Schindlers Listen anderer Art?

Die Tagung zur Geschichte der unterstützten Emigration von Rumäniendeutschen

Die Referenten und die Repräsentanten der Veranstalter (v. l.): DFDR-Abgeordneter Ovidiu Ganţ, Prof. Dr. Vasile Dâncu, Dr. Germina Nagâţ, Dr. Heinz-Günther Hüsch, Dr. Radu Preda und Sven-Joachim Irmer
Foto: KAS

Per Stück, wie Vieh verkauft, oder ein menschenwürdiges Leben als freie Bürger ermöglicht? In diesem Spannungsfeld wurde die Problematik der Ausreise von Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik Deutschland gegen Zahlung von Milliarden DM an das kommunistische Regime auf der Konferenz unter dem Titel „Die Geheimen Abkommen – Geschichte der unterstützten Emigration der Rumäniendeutschen“ am 8. Mai in Bukarest diskutiert. Es war die zweite Veranstaltung, welche die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) zum Thema veranstaltet haben, an beiden nahm Deutschlands Verhandlungsführer von 1968 bis 1989, der Rechtsanwalt und ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Heinz-Günther Hüsch, teil. Die rumänische Seite war, wie auch im vergangenen Jahr in Hermannstadt/Sibiu, durch Forscher und nicht an der Aktion Beteiligte repräsentiert, obwohl diese eingeladen waren. Das Kapitel der Nachkriegsgeschichte wurde vor 25 Jahren abgeschlossen, gänzlich geklärt und erklärt aber ist es noch nicht.

Am symbolträchtigen 8. Mai veranstaltete die Bu karester Repräsentanz der KAS die Konferenz über das „delikate Thema“. Für ihn sei „unfassbar“, dass Menschen „gekauft“ werden mussten, um frei leben zu können, sagte Sven-Joachim Irmer, der Leiter des KAS-Auslandsbüros Bukarest in der Begrüßung der zahlreich erschienenen Teilnehmer. Von den Bemühungen des DFDR, die Geschichte der deutschen Minderheit im Kontext der beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts mit wissenschaftlicher Objektivität aufzuarbeiten, sprach der DFDR-Abgeordnete Ovidiu Ganţ in seinem Grußwort. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, Werner Hans Lauk, erwähnte den heute in der Diskussion der Aktion allzu oft vergessenen politischen Hintergrund: Als man die Vereinbarungen traf, war nicht abzusehen, in welche Richtung sich das kommunistische System in Rumänien entwickeln würde, und die Möglichkeiten, den wegen ihrer Volkszugehörigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Bedrängnis geratenen Deutschen in Rumänien zu helfen, waren sehr begrenzt. Hätte die BRD die Kooperation mit dem Repressionsapparat verweigert, hätte sie die Rumäniendeutschen ihrem Schicksal überlassen müssen.

Die Verhandlungen

Den Einführungsvortrag hielt Dr. Heinz-Günther Hüsch anhand seiner Aufzeichnungen, der Protokolle, Korrespondenzen sowie Urkunden und einem phänomenalen Gedächtnis. Er schilderte, wie nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der BRD und Rumänien die Zusammenführung der durch Kriegswirren getrennten Familien sowie die Befreiung von wegen politischer Vergangenheit oder Ansichten Inhaftierter auf neue Grundlagen gestellt wurde: Waren bis dahin Einzelpersonen oder Familien durch Vermittlung von Anwälten gegen Devisen, die ihre Angehörigen aufbrachten, freigekauft worden, konnte die BRD nunmehr ihrer Verantwortung nachkommen und all jenen helfen, die ihren Wohnsitz selbst bestimmen und der innenpolitischen Unterdrückung entkommen wollten. Der wachsende Wohlstand in der BRD und die gegenläufige Entwicklung in Rumänien, gepaart mit einer immer stärker werdenden Einschränkung der Freizügigkeit, ließen den Ausreisewillen wachsen. Die Tatsache, dass von rumänischer Seite absolute Geheimhaltung gefordert, zunächst keine Dokumente sowie Quittungen und auch später zum Teil Barzahlungen gefordert wurden und die rumänischen Behörden die Ausreisegenehmigungen erteilten, eröffneten die Möglichkeiten für Korruption. Aber wie hätte die deutsche Seite eine Auswahl jener in einem fremden Staat treffen sollen bzw. können, für deren Ausreise gezahlt wird?

