Rumäniens Jugend: Zwischen politischem Desinteresse und vorsichtigem Optimismus

Was die junge Generation des Landes denkt und wie sie versucht, damit umzugehen

Mangelnde Bildung ist Grund vieler Probleme der rumänischen Jugend. Garantieprogramme, die beim Übergang von Ausbildung zu Beruf helfen, würden an dieser Stelle erheblich von Vorteil sein.

Tagtäglich macht das Thema „Europa“ Schlagzeilen. Nicht nur aufgrund der vor Kurzem durchgeführten Europaparlamentswahlen, sondern auch wegen kritischer EU-Gegner, schwindendem politischen Zusammenhalt und erheblichen wirtschaftlichen Disparitäten zwischen Ost und West, die immer wieder zu Diskussionen führen. Große europapolitische Fragen häufen sich deshalb besonders jetzt in der Presse. Wie geht es mit Europa weiter? Für was soll Europa stehen? Und was kann unternommen werden, um die Unausgeglichenheit zwischen Ost und West zu ebnen?
Um auf solch breitgefächerte und in aller Aktualität auch extrem wichtigen Fragen eine Antwort finden zu können, lohnt ein Blick ins Detail.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat im Frühjahr 2019 eine Studie über zehn osteuropäische Staaten veröffentlicht, die sich bis ins Detail mit der dort lebenden Jugend beschäftigt. Gesondert für jedes Land veröffentlicht, bietet diese Studie einen genauen Einblick in die Köpfe der jungen Generation, was Wirtschaft, Politik, Bildung aber auch Themenfelder wie das Sozialleben angeht. Etwa 10.000 Jugendliche im Alter von 14 bis 29 Jahren wurden in den Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien und Slowenien befragt. Auf knapp 90 Seiten wird so deutlich, durch was die junge Generation vor allem geprägt wird und was sie über den Staat und seine Möglichkeiten denkt.

Was das Elternhaus mit der Bildung zu tun hat

So sind es vor allem die sozio-ökonomischen Verhältnisse, die junge Erwachsene sowohl im gegenwärtigen als auch im zukünftigen Leben stark prägen.
Besondere Unterschiede diesen Aspekt betreffend werden deutlich, wenn man das Elternhaus betrachtet. Oft haben Kinder eines Elternhauses, das einen geringen Abschluss hat, einen schlechteren Zugang zu Konsumgütern, als Kinder, deren Elternhaus beispielsweise einen universitären Abschluss besitzt. Noch stärkere Disparitäten tun sich auf, wenn man die sozioökonomischen Gegebenheiten von Land- und Stadtbevölkerung betrachtet. In vielen ländlichen Gebieten Rumäniens ist der Wohlstand deutlich niedriger als in Ballungsgebieten und größeren Städten. Das mag auf eine etwas traditionellere Lebensart der Landbevölkerung und auf die auf Agrarwirtschaft ausgerichtete Beschäftigung zurückzuführen sein.

Ob Stadt- oder Landbevölkerung – die rumänische Jugend schätzt ihre Zukunftsaussichten im Durchschnitt ziemlich positiv ein. Viele gehen von einer Verbesserung ihres Lebens in jeglicher Hinsicht aus. Widersprüchlich dazu sehen junge Rumänen die Zukunft des Staates als solchen eher pessimistisch. Man kann darin den Optimismus der rumänischen Jugend sehen oder aber auch den Wunsch, eines Tages das Land dauerhaft zu verlassen. Denn oft ist der Wunsch, dem Heimatland permanent den Rücken zu kehren, einhergehend mit schlechten ökonomischen Verhältnissen einer Person.

Das Bildungssystem – Ursprung allen Übels?

Es ist nicht neu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse einer Person und die Bildung oder Beschäftigung eben jener Person oft Hand in Hand gehen. Aus der Studie geht hervor, dass etwa 56 Prozent aller befragten Personen angeben, dass sie sich derzeit in keinerlei Art einer Ausbildung befinden. Oft haben Jugendliche Schwierigkeiten bei dem Übergang von Schule zu Beruf. Viele Schüler sind der Meinung, dass sie das derzeitige Schulsystem nicht ausreichend auf den zukünftigen Arbeitsmarkt vorbereitet.

