübte, auseinandersetzte. In der Mansarde des kürzlich eröffneten Stadtmuseums Casa Filipescu-Cesianu in der Nähe der Piaţa Victoriei konnte sich ein überwiegend junges Publikum mittels Fotos, gefilmten Augenzeugenberichten, Büchern oder Diaprojektionen von Werken der bekannten jüdischen Künstler Hedda Sterne, Marcel Janco (Marcel Iancu) und zeitgenössischen Fotos der Ereignisse von Willy Pragher mit diesem Teil seiner Geschichte konfrontieren. Zeitzeugen gibt es nunmehr wenige, dafür hat gerade in den letzten Jahren die wissenschaftliche Auseinandersetzung deutlich zugenommen.

Die Erforschung des Nationalsozialismus in Rumänien ist besonders nach der Öffnung der Archive, die zum Teil erst weit nach 1990 erfolgen konnte, langsam den Kinderschuhen entwachsen, und die Aufarbeitung der Verstrickungen der deutschen Minderheit in Rumänien sind durch kontrovers diskutierte Einzelstudien verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gedrungen.
So ist es erfreulich, dass Ende November letzten Jahres bereits der zweite internationale Workshop zum Thema „Rumäniendeutsche und Nationalsozialismus“ in der Nähe von Landau stattfinden konnte. In Kooperation der Sektionen Zeitgeschichte und Kirchengeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (ASKL), dem Projekt „Edition der Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien“ am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau (Campus Landau) und dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München(IKGS) präsentierten internationale wissenschaftliche Experten und berufene Zeitzeugen einem interessierten Fach- und Laienpublikum ihre persönlichen Erinnerungen, quellenbasierte Analysen und Forschungsergebnisse.

Als Zeitzeugen fungierten beide Male Prof. Dr. Paul Philippi (Hermannstadt, Jahrgang 1923), Theologe, Ehrenvorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, und Prof. Dr. Andreas Möckel, em. Professor für Sonderpädagogik (Würzburg, Jahrgang 1927), die ihre persönlichen Erinnerungen, verbunden mit ihrer subjektiven historischen Beurteilung, beisteuerten. Die Hinzuziehung von Zeitzeugen ist mittler-weile als Ergänzung, aber auch als Reaktion auf die kontroversen Debatten der Vergangenheit, z. B. zu der Untersuchung von Paul Milata „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu: Rumäniendeutsche in der Waffen-SS“, zu verstehen. Demgegenüber nun der Bericht von Paul Philippi unter dem Titel „Von der Schulbank zur Waffen-SS“ und von Andreas Möckel „Jugendbewegung, Schule und Deutsche Jugend in Siebenbürgen.“ Auf der Tagung von 2016 konzentrierten sich die beiden Zeitzeugen auf das Schulwesen „Kirche ohne Schule. Schulzeit im Schulsystem der Deutschen Volksgruppe in Rumänien 1942-1944“ (Andreas Möckel) und „Kultur am Rande des Krieges“ (Paul Philippi).

In der Zeitschrift „Spiegelungen“ (Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas.(Jg. 11-65, Heft 1/2016), herausgegeben von IKGS-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach, liegen nun einige der Ergebnisse der ersten Tagung vor. In ihrer Einleitung in das Thema, die ausführlich den bisherigen Forschungsstand resümiert, formulieren Timo Hagen und Dirk Schuster eine Reihe von Desideraten, so das Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung, den anderen Minderheiten oder auch Untersuchungen, die den größeren geopolitischen Rahmen berücksichtigen. Die hier vorliegenden Artikel konzentrieren sich geografisch vor allem deswegen auf Siebenbürgen, da durch die Erschließung der Protokolle des Landeskonsistoriums eine Quelle ausgewertet werden kann, die über das besondere Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Hinsicht auf den Einfluss des Nationalsozialismus auf die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft wertvolles Material liefert. Ohne der Veröffentlichung der Tagungsergebnisse der zweiten Konferenz vorgreifen zu wollen, kann zumindest dem Tagungsprogramm nach hier konstatiert werden, dass einigen der Forderungen thematisch bereits entsprochen wurde. So mit den Vorträgen „Politische Affinitäten im rumänisch-orthodoxen Klerus der 1930er Jahre“(Prof. Dr. Paul Brusanowski, Hermannstadt/Sibiu) oder „Die Legion Erzengel Michael in Rumänien - Zur europäischen Dimension des gewaltorientierten Nationalismus“ (Prof. Dr. Armin Heinen, Aachen), die das Verhältnis der Mehrheitsbevölkerung zum faschistischen Gedankengut beleuchten oder auch andere Landsmannschaften miteinbeziehen mit dem Titel „Banater Schwaben und Bukowina-Deutsche unter dem Einfluss des Nationalsozialismus“ ( Dr. Mariana Hausleitner, Berlin).