Dr. Hüsch berichtete über das Zustandekommen der Vereinbarungen, die „Bonus“-Lieferungen an Pkws und anderen in Rumänien benötigter aber nicht vorhandener Güter, die Vermittlung von Darlehen bei Zahlung der Zinssubventionen, die schwierigen Verhandlungen nach dem Veröffentlichen des Dekrets 402/1982, um dessen Nichtanwendung zu erreichen, aber auch die wiederholt unterbreiteten Vorschläge, jene Rumäniendeutsche zu unterstützen, die nicht ausreisen wollen. In 315 offiziellen und etwa 1000 inoffiziellen Treffen mit rumänischen Repräsentanten wurden die Aussiedlung von 226.654 Personen sowie ca. 400 Einzelfällen mit besonderen Problemen gelöst, aber auch Sonderleistungen, die Schmiergeldzahlungen sowie Themen wie die Entschädigung von Opfern medizinischer Versuche oder politisch Verfolgter, deutsche Kriegsgräber und Vermisste in Rumänien, Entwicklungshilfen, medizinische Kooperationen, die Staatsbesuche, die Ansiedlung von VW in Rumänien, Radio Free Europe, Dissidenten, Kunstausstellungen und Messebeteiligungen angesprochen. Ein immer wiederkehrendes Thema war die Lage der Deutschen und die Gründe, warum sie ausreisen wollen. Ein Abbruch der Verhandlungen sei von deutscher Seite mehrfach erwogen worden, weil man wiederholt über das Verhalten der rumänischen Seite, die bis zu Erpressungsversuchen ging, empört war, sagte Dr. Hüsch. Durchgesetzt hat sich jedoch letztlich bei allen Parteien die Auffassung, man solle das Mögliche tun, um den Rumäniendeutschen die Ausreise aus dem diktatorischen Staat, aus Unfreiheit und wirtschaftlicher Not zu ermöglichen. Es sei eine humanitäre Aktion gewesen, gekauft wurde Freiheit, das entspreche der Fürsorgepflicht, die Deutsche für Deutsche haben, so der langjährige Verhandlungsführer. Er habe die größte Aktion dieser Art in der europäischen Nachkriegsgeschichte aus Überzeugung vermittelt, versicherte Dr. Hüsch.

Menschen gegen Waren

Kann man sagen, man hätte Menschen befreit, wenn man sie wie Ware behandelt hat? Mit dieser (rhetorischen) Frage beendete Germina Nagâţ, die Leiterin der Abteilung Investigationen bei der Aufarbeitungsbehörde der Securitate-Archive (CNSAS) ihren Vortrag. Mit Menschen im Tausch gegen Zuchtvieh (im Fall der jüdischen Bevölkerung), Technologie, Pkw, Kredite mit „idyllischen Zinsen“ und gar Abhörtechnik – die dann gegen andere eingesetzt worden ist – wurde der „technische Fortschritt“ Rumäniens bezahlt. Wie der Fortschritt aussieht, kann man anhand der leerstehenden Ortschaften in Siebenbürgen und im Banat sehen. In ihrer schonungslosen Präsentation berichtete die Historikerin aufgrund von Unterlagen aus dem im März vom Dienst für Außeninformationen (SIE) an CNSAS übergebenen, rund 300 Bände fassenden „ICE Dunărea“-Archiv (das Fonds Devisen-Sonderoperationen betitelt ist). Erfahren kann man nun Details über das Zustandekommen des Han-dels mit Menschen, vom Viehhandel ausgehend, den der Anwalt Henry Jakober (in London) initiiert hat.