Auch bei dem Punkt Beschäftigung sind Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und Ballungsgebieten auszumachen. So weist die Region Moldau eine durchaus hohe Arbeitslosenrate der jungen Generation und eine hohe Anzahl an Gelegenheitsjobs auf. Während Siebenbürgen eine höhere Anzahl an Vollzeitbeschäftigten und eine deutlich niedrigere Arbeitslosigkeit der jüngeren Generation aufweist. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sieht hierbei die Ursache in den unterschiedlich dominierenden Wirtschaftssektoren. Siebenbürgen ist deutlich weniger ländlich geprägt als die Region Moldau, Landwirtschaft ist hier der wichtigste Wirtschaftszweig.

Tradition trifft auf Moderne

Das Gefälle zwischen Stadt und Land zieht sich nicht nur durch wirtschaftliche oder ausbildungsrelevante Aspekte. Die Studie zeigt auf, wie sehr sich besonders das Familienleben oder die bloße Vorstellung davon unterscheidet. Viele junge Rumänen, die in ländlichen Regionen leben, sehen den ersten Schritt in Richtung Wohlstand und Erwachsenwerden in einer Heirat und planen, diese eher früh im Leben einzugehen. Ganz anders in Großstädten oder Ballungsgebieten: Hier sehen die Befragten den ersten Schritt in Richtung Wohlstand und Erwachsenwerden nicht in einer Heirat. Vielmehr wird angestrebt, zunächst eine Ausbildung abzuschließen und sich somit ein eigenständiges, finanziell unabhängiges Leben aufzubauen.

Etwas widersprüchlich sind die Aussagen über das Thema „Kinderkriegen“.
Befragte aus kleineren Gemeinden und ärmlicheren Verhältnissen beabsichtigen laut der FES-Studie, weniger Kinder zu kriegen als Befragte aus Ballungsgebieten und wohlhabenderen Regionen. Genauso belegen allerdings Statistiken, dass junge Familien aus ärmlichen Verhältnissen eine fast doppelt so hohe Kindesrate haben, wie Familien aus vermögenden Gegebenheiten.

So haben lediglich 5 Prozent der in Bukarest lebenden befragten 14 bis 29-Jährigen ein Kind, während es in kleineren Gemeinden (bis zu 10.000 Einwohner) etwa 25 Prozent sind. Nicht nur von Stadt- zu Landbevölkerung kann man hier Unterschiede deutlich machen. Auch an dieser Stelle der Studie können Parallelen zum Elternhaus gezogen werden. So geht aus der Studie hervor, dass Personen, in deren Elternhaus keine abgeschlossene Ausbildung vorliegt, mit höherer Wahrscheinlichkeit vor dem 29. Lebensjahr ein Kind bekommen als bei Personen, die aus einem Elternhaus mit abgeschlossener Ausbildung stammen.

Zwar planen Personen aus ärmlichen (und damit einhergehend oft auch schlechter gebildeten) Verhältnissen, weniger Kinder zu kriegen, als die aus vermögenderen Verhältnissen. In der Realität ist es aber genau andersherum: Menschen, deren Leben von Armut und mangelnder Bildung geprägt ist, tendieren dazu, mehr Kinder zu kriegen als Menschen, die über der Armutsgrenze und mit einer guten Ausbildung aufwachsen und leben. Das mag vor allem daran liegen, dass in Bevölkerungsschichten der Mittellosigkeit oft noch eine traditionelle Geschlechterverteilung herrscht, früher im Leben geheiratet wird und es in vielen Fällen an Aufklärung mangelt.

Demokratisches Interesse?

Das Konzept der Demokratie wird im Allgemeinen von den jungen Rumänen gut unterstützt. Eine Standardansicht, möchte man fast von einem EU-Mitgliedsstaat sagen. Verglichen mit den anderen an dieser Studie teilnehmenden Staaten hat Rumänien allerdings die geringste Unterstützung der jungen Generation, was das Thema Demokratie angeht. Der Staat Kosovo etwa hat einen höheren Wert, und das obwohl das Land teilweise schlechter funktionierende demokratische Institutionen besitzt als Rumänien. Die Studie berichtet allerdings auch von satten 23 Prozent, die der Meinung sind, dass unter gewissen Umständen eine Diktatur eine bessere Regierungsform als die Demokratie sei.