Ein Kernthema der ersten Konferenz bleibt jedoch die Reaktion der Landeskirche auf den Nationalsozialismus, wobei Timo Hagen sich auf die Zeit bereits weit vor 1933 anhand der Sitzungsprotokolle des Landeskonsistoriums, in dem sich die wichtigsten Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kirche zusammenfanden, als Untersuchungszeitraum vornimmt. Machtfragen und Abwehrhaltung gegen konkurrierende oder auch oppositionelle Bewegungen, wie der „Lehrerstreik“, die „Gemeinschaftsbewegung“ und schließlich die nationalsozialistisch ausgerichtete „Selbsthilfebewegung“ einerseits, aber auch kongruente ideologische Vorstellungen, was den völkischen Charakter der Landeskirche betraf, werden hier in ihrer Wechselwirkung untersucht. Im zeitlichen Anschluss werden die Quellen der Jahre 1933-1941 und die Bruchlinie, die sich schließlich zwischen Landeskirche und gleichgeschalteter nationalsozialistischer Kirchenorganisation auftat, von Ulrich A. Wien unter der Überschrift „Kirche und Politik im Verständnis der Bischöfe Viktor Glondys und Wilhelm Staedel“ ausgewertet. Einen anderen Ansatz verfolgt Dirk Schuster, der die Phase der „Selbstnazifizierung unter Bischof Staedel“ unter einem überregionalen Bezug betrachtet. Dabei geht es ihm zum einen um die Heranziehung theologischer Tendenzen innerhalb des Protestantismus, wie der Bewegung der „Deutschen Christen“, deren Wurzeln in der besonderen Stellung der evangelischen „Staatskirche“ z. B. innerhalb des preußisch geprägten Deutschen Reichs unter Kaiser Wilhelm vermutet werden können. Zum anderen um den spezifischen Charakter von Minderheiten als „Volksgemeinschaft“ und welche Rolle der Religion in Abgrenzung zum Umfeld der Mehrheitsbevölkerung, aber auch im Verhältnis zu anderen Minderheiten zukam.

Mit den „Landwirtschaftlichen Blättern“ erschließt Dr. Corneliu Pintilescu eine weitere Quelle, die aufgrund ihrer Bedeutung für die agrarisch geprägte Gesellschaft der Siebenbürger Sachsen als Vehikel für die faschistische „Blut und Boden-Propaganda“, aber auch zur Anwerbung für die Armee zunehmend genutzt wurde. Die Aufwertung des Bauerntums und die Aussicht auf Profite innerhalb des deutschen Reiches fielen, gerade nach den negativen Erfahrungen mit der Bodenreform des rumänischen Staates, in Siebenbürgen auf fruchtbaren Boden. Um den Streit um handfeste wirtschaftliche Vorteile geht es bei Hannelore Baier in ihrem Beitrag „Dubiose Konkurrenz: Arisierung versus Rumänisierung in der Zeit des Antonescu-Regimes“. Seit der Veröffentlichung der umstrittenen Thesen von Götz Aly zu „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ lohnt es sich, das Augenmerk gezielt auf die pekuniären oder wirtschaftlichen Aneignungsprozesse zu richten, die unter dem Begriff „Arisierung“ abliefen. Interessant ist nun, den Zusammenprall zweier gleichgerichteter Systeme zu betrachten und wie die Hierarchien von rumänisch-faschistischen Verbündeten, Volksdeutschen in Rumänien und den Ansprüchen des Dritten Reiches ausgehandelt wurden.

Unter den Rubriken literarische Texte und Kultur befinden sich altbekannte Autoren wie Franz Hodjak und Horst Samson, u. a. mit Erinnerungen an die legendäre Temeswarer Rockband „Phoenix“. Einer Hommage an den Bildhauer Ingo Glass widmet sich Eugen Gomringer mit einem Gedicht und Borbála Cseh mit einem Interview. Vom kurz nach Veröffentlichung dieses Bandes verstorbenen angesehenen Theaterschaffenden Franz Cisky stammen Beiträge zur rumänisch-deutschen Theaterlandschaft, so zum Jubiläum des Deutschen Theaters in Hermannstadt und über die Badische Landesbühne Bruchsaal. Aber auch der jüngeren Generation wird ein publizistisches Feld eingeräumt. Das Projekt des Goethe-Instituts, hier von Claudia Maria Riehl vorgestellt, thematisiert mit „Schaufenster Enkelgeneration“ den Gebrauch der deutschen Sprache unter Minderheiten. Junge Autoren, wie Tom Schulz aus Deutschland oder der Ungar János Hay, und weitere Vertreter der jungen ungarischen Lyrik, deren Kurzgeschichten und Gedichte zweisprachig in Deutsch und Ungarisch wiedergegeben werden, tragen zur Bereicherung der südosteuropäischen Kulturlandschaft bei.

Zu Nationalismus und Nationalsozialismus lassen sich allerdings auch in den übrigen Ressorts dieses Heftes der „Spiegelungen“ etliche Beiträge finden. So in der Rezension zu dem Sammelband „Nationalsozialismus und Regionalbewusstsein im östlichen Europa“ (Hrsg. Burk-hard Olschowsky, Ingo Loose) mit Berichten von Elisabeth Weber und Florian Da-necke, die sich ebenfalls mit der „Beteiligung der Deutschen Volksgruppe an der Beraubung der jüdischen Bevölkerung Rumäniens“ beschäftigen, oder dem Artikel von Mariana Hausleitner, der „Die Radikalisierung von Deutschen in Rumänien vor ihrer Gleichschaltung 1933-1937“ zum Thema hat. Unter den Buchbesprechungen sticht unter diesem Aspekt die von Elmar Schenkel heraus, der den sperrigen Roman von Ursula Ackrill „Zeiden im Januar“ mit dem gefälligeren Werk von Iris Wolff „Leuchtende Schatten“ vergleicht, die beide aus Sicht der Enkelgeneration die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Siebenbürgen betrachten.
Mit der sicherlich noch in diesem Jahr erfolgenden Publikation der Ergebnisse des zweiten Workshops gibt es somit vielerlei Möglichkeiten, sich über die Abläufe, die dem Faschismus in Südosteuropa, aber nicht nur, den Weg bereiteten, zu informieren.