Die Ausreise von jüdischen Familien wurde ab 1958 nach Eintreffen im Land von Kühen, Schafen und Schweinen genehmigt, später auch von Hunden der Rasse Collie, Futter, Melkmaschinen oder Apparatur zum Herstellen von Medikamenten, zitierte Nagâţ. Ab 1961 jedoch wurden die „Kombinationen gegen Barzahlungen“ vorgezogen. Für Geldsummen werden Leute aus dem Gefängnis entlassen, 1961 auch Rumäniendeutsche, zu denen Personen gehörten, die wegen „Vaterlandsverrat“ verurteilt waren. Nagâţ zitierte aus einem im November 1962 an die Securitate gesandten langen Bericht über die Bemühungen der damaligen Landsmannschaftschefs, den Freikauf von Sachsen und Schwaben via Jakober bei den deutschen Behörden zu bewirken. Diese winken jedoch ab – und finden eine andere Lösung.

Wie viel der Freikauf in den Jahren 1962 bis 1989 insgesamt „gekostet“ hat, sei schwer festzustellen, da außer Geldüberweisungen auch zahlreiche Sachgüter und „Geschenke“ aller Art eingekauft worden sind. Die Habgier, die Gier nach Devisen, hat den Exodus herbeigeführt, die damaligen Machthaber waren bereit, jeden zu verkaufen, für den genug gezahlt wurde, so die Forscherin. Auf den Listen der Freizukaufenden befinden sich auch Rumänen, aber wenige, da sie nicht hatten, wer für sie zahlen sollte, und auch nicht womit, sagte Nagâţ. Hat es bei den ausländischen Partnern humanitäre und „patriotische“ Hintergründe gegeben, um die Angehörigen ihrer Volksgemeinschaften zu retten, so fehlten dergleichen völlig aus „den operativen Kombinationen der Securitate“. Die Historikerin findet es absurd und zynisch zu behaupten, durch die Ablösesummen werde das in die Ausbildung „investierte“ Geld zurückverlangt. Wäre tatsächlich ein Braindrain-Stopp beabsichtigt gewesen, so hätte es diesbezüglich von Anbeginn an eine gesetzliche Regelung gegeben, die Securitate-Unterlagen beweisen jedoch, dass die Freikauf-Summen willkürlich festgelegt wurden.

Annahme der  Geschichte

Für die rumänische Gesellschaft seien dergleichen „Veranstaltungen der Geschichtsannahme“ sehr bedeutsam, sagte der Soziologe Prof. Dr. Vasile Dâncu, der Direktor des Rumänischen Instituts für Evaluierung und Strategie (ihres), zu Beginn seiner Vorstellung von Ergebnissen einer speziell für die Konferenz unternommenen Umfrage zur Perzeption der Deutschen/Deutschlands sowie der Siebenbürger Sachsen (die wir separat abdrucken werden). Den ausgeprägten Philogermanismus der Rumänen in jüngster Zeit deutete er als Mea culpa und „Liebe des letzten Augenblicks“ für eine Gemeinschaft, deren Weggehen man bedauert.

Es wurden gute Geschäfte gemacht mit der Verzweiflung der Menschen, sagte Radu Preda, der Direktor des Institutes für die Erforschung der Verbrechen des Kommunismus und des Rumänischen Exils (IICCMER), der die Abschlussdebatte moderierte. Die Korruption im heutigen Rumänien sei eine grauenvolle Fortsetzung dessen, was in jenen Jahren praktiziert worden ist. Um die Ausreise von Deutschen und Juden waren Netzwerke entstanden, welche die Familien der künftigen Emigranten regelrecht ausraubten und sie erpressten, bevor sie die Ausreiseformulare erhielten. Ethische Dilemmata haben nicht immer praktische Lösungen, meinte Germina Nagâţ, sie bleiben Dilemmata im Gewissen – sofern ein solches vorhanden. Die Listen der aus Rumänien freigekauften Deutschen und Juden könne man als eine Art Listen Schindlers betrachten, vergessen aber dürfe man nicht, dass sie den beiden kommunistischen Staatsführern Gheorghe Gheorghiu-Dej und Nicolae Ceauşescu auch als Listen dienten, mit denen sie ihre Einkäufe sicherten, sagte die Forscherin. Sie behandelten die Menschen als Waren. Handelt es sich in diesem Fall um Befreiung?