Ein großes Problem hat die rumänische Jugend vor allem mit dem Vertrauen in politische Institutionen und Organisationen. Besonders das Parlament, die Regierung und die politischen Parteien schneiden schlecht ab. Mehr positive als negative Bewertungen bekommen lediglich die Kirche und die Armee.
Obwohl sich viele junge Rumänen eine politische Veränderung herbeisehnen, liegt das Interesse der 16 bis 27-Jährigen an nationaler Politik nur bei etwa 56 Prozent. In etwa das gleiche Phänomen tut sich bei dem Thema Korruption auf. So hat ein Großteil der Befragten zwar Angst davor, Opfer von Korruption jeglicher Art zu werden. Gleichzeitig wird in großer Zahl angegeben, dass viele Befragte Korruption als gerechtfertigt ansehen und in einigen Fällen sogar selbst zum Mittel der Bestechung greifen würden. Widersprüchlich also und in Verbindung mit der Tatsache des politischen Desinteresses vieler Jugendlicher eine ernstzunehmende Ursache weiterer Probleme.

Viele Probleme, aber keine Lösung?

Migration, Korruption, das Bildungssystem und die damit verbundene Arbeitslosigkeit vor allem in der jungen Generation sind also große Probleme in Rumänien – das steht außer Frage. Es ist allerdings nicht so, als würde es für diese genannten Punkte keine Lösungsansätze geben. In der Jugendstudie für Gesamtsüdosteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung werden nicht nur Probleme und Schwachstellen der 10 Staaten aufgezeigt, sondern auch Lösungsansätze vorgestellt. Zwar liegen diese Ansätze und Ideen in dieser Studie nicht auf Rumänien gesondert bezogen vor, dennoch kann man einige Punkte durchaus auf die rumänische Jugend beziehen.

Und wie es mit Problemen nun mal ist: Es ist meist wenig effektiv, diese zu bekämpfen, wenn sie längst in Gänze blühen, denn rückgängig kann man sie nicht mehr machen. Vielmehr sollten die Ursachen dieser Angelegenheiten bekämpft werden. Was die Probleme und Konflikte der hier bereits aufgezeigten Punkte der Jugendlichen Rumäniens angeht, haben viele – nicht alle, aber ein Großteil – ihren Ursprung in mangelnder oder gar nicht vorhandener Bildung.
Was das Bildungswesen angeht, sollte man beispielsweise über Garantieprogramme nachdenken, die auch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen beinhalten. Durch solche Programme und staatliche Fördermittel würde man den Jugendlichen zunächst den oft schwierigen Übergang von Ausbildung zu Beruf erleichtern und ihnen zukunftsreiche Chancen ermöglichen. Dies wiederum würde zu einer Senkung der Arbeitslosenzahlen im Land führen und im besten Fall auch zu einer Erhöhung des Einkommens. Sofern die Programme und Mittel dann auch in ländlichen Gebieten greifen (da, wo sie eigentlich am dringendsten benötigt werden), käme es zu einer Angleichung zwischen Land- und Stadtbevölkerung und die Disparitäten was u. a. Wohlstand angeht, wären nicht mehr so enorm hoch, wie sie es derzeit sind. Eine erhöhte wirtschaftliche Sicherheit würde eventuell sogar zum Rückgang der Korruption führen.
Dies könnte wiederum zu mehr politischer Aktivität seitens der rumänischen Jugend führen.

Politisch gesehen wäre es von Vorteil, Jugendliche mehr in Gewerkschaften einzubeziehen. Nicht nur, um so eventuell das Interesse der jungen Generation an nationaler Politik zu steigern, sondern auch, um einen höheren Beschäftigungsschutz zu erreichen und damit der großen Zahl an Gelegenheitsjobs entgegenzuwirken.
Ob und wenn ja, was für Maßnahmen in den nächsten Jahren ergriffen werden, wird sich zeigen. Sicher ist jedoch, dass sich die Politiker des Landes im besten Falle mehr auf einen Ausbau des Bildungssystems konzentrieren sollten. Schließlich geht es dabei um die rumänische Jugend – gewissermaßen die zukünftigen Politiker und Politikerinnen des Landes.