Schmucke Neuausgabe des Klassikers zu den Landlern in Neppendorf

Der Schiller Verlag bringt das Standardwerk Joseph Ettingers neu heraus. Auch das Original ist als Faksimile mit abgedruckt

Im Jahr 1835 legte der damalige Pfarrer von Neppendorf, Joseph Ettinger, unter dem Titel „Kurze Geschichte der ersten Einwanderung oberösterreichischer evangelischer Glaubensbrüder nach Siebenbürgen“ die erste historische Darstellung der im 18. Jahrhundert aus Österreich nach Siebenbürgen deportierten Protestanten vor. Dieser Band avancierte rasch zum Standardwerk, das sogar zur Herausbildung der ganz spezifischen Identität der Zuwanderer als „Landler“ als besondere evangelische Minderheit innerhalb der Minderheit der Siebenbürger Sachsen beitrug.

Im Hermannstädter Schiller Verlag ist der Klassiker nun in schmucker Form neu erschienen, herausgegeben, kommentiert und wissenschaftlich betreut von Dr. Mathias Beer, dem Geschäftsführer des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. Das ursprüngliche Büchlein erwuchs aus einem Vortrag, den Pfarrer Ettinger am 24. August 1834 aus Anlass des 100. Jahrestags der Ankunft der ersten aus Oberösterreich deportierten Protestanten vor seiner Gemeinde in Neppendorf hielt. Der Vortrag wie auch das Buch hatten ausdrücklich zum Ziel, Sachsen und Landler besser zusammenzuführen, galten doch die Landler den Sachsen lange als lästige Zuwanderer. Nach Beer bietet das ursprüngliche Werk von 1835 „einen Einblick in ein Kapitel der Zwangsmigrationen der frühen Neuzeit“ (S. 8).
Der Band ist sehr sinnvoll gegliedert. Nach dem Vorwort des Herausgebers folgt die Darstellung von Ettinger (S. 10-125). Die historische Veröffentlichung ist als Faksimile komplett wiedergegeben, einschließlich der ursprünglichen Anhänge. Nach den Endnoten zu dem historischen Text (S. 126-130) folgt eine ergänzende historische Darstellung von Herausgeber Beer zu Ettinger, den Landlern und dem Buch (S. 131-134) sowie Literaturhinweise (S. 195-197).

Hochmodern und regelrecht prophetisch ist das Plädoyer von Ettinger von 1835: „Die Glaubensfreiheit wird gegenwärtig bei Weitem nicht in dem Maß gewürdigt und geschätzt wie in den früheren Zeiten schwerer Bedrängnis. Dennoch bleibt sie für alle Zeiten ein höchst beachtenswertes Gut, ein Gut, das in den Augen des pflichtbewussten Christen alle übrigen Güter auf Erden bei Weitem aufwiegt.“ (S. 15)
Der Leser erfährt bei Ettinger wichtige historische Hintergründe zu der Transmigration der Evangelischen aus Oberösterreich. Er schildert, wie der protestantische Glaube zunächst auch in Österreich Verbreitung fand und 1571 sogar Schutzrechte zugesprochen bekam, bevor 1626 im Zuge der Gegenreformation eine systematische Unterdrückung und Verfolgung der Protestanten einsetzte. Evangelische Prediger wurden vertrieben und durch katholische Priester ersetzt, die evangelischen Gläubigen durch Haft und mit Gewalt zum katholischen Glauben gezwungen. Verschiedene Eingaben der evangelischen Reichsstände an den Kaiser führten schließlich zur Erlaubnis der Auswanderung.  Detailreich und spannend beschreibt Ettinger die Umstände der Ausreise und der Ankunft und Aufnahme in Siebenbürgen. Er nennt als Zahl 47 Familien und 263 „Köpfe“, die am 13. Juli 1734 von Klosterneuburg aus in ihre neue Heimat aufbrachen. In Heltau mussten diese sich einer „Glaubensprüfung“ unterziehen. Bei diesem „Credo-TÜV“ sollte die Ernsthaftigkeit der protestantischen Gesinnung nachgewiesen werden. Im Anhang ist dieser Fragenkatalog schon bei Ettinger abgedruckt gewesen. Die Transmigranten wurden in Neppendorf, Großau und Großpold angesiedelt. Für sie alle wurde Siebenbürgen zum „Land des Friedens“ (S. 69).

Im Anhang sind von Ettinger viele wertvolle und erhellende Dokumente gesammelt und wiedergegeben worden. Dazu zählen das Vermittlungsschreiben Kur-sachsens im Auftrag der evangelischen Stände von 1733 an den Kaiser, Statistiken und Namenslisten zu den Auswanderern, das Dankesschreiben einer Gruppe vom August 1734, das noch viele Eindrücke über das persönlich Erlebte vermittelt, das Protokoll der Glaubensprüfung sowie ein kurzer Bericht zur zeitgenössischen religiösen Lage in Österreich von 1834.
Ettinger präsentiert das alles zwar aus evangelischer Sicht, aber trotzdem hintergründig und recht sachlich. Das macht diese vom Schiller Verlag dankenswerterweise neu veröffentlichte Schrift auch zu einer besonders wertvollen historischen Urkunde. Nach dem Quellentext folgt ein sehr instruktiver Beitrag von Herausgeber Mathias Beer („Joseph Ettinger – Urvater der Landlerforschung wider Willen“, S. 131-194). Darin bietet er einen historischen Abriss zu den Landlern, Hinweise zur Landler-Forschung und zu Ettingers Biographie, zu Entstehungsgeschichte und Zielen des Buchs, zur Ansiedlung der Transmigranten, zur Quellen- und Literaturgrundlage sowie formalen und inhaltlichen Merkmalen des Originaltextes. Außerdem äußert er sich zur Wirkungsgeschichte und Rezeption des Werks.

Diese Ausführungen ergänzen die historische Quelle um wichtige Informationen und Erklärungen. So verfeinert er auch manche Aussagen Ettingers auf der Basis des aktuellen Forschungsstands ohne jede Attitüde nachträglicher Besserwisserei. So weist Beer auf das Toleranzpatent von 1781 hin, das allgemeine Religionsfreiheit in den österreichischen Erbländern brachte, wobei den Transmigranten die Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete trotzdem verwehrt war. Er stellt auch die Motive für die Wahl Siebenbürgens heraus: „Ganz bewusst wählte der Wiener Hof mit Siebenbürgen eine Region innerhalb der Grenzen der Monarchie, die einerseits weit genug vom Zentrum entfernt und in der andererseits die von den Protestanten geförderte Glaubensfreiheit gegeben war.“ (S. 135)

Für Beer ist das Anliegen Ettingers ein dreifaches: christliche Belehrung, Traditionsbildung und Integrationsarbeit. In den Transmigranten sehe Ettinger „Vorkämpfer für das Luthertum schlechthin“ (S. 164). Er wollte Neubürger und Altbürger in seiner Gemeinde als eben- und gleichberechtigte Bürger gegenüberstellen. Bei Ettinger erkennt er eine „spezifische heilsgeschichtliche Deutung der Transmigrationsgeschichte“, dieser sehe „die staatlich angeordnete Deportation der Lutheraner aus Innerösterreich als eine von Gott gewollte und damit vorherbestimmte Wanderung“ (S. 181).

Matthias Beer (Hg.), Joseph Ettinger: Kurze Geschichte der ersten Einwanderung oberösterreichischer evangelischer Glaubensbrüder nach Siebenbürgen, 197 S., geb., Hermannstadt/Bonn: Schiller Verlag 2015; ISBN 978-3-944529-65-3, 49 Lei/12,80 Euro